Als Werthe sind Rock und Leinwand Dinge von gleicher Substanz, objektive Ausdrücke gleichartiger Arbeit. Aber Schneider- arbeit und Weberei sind qualitativ verschiedne Arbeiten. Es giebt jedoch Gesellschaftszustände, worin derselbe Mensch abwechselnd schneidert und webt, diese beiden verschiednen Arbeitsweisen daher nur Modificationen der Arbeit desselben Individuums und noch nicht besondre feste Functionen verschiedner Individuen sind, ganz wie der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er morgen macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit voraussetzen. Der Augenschein lehrt ferner, dass in unsrer kapitalistischen Gesellschaft, je nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine gegebene Portion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von Schneiderei oder in der Form von Weberei zugeführt wird. Dieser Form- wechsel der Arbeit mag nicht ohne Friction abgehn, aber er muss gehn. Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Thätigkeit und daher vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, dass sie eine Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneider- arbeit und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Thätig- keiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand u. s. w., und in diesem Sinn beide menschliche Arbeit. Es sind nur zwei verschiedne Formen, menschliche Arbeits- kraft zu verausgaben. Allerdings muss die menschliche Arbeitskraft selbst mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener Form veraus- gabt zu werden. Der Werth der Waaren aber stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeitskraft über- haupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Ban- quier eine grosse, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige Rolle spielt14), so steht es hier auch mit der menschlichen Arbeit. Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus be- sitzt. Die Arbeitskraft eines Bauernknechts gelte z. B. für einfache Ar- beitskraft, ihre Verausgabung daher für einfache Arbeit oder mensch- liche Arbeit ohne weitern Schnörkel, Schneiderarbeit dagegen für
14) Vgl. Hegel, "Philosophie des Rechts. Berlin 1840", p. 250, §. 190.
Als Werthe sind Rock und Leinwand Dinge von gleicher Substanz, objektive Ausdrücke gleichartiger Arbeit. Aber Schneider- arbeit und Weberei sind qualitativ verschiedne Arbeiten. Es giebt jedoch Gesellschaftszustände, worin derselbe Mensch abwechselnd schneidert und webt, diese beiden verschiednen Arbeitsweisen daher nur Modificationen der Arbeit desselben Individuums und noch nicht besondre feste Functionen verschiedner Individuen sind, ganz wie der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er morgen macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit voraussetzen. Der Augenschein lehrt ferner, dass in unsrer kapitalistischen Gesellschaft, je nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine gegebene Portion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von Schneiderei oder in der Form von Weberei zugeführt wird. Dieser Form- wechsel der Arbeit mag nicht ohne Friction abgehn, aber er muss gehn. Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Thätigkeit und daher vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, dass sie eine Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneider- arbeit und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Thätig- keiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand u. s. w., und in diesem Sinn beide menschliche Arbeit. Es sind nur zwei verschiedne Formen, menschliche Arbeits- kraft zu verausgaben. Allerdings muss die menschliche Arbeitskraft selbst mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener Form veraus- gabt zu werden. Der Werth der Waaren aber stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeitskraft über- haupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Ban- quier eine grosse, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige Rolle spielt14), so steht es hier auch mit der menschlichen Arbeit. Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus be- sitzt. Die Arbeitskraft eines Bauernknechts gelte z. B. für einfache Ar- beitskraft, ihre Verausgabung daher für einfache Arbeit oder mensch- liche Arbeit ohne weitern Schnörkel, Schneiderarbeit dagegen für
14) Vgl. Hegel, „Philosophie des Rechts. Berlin 1840“, p. 250, §. 190.
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Als Werthe sind Rock und Leinwand Dinge von gleicher Substanz,
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jedoch Gesellschaftszustände, worin derselbe Mensch abwechselnd
schneidert und webt, diese beiden verschiednen Arbeitsweisen daher nur
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noch nicht besondre feste Functionen verschiedner Individuen sind, ganz
wie der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er morgen
macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit voraussetzen. Der
Augenschein lehrt ferner, dass in unsrer kapitalistischen Gesellschaft, je
nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine gegebene
Portion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von
Schneiderei oder in der Form von Weberei zugeführt wird. Dieser Form-
wechsel der Arbeit mag nicht ohne Friction abgehn, aber er muss gehn.
Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Thätigkeit und daher
vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, dass sie eine
Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneider-
arbeit und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Thätig-
keiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn,
Muskel, Nerv, Hand u. s. w., und in diesem Sinn beide menschliche
Arbeit. Es sind nur zwei verschiedne Formen, menschliche Arbeits-
kraft zu verausgaben. Allerdings muss die menschliche Arbeitskraft selbst
mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener Form veraus-
gabt zu werden. Der Werth der Waaren aber stellt menschliche Arbeit
schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeitskraft über-
haupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Ban-
quier eine grosse, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige
Rolle spielt 14), so steht es hier auch mit der menschlichen Arbeit.
Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die jeder gewöhnliche
Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus be-
sitzt. Die Arbeitskraft eines Bauernknechts gelte z. B. für einfache Ar-
beitskraft, ihre Verausgabung daher für einfache Arbeit oder mensch-
liche Arbeit ohne weitern Schnörkel, Schneiderarbeit dagegen für
14) Vgl. Hegel, „Philosophie des Rechts. Berlin 1840“, p. 250,
§. 190.
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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/29>, abgerufen am 23.11.2024.
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