Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.dann zu der Freiheit der Persönlichkeit kommen, die sich
Denn von der dritten Instanz, der Gesellschaft, drohen dann zu der Freiheit der Persönlichkeit kommen, die sich
Denn von der dritten Instanz, der Gesellschaft, drohen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0045" n="42"/> dann zu der <hi rendition="#g">Freiheit</hi> der Persönlichkeit kommen, die sich<lb/> hingeben will nach dem großen Wort: „Gehorsam fühlt' ich<lb/> meine Seele am schönsten frei.“ Nicht das adelt das Leben,<lb/> besonders das Frauenleben, <hi rendition="#g">was</hi> man tut, sondern eigentlich<lb/> nur das, <hi rendition="#g">wie</hi> man es tut. Der Triumph der Persönlichkeit<lb/> liegt in dem Wort:</p><lb/> <quote> <hi rendition="#c"> <lg> <l>„Der eine fragt: was kommt danach?</l> <l>Der andre fragt nur: ist es recht?</l> <l>Und also unterscheidet sich</l> <l>Der Freie von dem Knecht.“</l> </lg> </hi> </quote><lb/> <p>Denn von der dritten Instanz, der <hi rendition="#g">Gesellschaft,</hi> drohen<lb/> der weiblichen Persönlichkeitsbildung noch viele Gefahren, und<lb/> Haus und Schule, soweit sie nicht selbst schon unter den ver-<lb/> derblichen Einflüssen gesellschaftlicher Vorurteile gestanden haben,<lb/> mögen wohl zusehen, daß sie das Mädchen für diesen Lebens-<lb/> kampf ausrüsten. An das junge Gemüt, das man auf die<lb/><hi rendition="#g">Pflicht</hi> zu richten suchte, dringt die Gesellschaft heran mit<lb/> klingenden <hi rendition="#g">Eitelkeiten,</hi> ja mit niederschmetternder <hi rendition="#g">Grau-<lb/> samkeit</hi>. Unsre Mädchen sind zu anderm auf der Welt, als in<lb/> der Gesellschaft zu glänzen und sich einen Mann zu erobern! Den<lb/> Kampf mit den minderwertigen Anschauungen der öffentlichen<lb/> Allgemeinheit können wir unsern Kindern nicht ersparen. Sitten<lb/> der Gesellschaft werden nicht vom <hi rendition="#g">Bewußtsein</hi> der einzelnen<lb/> kraftvollen Individuen, sondern vom <hi rendition="#g">Instinkt</hi> der Herden-<lb/> menschen reguliert. Diese Instinkte aber weisen alle nicht auf<lb/> den sittlichen Kampf in der eignen Brust und auf das Ringen<lb/> nach den Idealen, sondern auf den brutalen Kampf ums Da-<lb/> sein hin, mag es durch noch so glatte Formen und lächelnde<lb/> Mienen überdrapiert sein. Für das Mädchen bedeutet die Ge-<lb/> sellschaft, was man so nennt, nicht viel mehr als den Heirats-<lb/> markt, neuerdings für das im selbständigen Beruf stehende<lb/> Mädchen die Konkurrenzrennbahn. Ihren innersten Lebens-<lb/> bedingungen nach widerstrebt die Gesellschaft jeder Reforma-<lb/> tion ihres instinktiven Wohlbehagens durch ernste Zucht, die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [42/0045]
dann zu der Freiheit der Persönlichkeit kommen, die sich
hingeben will nach dem großen Wort: „Gehorsam fühlt' ich
meine Seele am schönsten frei.“ Nicht das adelt das Leben,
besonders das Frauenleben, was man tut, sondern eigentlich
nur das, wie man es tut. Der Triumph der Persönlichkeit
liegt in dem Wort:
„Der eine fragt: was kommt danach? Der andre fragt nur: ist es recht? Und also unterscheidet sich Der Freie von dem Knecht.“
Denn von der dritten Instanz, der Gesellschaft, drohen
der weiblichen Persönlichkeitsbildung noch viele Gefahren, und
Haus und Schule, soweit sie nicht selbst schon unter den ver-
derblichen Einflüssen gesellschaftlicher Vorurteile gestanden haben,
mögen wohl zusehen, daß sie das Mädchen für diesen Lebens-
kampf ausrüsten. An das junge Gemüt, das man auf die
Pflicht zu richten suchte, dringt die Gesellschaft heran mit
klingenden Eitelkeiten, ja mit niederschmetternder Grau-
samkeit. Unsre Mädchen sind zu anderm auf der Welt, als in
der Gesellschaft zu glänzen und sich einen Mann zu erobern! Den
Kampf mit den minderwertigen Anschauungen der öffentlichen
Allgemeinheit können wir unsern Kindern nicht ersparen. Sitten
der Gesellschaft werden nicht vom Bewußtsein der einzelnen
kraftvollen Individuen, sondern vom Instinkt der Herden-
menschen reguliert. Diese Instinkte aber weisen alle nicht auf
den sittlichen Kampf in der eignen Brust und auf das Ringen
nach den Idealen, sondern auf den brutalen Kampf ums Da-
sein hin, mag es durch noch so glatte Formen und lächelnde
Mienen überdrapiert sein. Für das Mädchen bedeutet die Ge-
sellschaft, was man so nennt, nicht viel mehr als den Heirats-
markt, neuerdings für das im selbständigen Beruf stehende
Mädchen die Konkurrenzrennbahn. Ihren innersten Lebens-
bedingungen nach widerstrebt die Gesellschaft jeder Reforma-
tion ihres instinktiven Wohlbehagens durch ernste Zucht, die
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Zitationshilfe: | Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/45>, abgerufen am 16.07.2024. |