hatte, die man Dritten vorschreibt, um sich selbst desto freier bewegen zu können. Mit der Absetzung Changarnier's, mit dem Anheimfall der Mi¬ litärgewalt an Bonaparte, schließt der erste Abschnitt der Periode, die wir betrachten, der Periode des Kampfes zwischen der Ordnungspartei und der Exekutivgewalt. Der Krieg zwischen den beiden Gewalten ist jetzt offen erklärt, wird offen geführt, aber erst nachdem die Ordnungspartei Waffen und Sol¬ daten verloren hat. Ohne Ministerium, ohne Armee, ohne Volk, ohne öffent¬ liche Meinung, seit ihrem Wahlgesetz vom 31. Mai nicht mehr die Repräsen¬ tantin der souveränen Nation, ohn' Aug, ohn' Ohr, ohn' Zahn, ohn' Alles, hatte sich die Nationalversammlung allgemach in ein altfranzösisches Parlament verwandelt, das die Aktion der Regierung überlassen und sich selbst mit knurrenden Remonstrationen post festum begnügen muß.
Die Ordnungspartei empfängt das neue Ministerium mit einem Sturme der Entrüstung. General Bedeau ruft die Milde der Permanenzkommission während der Ferien in's Gedächtniß zurück und die übergroße Rücksicht, wo¬ mit sie auf die Veröffentlichung ihrer Protokolle verzichtet habe. Der Minister des Innern besteht nun selbst auf Veröffentlichung dieser Protokolle, die jetzt natürlich schaal wie abgestandenes Wasser geworden sind, keine neue Thatsache enthüllen und ohne die geringste Wirkung in das blasirte Publikum fallen. Auf Remusat's Vorschlag zieht sich die Nationalversammlung in ihre Bureaux zurück und ernennt ein "Komite außerordentlicher Maßregeln." Paris tritt um so weniger aus dem Geleise seiner alltäglichen Ordnung, als der Handel in diesem Augenblicke prosperirt, die Manufakturen beschäftigt sind, die Ge¬ treidepreise niedrig stehn, die Lebensmittel überfließen, die Sparkassen täglich neue Depositen erhalten. Die "anßerordentlichen Maßregeln," die das Par¬ lament so geräuschvoll angekündigt hat, verpuffen am 18. Januar in ein Mißtrauensvotum gegen die Minister, ohne daß General Changarnier auch nur erwähnt wurde. Die Ordnungspartei war zu dieser Fassung ihres Vo¬ tums gezwungen, um sich die Stimmen der Republikaner zu sichern, da diese von allen Maßregeln des Ministeriums gerade nur die Absetzung Changar¬ nier's billigen, während die Ordnungspartei in der That die übrigen ministe¬ riellen Akte nicht tadeln kann, die sie selbst diktirt hatte.
Für das Mißtrauensvotum vom 18. Januar entschieden 415 gegen 286 Stimmen. Es wurde also nur durchgesetzt durch eine Koalition der entschiedenen Legitimisten und Orleanisten mit den reinen Republikanern und der Montagne. Es bewies also, daß die Partei der Ordnung nicht nur das
hatte, die man Dritten vorſchreibt, um ſich ſelbſt deſto freier bewegen zu können. Mit der Abſetzung Changarnier's, mit dem Anheimfall der Mi¬ litärgewalt an Bonaparte, ſchließt der erſte Abſchnitt der Periode, die wir betrachten, der Periode des Kampfes zwiſchen der Ordnungspartei und der Exekutivgewalt. Der Krieg zwiſchen den beiden Gewalten iſt jetzt offen erklärt, wird offen geführt, aber erſt nachdem die Ordnungspartei Waffen und Sol¬ daten verloren hat. Ohne Miniſterium, ohne Armee, ohne Volk, ohne öffent¬ liche Meinung, ſeit ihrem Wahlgeſetz vom 31. Mai nicht mehr die Repräſen¬ tantin der ſouveränen Nation, ohn' Aug, ohn' Ohr, ohn' Zahn, ohn' Alles, hatte ſich die Nationalverſammlung allgemach in ein altfranzöſiſches Parlament verwandelt, das die Aktion der Regierung überlaſſen und ſich ſelbſt mit knurrenden Remonſtrationen post festum begnügen muß.
