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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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18. Jahrhundert hinein die besondern Gewerke mysteries (mysteres)305)
hiessen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Eingeweihte
eindringen konnte. Die grosse Industrie zerriss den Schleier, der den
Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsprocess versteckte
und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegen
einander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Räthseln machte.
Ihr Princip, jeden Produktionsprozess an und für sich, und zunächst ohne alle
Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine constituirenden Elemente auf-
zulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die bunt-
scheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und verknöcherten Gestalten des
gesellschaftlichen Produktionsprozesses lösten sich auf in bewusst plan-
mässige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch besonderte
Anwendungen der Naturwissenschaft. Die Technologie entdeckte ebenso
die wenigen grossen Grundformen der Bewegung, worin alles pro-
duktive Thun des menschlichen Körpers, trotz aller Mannigfaltigkeit der an-
gewandten Instrumente, nothwendig vorgeht, ganz so wie die Mechanik
durch die grösste Komplikation der Maschinerie sich über die beständige
Wiederholung der einfachen mechanischen Potenzen nicht täuschen lässt.
Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines
Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technologische Basis ist daher
revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich kon-
servativ war306). Durch Maschinen, chemische Prozesse und andre Me-

305) In dem berühmten "Livre des metiers" des Etienne Boileau
wird unter andrem vorgeschrieben, dass ein Geselle bei seiner Aufnahme unter die
Meister einen Eid leiste, "seine Brüder brüderlich zu lieben, sie zu stützen, jeder
in seinem metier, d. h. nicht freiwillig die Gewerksgeheimnisse zu
verrathen
, und sogar im Interesse der Gesammtheit nicht zur Empfehlung seiner
eignen Waare den Käufer auf die Fehler des Machwerks von Andern aufmerk-
sam zu machen."
306) "Die Bourgeoisie kann nicht existiren ohne die Produktionsinstrumente,
also die Produktionsverhältnisse, also sämmtliche gesellschaftlichen Verhältnisse
fortwährend zu revolutioniren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktions-
weise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen.
Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung
aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnen
die Bourgeoisepoche vor allen früheren aus. Alle festen, eingerosteten Verhält-
nisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen

18. Jahrhundert hinein die besondern Gewerke mysteries (mystères)305)
hiessen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Eingeweihte
eindringen konnte. Die grosse Industrie zerriss den Schleier, der den
Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsprocess versteckte
und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegen
einander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Räthseln machte.
Ihr Princip, jeden Produktionsprozess an und für sich, und zunächst ohne alle
Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine constituirenden Elemente auf-
zulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die bunt-
scheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und verknöcherten Gestalten des
gesellschaftlichen Produktionsprozesses lösten sich auf in bewusst plan-
mässige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch besonderte
Anwendungen der Naturwissenschaft. Die Technologie entdeckte ebenso
die wenigen grossen Grundformen der Bewegung, worin alles pro-
duktive Thun des menschlichen Körpers, trotz aller Mannigfaltigkeit der an-
gewandten Instrumente, nothwendig vorgeht, ganz so wie die Mechanik
durch die grösste Komplikation der Maschinerie sich über die beständige
Wiederholung der einfachen mechanischen Potenzen nicht täuschen lässt.
Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines
Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technologische Basis ist daher
revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich kon-
servativ war306). Durch Maschinen, chemische Prozesse und andre Me-

305) In dem berühmten „Livre des métiers“ des Etienne Boileau
wird unter andrem vorgeschrieben, dass ein Geselle bei seiner Aufnahme unter die
Meister einen Eid leiste, „seine Brüder brüderlich zu lieben, sie zu stützen, jeder
in seinem métier, d. h. nicht freiwillig die Gewerksgeheimnisse zu
verrathen
, und sogar im Interesse der Gesammtheit nicht zur Empfehlung seiner
eignen Waare den Käufer auf die Fehler des Machwerks von Andern aufmerk-
sam zu machen.“
306) „Die Bourgeoisie kann nicht existiren ohne die Produktionsinstrumente,
also die Produktionsverhältnisse, also sämmtliche gesellschaftlichen Verhältnisse
fortwährend zu revolutioniren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktions-
weise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen.
Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung
aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnen
die Bourgeoisepoche vor allen früheren aus. Alle festen, eingerosteten Verhält-
nisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen
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[479/0498] 18. Jahrhundert hinein die besondern Gewerke mysteries (mystères) 305) hiessen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Eingeweihte eindringen konnte. Die grosse Industrie zerriss den Schleier, der den Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsprocess versteckte und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegen einander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Räthseln machte. Ihr Princip, jeden Produktionsprozess an und für sich, und zunächst ohne alle Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine constituirenden Elemente auf- zulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die bunt- scheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und verknöcherten Gestalten des gesellschaftlichen Produktionsprozesses lösten sich auf in bewusst plan- mässige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch besonderte Anwendungen der Naturwissenschaft. Die Technologie entdeckte ebenso die wenigen grossen Grundformen der Bewegung, worin alles pro- duktive Thun des menschlichen Körpers, trotz aller Mannigfaltigkeit der an- gewandten Instrumente, nothwendig vorgeht, ganz so wie die Mechanik durch die grösste Komplikation der Maschinerie sich über die beständige Wiederholung der einfachen mechanischen Potenzen nicht täuschen lässt. Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technologische Basis ist daher revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich kon- servativ war 306). Durch Maschinen, chemische Prozesse und andre Me- 305) In dem berühmten „Livre des métiers“ des Etienne Boileau wird unter andrem vorgeschrieben, dass ein Geselle bei seiner Aufnahme unter die Meister einen Eid leiste, „seine Brüder brüderlich zu lieben, sie zu stützen, jeder in seinem métier, d. h. nicht freiwillig die Gewerksgeheimnisse zu verrathen, und sogar im Interesse der Gesammtheit nicht zur Empfehlung seiner eignen Waare den Käufer auf die Fehler des Machwerks von Andern aufmerk- sam zu machen.“ 306) „Die Bourgeoisie kann nicht existiren ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämmtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutioniren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktions- weise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnen die Bourgeoisepoche vor allen früheren aus. Alle festen, eingerosteten Verhält- nisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/498>, abgerufen am 28.09.2024.