kannt und im entscheidenden Augenblicke verlassen worden sei. Und sie findet ein allgemeines Echo in der bürgerlichen Welt. Ich spreche natürlich hier nicht von deutschen Winkelpolitikern und Gesinnungslümmeln. Ich verweise z. B. auf denselben Oekonomist, der noch am 29. November 1851, also vier Tage vor dem Staatsstreich, Bonaparte für die "Schildwache der Ordnung", die Thiers und Berryer aber für "Anarchisten" erklärt hatte und schon am 27. Dezember 1851, nachdem Bonaparte jene Anarchisten zur Ruhe gebracht hat, über den Verrath schreit, den "ignorante, unerzogne, stupide Proletariermassen an dem Geschick, der Kenntniß, der Disziplin, dem geistigen Einfluß, den intellektuellen Hülfsquellen und dem moralischen Gewicht der mittleren und höheren Gesellschaftsränge" verübt hätten. Die stupide, ignorante und gemeine Masse war Niemand anders, als die Bourgeois¬ masse selbst.
Frankreich hatte allerdings im Jahre 1851 eine Art von kleiner Han¬ delskrisis erlebt. Ende Februar zeigte sich Verminderung des Exports gegen 1850, im März litt der Handel und schlossen sich die Fabriken, im April schien der Stand der industriellen Departements so verzweifelt wie nach den Februartagen, im Mai war das Geschäft noch nicht wieder aufgelebt, noch am 28. Juni zeigte das Portefeuille der Bank von Frankreich durch ein unge¬ heures Wachsen der Depositen und eine ebenso große Abnahme der Vorschüsse auf Wechsel den Stillstand der Produktion, und erst Mitte Oktober trat wieder eine progressive Besserung des Geschäfts ein. Die französische Bourgeoisie erklärte sich diese Handelsstockung aus rein politischen Gründen, aus dem Kampfe zwischen dem Parlamente und der Exekutivgewalt, aus der Unsicherheit einer nur provisorischen Staatsform, aus der Schreckensaussicht auf den 2. Mai 1852. Ich will nicht läugnen, daß alle diese Umstände einige Industriezweige in Paris und in den Departements herabdrückten. Jedenfalls war aber diese Einwirkung der politischen Verhältnisse nur lokal und unerheblich. Bedarf es eines andern Beweises, als daß die Besserung des Han¬ dels gerade in dem Augenblicke eintrat, wo sich der politische Zustand verschlech¬ terte, der politische Horizont verdunkelte und jeden Augenblick ein Blitzstrahl aus dem Elysium erwartet wurde, gegen Mitte Oktober? Der französische Bourgeois, dessen "Geschick, Kenntniß, geistige Einsicht und intellektuelle Hülfsquellen" nicht weiter reichen als seine Nase, konnte übrigens während der ganzen Dauer der Industrieausstellung in London mit der Nase auf die Ursache seiner Handels¬ misere stoßen. Während in Frankreich die Fabriken geschlossen wurden,
kannt und im entſcheidenden Augenblicke verlaſſen worden ſei. Und ſie findet ein allgemeines Echo in der bürgerlichen Welt. Ich ſpreche natürlich hier nicht von deutſchen Winkelpolitikern und Geſinnungslümmeln. Ich verweiſe z. B. auf denſelben Oekonomiſt, der noch am 29. November 1851, alſo vier Tage vor dem Staatsſtreich, Bonaparte für die „Schildwache der Ordnung“, die Thiers und Berryer aber für „Anarchiſten“ erklärt hatte und ſchon am 27. Dezember 1851, nachdem Bonaparte jene Anarchiſten zur Ruhe gebracht hat, über den Verrath ſchreit, den „ignorante, unerzogne, ſtupide Proletariermaſſen an dem Geſchick, der Kenntniß, der Disziplin, dem geiſtigen Einfluß, den intellektuellen Hülfsquellen und dem moraliſchen Gewicht der mittleren und höheren Geſellſchaftsränge“ verübt hätten. Die ſtupide, ignorante und gemeine Maſſe war Niemand anders, als die Bourgeois¬ maſſe ſelbſt.