Die Ordnungspartei empfängt das neue Miniſterium mit einem Sturme der Entrüſtung. General Bedeau ruft die Milde der Permanenzkommiſſion während der Ferien in's Gedächtniß zurück und die übergroße Rückſicht, wo¬ mit ſie auf die Veröffentlichung ihrer Protokolle verzichtet habe. Der Miniſter des Innern beſteht nun ſelbſt auf Veröffentlichung dieſer Protokolle, die jetzt natürlich ſchaal wie abgeſtandenes Waſſer geworden ſind, keine neue Thatſache enthüllen und ohne die geringſte Wirkung in das blaſirte Publikum fallen. Auf Remuſat's Vorſchlag zieht ſich die Nationalverſammlung in ihre Bureaux zurück und ernennt ein „Komité außerordentlicher Maßregeln.“ Paris tritt um ſo weniger aus dem Geleiſe ſeiner alltäglichen Ordnung, als der Handel in dieſem Augenblicke prosperirt, die Manufakturen beſchäftigt ſind, die Ge¬ treidepreiſe niedrig ſtehn, die Lebensmittel überfließen, die Sparkaſſen täglich neue Depoſiten erhalten. Die „anßerordentlichen Maßregeln,“ die das Par¬ lament ſo geräuſchvoll angekündigt hat, verpuffen am 18. Januar in ein Mißtrauensvotum gegen die Miniſter, ohne daß General Changarnier auch nur erwähnt wurde. Die Ordnungspartei war zu dieſer Faſſung ihres Vo¬ tums gezwungen, um ſich die Stimmen der Republikaner zu ſichern, da dieſe von allen Maßregeln des Miniſteriums gerade nur die Abſetzung Changar¬ nier's billigen, während die Ordnungspartei in der That die übrigen miniſte¬ riellen Akte nicht tadeln kann, die ſie ſelbſt diktirt hatte.
Für das Mißtrauensvotum vom 18. Januar entſchieden 415 gegen 286 Stimmen. Es wurde alſo nur durchgeſetzt durch eine Koalition der entſchiedenen Legitimiſten und Orleaniſten mit den reinen Republikanern und der Montagne. Es bewies alſo, daß die Partei der Ordnung nicht nur das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbn="60"facs="#f0072"/>
hatte, die man Dritten vorſchreibt, um ſich ſelbſt deſto freier bewegen zu<lb/>
können. Mit der Abſetzung Changarnier's, mit dem Anheimfall der Mi¬<lb/>
litärgewalt an Bonaparte, ſchließt der erſte Abſchnitt der Periode, die wir<lb/>
betrachten, der Periode des Kampfes zwiſchen der Ordnungspartei und der<lb/>
Exekutivgewalt. Der Krieg zwiſchen den beiden Gewalten iſt jetzt offen erklärt,<lb/>
wird offen geführt, aber erſt nachdem die Ordnungspartei Waffen und Sol¬<lb/>
daten verloren hat. Ohne Miniſterium, ohne Armee, ohne Volk, ohne öffent¬<lb/>
liche Meinung, ſeit ihrem Wahlgeſetz vom <hirendition="#aq">31</hi>. Mai nicht mehr die Repräſen¬<lb/>
tantin der ſouveränen Nation, ohn' Aug, ohn' Ohr, ohn' Zahn, ohn' Alles,<lb/>
hatte ſich die Nationalverſammlung allgemach in ein <hirendition="#g">altfranzöſiſches<lb/>
Parlament</hi> verwandelt, das die Aktion der Regierung überlaſſen und ſich<lb/>ſelbſt mit knurrenden Remonſtrationen <hirendition="#aq">post festum</hi> begnügen muß.</p><lb/><p>Die Ordnungspartei empfängt das neue Miniſterium mit einem Sturme<lb/>
der Entrüſtung. General Bedeau ruft die Milde der Permanenzkommiſſion<lb/>
während der Ferien in's Gedächtniß zurück und die übergroße Rückſicht, wo¬<lb/>
mit ſie auf die Veröffentlichung ihrer Protokolle verzichtet habe. Der Miniſter<lb/>
des Innern beſteht nun ſelbſt auf Veröffentlichung dieſer Protokolle, die jetzt<lb/>
natürlich ſchaal wie abgeſtandenes Waſſer geworden ſind, keine neue Thatſache<lb/>
enthüllen und ohne die geringſte Wirkung in das blaſirte Publikum fallen.<lb/>
Auf Remuſat's Vorſchlag zieht ſich die Nationalverſammlung in ihre Bureaux<lb/>
zurück und ernennt ein „Komit<hirendition="#aq">é</hi> außerordentlicher Maßregeln.“ Paris tritt<lb/>
um ſo weniger aus dem Geleiſe ſeiner alltäglichen Ordnung, als der Handel<lb/>
in dieſem Augenblicke prosperirt, die Manufakturen beſchäftigt ſind, die Ge¬<lb/>
treidepreiſe niedrig ſtehn, die Lebensmittel überfließen, die Sparkaſſen täglich<lb/>
