wiesen daß die Niederlage vom Juni 1848 sie für Jahre kampfunfähig ge¬ macht und daß der geschichtliche Prozeß zunächst wieder über ihren Köpfen vor sich gehen müsse. Was die kleinbürgerliche Demokratie betrifft, die am 13. Juni geschrien hatte, "aber wenn erst das allgemeine Wahlrecht angetastet wird, aber dann!" -- so tröstete sie sich jetzt damit, daß der kontre¬ revolutionäre Schlag, der sie getroffen, kein Schlag und das Gesetz vom 31. Mai kein Gesetz sei. Am 2. Mai 1852 erscheint jeder Franzose auf dem Wahlplatze, in der einen Hand den Stimmzettel, in der andern das Schwert. Mit dieser Prophezeihung that sie sich selbst Genüge. Die Armee endlich wurde, wie für die Wahlen vom 29. Mai 1849, so für die vom März und April 1850 von ihren Vorgesetzten gezüchtigt. Diesmal sagte sie sich aber entschieden: "die Revolution prellt uns nicht zum dritten Mal."
Das Gesetz vom 31. Mai 1850 war der coup d'etat der Bourgeoisie. Alle ihre bisherigen Eroberungen über die Revolution hatten einen nur provisorischen Charakter. Sie waren in Frage gestellt, sobald die jetzige Nationalversammlung von der Bühne abtrat. Sie hingen von dem Zufall einer neuen allgemeinen Wahl ab und die Geschichte der Wahlen seit 1848 bewies unwiderleglich, daß in demselben Maße wie die faktische Herrschaft der Bourgeoisie sich entwickelte, ihre moralische Herrschaft über die Volks¬ massen verloren ging. Das allgemeine Wahlrecht erklärte sich am 10. März direkt gegen die Herrschaft der Bourgeoisie, die Bourgeoisie antwortete mit der Aechtung des allgemeinen Wahlrechts. Das Gesetz vom 31. Mai war also eine der Nothwendigkeiten des Klassenkampfes. Andrerseits erheischte die Konstitution, damit die Wahl des Präsidenten der Republik gültig sei, ein Minimum von zwei Millionen Stimmen. Erhielt keiner der Präsidentschafts¬ kandidaten dies Minimum, so sollte die Nationalversammlung unter den drei Kandidaten, denen die meisten Stimmen zufallen würden, den Präsidenten wählen. Zur Zeit, wo die Konstituante dies Gesetz machte, waren zehn Millionen Wähler auf den Stimmlisten eingeschrieben. In ihrem Sinne reichte also ein Fünftel der Wahlberechtigten hin, um die Präsidentschaftswahl gültig zu machen. Das Gesetz vom 31. Mai strich wenigstens drei Millio¬ nen Stimmen von den Wahllisten, reduzirte die Zahl der Wahlberechtigten auf sieben Millionen und behielt nichts desto weniger das gesetzliche Minimum von zwei Millionen für die Präsidentschaftswahl bei. Es erhöhte also das gesetzliche Minimum von ein Fünftel auf beinahe ein Drittel der wahlfähigen Stimmen, d. h. es that Alles, um die Präsidentenwahl aus den Händen des
wieſen daß die Niederlage vom Juni 1848 ſie für Jahre kampfunfähig ge¬ macht und daß der geſchichtliche Prozeß zunächſt wieder über ihren Köpfen vor ſich gehen müſſe. Was die kleinbürgerliche Demokratie betrifft, die am 13. Juni geſchrien hatte, „aber wenn erſt das allgemeine Wahlrecht angetaſtet wird, aber dann!“ — ſo tröſtete ſie ſich jetzt damit, daß der kontre¬ revolutionäre Schlag, der ſie getroffen, kein Schlag und das Geſetz vom 31. Mai kein Geſetz ſei. Am 2. Mai 1852 erſcheint jeder Franzoſe auf dem Wahlplatze, in der einen Hand den Stimmzettel, in der andern das Schwert. Mit dieſer Prophezeihung that ſie ſich ſelbſt Genüge. Die Armee endlich wurde, wie für die Wahlen vom 29. Mai 1849, ſo für die vom März und April 1850 von ihren Vorgeſetzten gezüchtigt. Diesmal ſagte ſie ſich aber entſchieden: „die Revolution prellt uns nicht zum dritten Mal.“