Frankreich hatte allerdings im Jahre 1851 eine Art von kleiner Han¬ delskriſis erlebt. Ende Februar zeigte ſich Verminderung des Exports gegen 1850, im März litt der Handel und ſchloſſen ſich die Fabriken, im April ſchien der Stand der induſtriellen Departements ſo verzweifelt wie nach den Februartagen, im Mai war das Geſchäft noch nicht wieder aufgelebt, noch am 28. Juni zeigte das Portefeuille der Bank von Frankreich durch ein unge¬ heures Wachſen der Depoſiten und eine ebenſo große Abnahme der Vorſchüſſe auf Wechſel den Stillſtand der Produktion, und erſt Mitte Oktober trat wieder eine progreſſive Beſſerung des Geſchäfts ein. Die franzöſiſche Bourgeoiſie erklärte ſich dieſe Handelsſtockung aus rein politiſchen Gründen, aus dem Kampfe zwiſchen dem Parlamente und der Exekutivgewalt, aus der Unſicherheit einer nur proviſoriſchen Staatsform, aus der Schreckensausſicht auf den 2. Mai 1852. Ich will nicht läugnen, daß alle dieſe Umſtände einige Induſtriezweige in Paris und in den Departements herabdrückten. Jedenfalls war aber dieſe Einwirkung der politiſchen Verhältniſſe nur lokal und unerheblich. Bedarf es eines andern Beweiſes, als daß die Beſſerung des Han¬ dels gerade in dem Augenblicke eintrat, wo ſich der politiſche Zuſtand verſchlech¬ terte, der politiſche Horizont verdunkelte und jeden Augenblick ein Blitzstrahl aus dem Elyſium erwartet wurde, gegen Mitte Oktober? Der franzöſiſche Bourgeois, deſſen „Geſchick, Kenntniß, geiſtige Einſicht und intellektuelle Hülfsquellen“ nicht weiter reichen als ſeine Naſe, konnte übrigens während der ganzen Dauer der Induſtrieausſtellung in London mit der Naſe auf die Urſache ſeiner Handels¬ miſère ſtoßen. Während in Frankreich die Fabriken geſchloſſen wurden,
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kannt und im entſcheidenden Augenblicke verlaſſen worden ſei. Und ſie findet
ein allgemeines Echo in der bürgerlichen Welt. Ich ſpreche natürlich hier
nicht von deutſchen Winkelpolitikern und Geſinnungslümmeln. Ich verweiſe
z. B. auf denſelben Oekonomiſt, der noch am 29. November 1851,
alſo vier Tage vor dem Staatsſtreich, Bonaparte für die „Schildwache der
Ordnung“, die Thiers und Berryer aber für „Anarchiſten“ erklärt hatte
und ſchon am 27. Dezember 1851, nachdem Bonaparte jene Anarchiſten zur
Ruhe gebracht hat, über den Verrath ſchreit, den „ignorante, unerzogne,
ſtupide Proletariermaſſen an dem Geſchick, der Kenntniß, der Disziplin, dem
geiſtigen Einfluß, den intellektuellen Hülfsquellen und dem moraliſchen
Gewicht der mittleren und höheren Geſellſchaftsränge“ verübt hätten. Die
ſtupide, ignorante und gemeine Maſſe war Niemand anders, als die Bourgeois¬
maſſe ſelbſt.
Frankreich hatte allerdings im Jahre 1851 eine Art von kleiner Han¬
delskriſis erlebt. Ende Februar zeigte ſich Verminderung des Exports gegen
1850, im März litt der Handel und ſchloſſen ſich die Fabriken, im April
ſchien der Stand der induſtriellen Departements ſo verzweifelt wie nach den
Februartagen, im Mai war das Geſchäft noch nicht wieder aufgelebt, noch
am 28. Juni zeigte das Portefeuille der Bank von Frankreich durch ein unge¬
heures Wachſen der Depoſiten und eine ebenſo große Abnahme der Vorſchüſſe
auf Wechſel den Stillſtand der Produktion, und erſt Mitte Oktober trat
wieder eine progreſſive Beſſerung des Geſchäfts ein. Die franzöſiſche
Bourgeoiſie erklärte ſich dieſe Handelsſtockung aus rein politiſchen Gründen,
aus dem Kampfe zwiſchen dem Parlamente und der Exekutivgewalt, aus der
Unſicherheit einer nur proviſoriſchen Staatsform, aus der Schreckensausſicht
auf den 2. Mai 1852. Ich will nicht läugnen, daß alle dieſe Umſtände
einige Induſtriezweige in Paris und in den Departements herabdrückten.
Jedenfalls war aber dieſe Einwirkung der politiſchen Verhältniſſe nur lokal und
unerheblich. Bedarf es eines andern Beweiſes, als daß die Beſſerung des Han¬
dels gerade in dem Augenblicke eintrat, wo ſich der politiſche Zuſtand verſchlech¬
terte, der politiſche Horizont verdunkelte und jeden Augenblick ein Blitzstrahl aus
dem Elyſium erwartet wurde, gegen Mitte Oktober? Der franzöſiſche Bourgeois,
deſſen „Geſchick, Kenntniß, geiſtige Einſicht und intellektuelle Hülfsquellen“ nicht
weiter reichen als ſeine Naſe, konnte übrigens während der ganzen Dauer der
Induſtrieausſtellung in London mit der Naſe auf die Urſache ſeiner Handels¬
miſère ſtoßen. Während in Frankreich die Fabriken geſchloſſen wurden,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/87>, abgerufen am 02.03.2025.
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