neue Depoſiten erhalten. Die „anßerordentlichen Maßregeln,“ die das Par¬<lb/>
lament ſo geräuſchvoll angekündigt hat, verpuffen am <hirendition="#aq">18</hi>. Januar in ein<lb/>
Mißtrauensvotum gegen die Miniſter, ohne daß General Changarnier auch<lb/>
nur erwähnt wurde. Die Ordnungspartei war zu dieſer Faſſung ihres Vo¬<lb/>
tums gezwungen, um ſich die Stimmen der Republikaner zu ſichern, da dieſe<lb/>
von allen Maßregeln des Miniſteriums gerade nur die Abſetzung Changar¬<lb/>
nier's billigen, während die Ordnungspartei in der That die übrigen miniſte¬<lb/>
riellen Akte nicht tadeln kann, die ſie ſelbſt diktirt hatte.</p><lb/><p>Für das Mißtrauensvotum vom <hirendition="#aq">18</hi>. Januar entſchieden <hirendition="#aq">415</hi> gegen<lb/><hirendition="#aq">286</hi> Stimmen. Es wurde alſo nur durchgeſetzt durch eine <hirendition="#g">Koalition</hi> der<lb/>
entſchiedenen Legitimiſten und Orleaniſten mit den reinen Republikanern und<lb/>
der Montagne. Es bewies alſo, daß die Partei der Ordnung nicht nur das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[60/0072]
hatte, die man Dritten vorſchreibt, um ſich ſelbſt deſto freier bewegen zu
können. Mit der Abſetzung Changarnier's, mit dem Anheimfall der Mi¬
litärgewalt an Bonaparte, ſchließt der erſte Abſchnitt der Periode, die wir
betrachten, der Periode des Kampfes zwiſchen der Ordnungspartei und der
Exekutivgewalt. Der Krieg zwiſchen den beiden Gewalten iſt jetzt offen erklärt,
wird offen geführt, aber erſt nachdem die Ordnungspartei Waffen und Sol¬
daten verloren hat. Ohne Miniſterium, ohne Armee, ohne Volk, ohne öffent¬
liche Meinung, ſeit ihrem Wahlgeſetz vom 31. Mai nicht mehr die Repräſen¬
tantin der ſouveränen Nation, ohn' Aug, ohn' Ohr, ohn' Zahn, ohn' Alles,
hatte ſich die Nationalverſammlung allgemach in ein altfranzöſiſches
Parlament verwandelt, das die Aktion der Regierung überlaſſen und ſich
ſelbſt mit knurrenden Remonſtrationen post festum begnügen muß.
Die Ordnungspartei empfängt das neue Miniſterium mit einem Sturme
der Entrüſtung. General Bedeau ruft die Milde der Permanenzkommiſſion
während der Ferien in's Gedächtniß zurück und die übergroße Rückſicht, wo¬
mit ſie auf die Veröffentlichung ihrer Protokolle verzichtet habe. Der Miniſter
des Innern beſteht nun ſelbſt auf Veröffentlichung dieſer Protokolle, die jetzt
natürlich ſchaal wie abgeſtandenes Waſſer geworden ſind, keine neue Thatſache
enthüllen und ohne die geringſte Wirkung in das blaſirte Publikum fallen.
Auf Remuſat's Vorſchlag zieht ſich die Nationalverſammlung in ihre Bureaux
zurück und ernennt ein „Komité außerordentlicher Maßregeln.“ Paris tritt
um ſo weniger aus dem Geleiſe ſeiner alltäglichen Ordnung, als der Handel
in dieſem Augenblicke prosperirt, die Manufakturen beſchäftigt ſind, die Ge¬
treidepreiſe niedrig ſtehn, die Lebensmittel überfließen, die Sparkaſſen täglich
neue Depoſiten erhalten. Die „anßerordentlichen Maßregeln,“ die das Par¬
lament ſo geräuſchvoll angekündigt hat, verpuffen am 18. Januar in ein
Mißtrauensvotum gegen die Miniſter, ohne daß General Changarnier auch
nur erwähnt wurde. Die Ordnungspartei war zu dieſer Faſſung ihres Vo¬
tums gezwungen, um ſich die Stimmen der Republikaner zu ſichern, da dieſe
von allen Maßregeln des Miniſteriums gerade nur die Abſetzung Changar¬
nier's billigen, während die Ordnungspartei in der That die übrigen miniſte¬
riellen Akte nicht tadeln kann, die ſie ſelbſt diktirt hatte.
Für das Mißtrauensvotum vom 18. Januar entſchieden 415 gegen
286 Stimmen. Es wurde alſo nur durchgeſetzt durch eine Koalition der
entſchiedenen Legitimiſten und Orleaniſten mit den reinen Republikanern und
der Montagne. Es bewies alſo, daß die Partei der Ordnung nicht nur das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/72>, abgerufen am 02.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.