Das Geſetz vom 31. Mai 1850 war der coup d'état der Bourgeoiſie. Alle ihre bisherigen Eroberungen über die Revolution hatten einen nur proviſoriſchen Charakter. Sie waren in Frage geſtellt, ſobald die jetzige Nationalverſammlung von der Bühne abtrat. Sie hingen von dem Zufall einer neuen allgemeinen Wahl ab und die Geſchichte der Wahlen ſeit 1848 bewies unwiderleglich, daß in demſelben Maße wie die faktiſche Herrſchaft der Bourgeoiſie ſich entwickelte, ihre moraliſche Herrſchaft über die Volks¬ maſſen verloren ging. Das allgemeine Wahlrecht erklärte ſich am 10. März direkt gegen die Herrſchaft der Bourgeoiſie, die Bourgeoiſie antwortete mit der Aechtung des allgemeinen Wahlrechts. Das Geſetz vom 31. Mai war alſo eine der Nothwendigkeiten des Klaſſenkampfes. Andrerſeits erheiſchte die Konſtitution, damit die Wahl des Präſidenten der Republik gültig ſei, ein Minimum von zwei Millionen Stimmen. Erhielt keiner der Präſidentſchafts¬ kandidaten dies Minimum, ſo ſollte die Nationalverſammlung unter den drei Kandidaten, denen die meiſten Stimmen zufallen würden, den Präſidenten wählen. Zur Zeit, wo die Konſtituante dies Geſetz machte, waren zehn Millionen Wähler auf den Stimmliſten eingeſchrieben. In ihrem Sinne reichte alſo ein Fünftel der Wahlberechtigten hin, um die Präſidentſchaftswahl gültig zu machen. Das Geſetz vom 31. Mai ſtrich wenigſtens drei Millio¬ nen Stimmen von den Wahlliſten, reduzirte die Zahl der Wahlberechtigten auf ſieben Millionen und behielt nichts deſto weniger das geſetzliche Minimum von zwei Millionen für die Präſidentſchaftswahl bei. Es erhöhte alſo das geſetzliche Minimum von ein Fünftel auf beinahe ein Drittel der wahlfähigen Stimmen, d. h. es that Alles, um die Präſidentenwahl aus den Händen des
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Köpfen vor ſich gehen müſſe. Was die kleinbürgerliche Demokratie betrifft,
die am 13. Juni geſchrien hatte, „aber wenn erſt das allgemeine Wahlrecht
angetaſtet wird, aber dann!“ — ſo tröſtete ſie ſich jetzt damit, daß der kontre¬
revolutionäre Schlag, der ſie getroffen, kein Schlag und das Geſetz vom
31. Mai kein Geſetz ſei. Am 2. Mai 1852 erſcheint jeder Franzoſe auf
dem Wahlplatze, in der einen Hand den Stimmzettel, in der andern das
Schwert. Mit dieſer Prophezeihung that ſie ſich ſelbſt Genüge. Die Armee
endlich wurde, wie für die Wahlen vom 29. Mai 1849, ſo für die vom März
und April 1850 von ihren Vorgeſetzten gezüchtigt. Diesmal ſagte ſie ſich
aber entſchieden: „die Revolution prellt uns nicht zum dritten Mal.“
Das Geſetz vom 31. Mai 1850 war der coup d'état der Bourgeoiſie.
Alle ihre bisherigen Eroberungen über die Revolution hatten einen nur
proviſoriſchen Charakter. Sie waren in Frage geſtellt, ſobald die jetzige
Nationalverſammlung von der Bühne abtrat. Sie hingen von dem Zufall
einer neuen allgemeinen Wahl ab und die Geſchichte der Wahlen ſeit 1848
bewies unwiderleglich, daß in demſelben Maße wie die faktiſche Herrſchaft
der Bourgeoiſie ſich entwickelte, ihre moraliſche Herrſchaft über die Volks¬
maſſen verloren ging. Das allgemeine Wahlrecht erklärte ſich am 10. März
direkt gegen die Herrſchaft der Bourgeoiſie, die Bourgeoiſie antwortete mit
der Aechtung des allgemeinen Wahlrechts. Das Geſetz vom 31. Mai war
alſo eine der Nothwendigkeiten des Klaſſenkampfes. Andrerſeits erheiſchte die
Konſtitution, damit die Wahl des Präſidenten der Republik gültig ſei, ein
Minimum von zwei Millionen Stimmen. Erhielt keiner der Präſidentſchafts¬
kandidaten dies Minimum, ſo ſollte die Nationalverſammlung unter den drei
Kandidaten, denen die meiſten Stimmen zufallen würden, den Präſidenten
wählen. Zur Zeit, wo die Konſtituante dies Geſetz machte, waren zehn
Millionen Wähler auf den Stimmliſten eingeſchrieben. In ihrem Sinne
reichte alſo ein Fünftel der Wahlberechtigten hin, um die Präſidentſchaftswahl
gültig zu machen. Das Geſetz vom 31. Mai ſtrich wenigſtens drei Millio¬
nen Stimmen von den Wahlliſten, reduzirte die Zahl der Wahlberechtigten
auf ſieben Millionen und behielt nichts deſto weniger das geſetzliche Minimum
von zwei Millionen für die Präſidentſchaftswahl bei. Es erhöhte alſo das
geſetzliche Minimum von ein Fünftel auf beinahe ein Drittel der wahlfähigen
Stimmen, d. h. es that Alles, um die Präſidentenwahl aus den Händen des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/58>, abgerufen am 02.03.2025.
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