Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.so bald stumm werden, liegt doch nicht allein an den unglück- so bald stumm werden, liegt doch nicht allein an den unglück- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0044" n="41"/> so bald stumm werden, liegt doch nicht allein an den unglück-<lb/> lichen abstrakten Formen der Schulsprache, sondern ebenso an<lb/> dem Mangel jeder Zucht in dem Ausdruck der kindlichen Vor-<lb/> stellungen und Gedanken. Der Wert geistiger Güter und ein<lb/> lebendiges Bewußtsein von der Kraft und Macht, die Wissen<lb/> und geistige Arbeit verleihen, geht dem Kinde eigentlich nur<lb/> zu Hause auf. Wenigstens ist die Schularbeit ein Schlag ins<lb/> Wasser, wenn das Haus widertönt von der Anschauung: „Mäd-<lb/> chen brauchen nichts zu wissen“. Die mächtigsten Erziehungs-<lb/> mittel des Hauses sind Gewöhnung und Beispiel. Wenn die<lb/> kräftig hinleiten auf absolute Wahrhaftigkeit, auf Liebe und<lb/> auf natürliche, nicht erkünstelte Reinheit, dann errichtet das<lb/> Haus ein kräftiges Bollwerk im Herzen des Kindes gegen die<lb/> Versuchungen der Außenwelt, die an seinen werdenden Cha-<lb/> rakter herankriechen. Reinheit! Eine besonders große Sorge<lb/> der Mütter, denen der Kopf heiß wird an der Frage: schütze<lb/> ich die Reinheit meines Kindes besser durch „kindliche“ Un-<lb/> wissenheit und befehle es Gott, oder hebe ich sie auf die be-<lb/> wußte Willensstufe durch eine ernste Aufklärung aus Mutter-<lb/> mund, aus dem alles rein ist? Ich will da nur an eines er-<lb/> innern in dem vollen Bewußtsein, daß eines sich nicht für alle<lb/> schickt. Es steckt in der Theorie von der unberührten kind-<lb/> lichen Unschuld immer ein Stück mütterliche Feigheit. Denn<lb/> wenn sie den Kopf nicht in den Sand steckt, weiß jede Mutter,<lb/> daß in bestimmtem Alter ihr Kind recht wohl über manche<lb/> Dinge bescheid weiß, die sie ihm nicht gesagt hat. Woher?<lb/> Ist ihr das nicht eine furchtbare Sorge? Darum: „Was Gott<lb/> gereinigt hat (die heiligen Vorgänge des Lebens), das mache<lb/> du nicht unrein.“ Wo eine Mutter alle Verhältnisse des<lb/> Lebens in den Dienst ihrer ernsten Erziehung spannt und ihr<lb/> Kind keinen Schritt allein tun läßt, ohne daß es nicht weiß:<lb/> die liebende Sorge meiner Mutter geht mit mir! da wird<lb/> der Erfolg der Erziehung, so verschieden auch die Anlagen der<lb/> Kinder sind, sicherlich ein kraftvoller sein. Das Mädchen wird<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [41/0044]
so bald stumm werden, liegt doch nicht allein an den unglück-
lichen abstrakten Formen der Schulsprache, sondern ebenso an
dem Mangel jeder Zucht in dem Ausdruck der kindlichen Vor-
stellungen und Gedanken. Der Wert geistiger Güter und ein
lebendiges Bewußtsein von der Kraft und Macht, die Wissen
und geistige Arbeit verleihen, geht dem Kinde eigentlich nur
zu Hause auf. Wenigstens ist die Schularbeit ein Schlag ins
Wasser, wenn das Haus widertönt von der Anschauung: „Mäd-
chen brauchen nichts zu wissen“. Die mächtigsten Erziehungs-
mittel des Hauses sind Gewöhnung und Beispiel. Wenn die
kräftig hinleiten auf absolute Wahrhaftigkeit, auf Liebe und
auf natürliche, nicht erkünstelte Reinheit, dann errichtet das
Haus ein kräftiges Bollwerk im Herzen des Kindes gegen die
Versuchungen der Außenwelt, die an seinen werdenden Cha-
rakter herankriechen. Reinheit! Eine besonders große Sorge
der Mütter, denen der Kopf heiß wird an der Frage: schütze
ich die Reinheit meines Kindes besser durch „kindliche“ Un-
wissenheit und befehle es Gott, oder hebe ich sie auf die be-
wußte Willensstufe durch eine ernste Aufklärung aus Mutter-
mund, aus dem alles rein ist? Ich will da nur an eines er-
innern in dem vollen Bewußtsein, daß eines sich nicht für alle
schickt. Es steckt in der Theorie von der unberührten kind-
lichen Unschuld immer ein Stück mütterliche Feigheit. Denn
wenn sie den Kopf nicht in den Sand steckt, weiß jede Mutter,
daß in bestimmtem Alter ihr Kind recht wohl über manche
Dinge bescheid weiß, die sie ihm nicht gesagt hat. Woher?
Ist ihr das nicht eine furchtbare Sorge? Darum: „Was Gott
gereinigt hat (die heiligen Vorgänge des Lebens), das mache
du nicht unrein.“ Wo eine Mutter alle Verhältnisse des
Lebens in den Dienst ihrer ernsten Erziehung spannt und ihr
Kind keinen Schritt allein tun läßt, ohne daß es nicht weiß:
die liebende Sorge meiner Mutter geht mit mir! da wird
der Erfolg der Erziehung, so verschieden auch die Anlagen der
Kinder sind, sicherlich ein kraftvoller sein. Das Mädchen wird
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Weitere Informationen:Verfahrung der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |