schwebt, wird der Haushalt von allem materiellen Komfort ganz und gar entblösst sein. Kleidung und Heizung werden noch dürftiger gewesen sein als die Speise. Kein hinreichender Schutz wider die Härte des Wet- ters; Abknappung des Wohnraums zu einem Grad, der Krankheiten er- zeugt oder erschwert; kaum eine Spur von Hausgeräth oder Möbeln; die Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder schwierig geworden sein. Werden noch aus Selbstachtung Versuche gemacht, sie aufrecht zu erhalten, so repräsentirt jeder solcher Versuch zuschüssige Hungerpein. Die Häus- lichkeit wird dort sein, wo Obdach am wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren, wo die Gesundheitspolizei die geringste Frucht trägt, das jämmerlichste Gerinne, wenigster Verkehr, der meiste öffentliche Unrath, kümmerlichste oder schlechteste Wasserzufuhr, und, in Städten, grösster Mangel an Licht und Luft. Diess sind die Gesundheitsgefahren, denen die Armuth unver- meidlich ausgesetzt ist, wenn diese Armuth Nahrungsmangel einschliesst. Wenn die Summe dieser Uebel von furchtbarer Grösse für das Leben ist, so ist der blosse Nahrungsmangel an sich selbst entsetzlich ... Diess sind qualvolle Gedanken, namentlich wenn man sich erinnert, dass die Armuth, wovon es sich handelt, nicht die selbstverschuldete Armuth des Müssig- gangs ist. Es ist die Armuth von Arbeitern. Ja, mit Bezug auf die städtischen Arbeiter, ist die Arbeit, wodurch der knappe Bissen Nahrung erkauft wird, meist über alles Mass verlängert. Und dennoch kann man nur in sehr bedingtem Sinn sagen, dass diese Arbeit selbsterhaltend ist. ... Auf sehr grossem Massstab kann der nominelle Selbsterhalt nur ein kürzerer oder längerer Umweg zum Pauperismus sein"114).
Das innere Band zwischen Hungerpein der fleissigsten Arbeiter- schichten und kapitalistischer Accumulation, nebst dem sie begleitenden groben oder raffinirten Ueberkonsum der Reichen, diess Band, sage ich, sieht nur der Kenner der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Woh- nungszustand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, dass je mas- senhafter die Koncentration der Produktionsmittel, desto grösser die entsprechende Agglomeration von Arbeitern auf geringem Raum, dass daher je rascher die kapitalistische Accumulation, desto elender der Wohnungszustand der Arbeiter. Jeder sieht, dass die das Wachsthum des Reichthums begleitenden Verbesserungen der Städte (improve-
114) l. c. p. 15.
schwebt, wird der Haushalt von allem materiellen Komfort ganz und gar entblösst sein. Kleidung und Heizung werden noch dürftiger gewesen sein als die Speise. Kein hinreichender Schutz wider die Härte des Wet- ters; Abknappung des Wohnraums zu einem Grad, der Krankheiten er- zeugt oder erschwert; kaum eine Spur von Hausgeräth oder Möbeln; die Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder schwierig geworden sein. Werden noch aus Selbstachtung Versuche gemacht, sie aufrecht zu erhalten, so repräsentirt jeder solcher Versuch zuschüssige Hungerpein. Die Häus- lichkeit wird dort sein, wo Obdach am wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren, wo die Gesundheitspolizei die geringste Frucht trägt, das jämmerlichste Gerinne, wenigster Verkehr, der meiste öffentliche Unrath, kümmerlichste oder schlechteste Wasserzufuhr, und, in Städten, grösster Mangel an Licht und Luft. Diess sind die Gesundheitsgefahren, denen die Armuth unver- meidlich ausgesetzt ist, wenn diese Armuth Nahrungsmangel einschliesst. Wenn die Summe dieser Uebel von furchtbarer Grösse für das Leben ist, so ist der blosse Nahrungsmangel an sich selbst entsetzlich … Diess sind qualvolle Gedanken, namentlich wenn man sich erinnert, dass die Armuth, wovon es sich handelt, nicht die selbstverschuldete Armuth des Müssig- gangs ist. Es ist die Armuth von Arbeitern. Ja, mit Bezug auf die städtischen Arbeiter, ist die Arbeit, wodurch der knappe Bissen Nahrung erkauft wird, meist über alles Mass verlängert. Und dennoch kann man nur in sehr bedingtem Sinn sagen, dass diese Arbeit selbsterhaltend ist. … Auf sehr grossem Massstab kann der nominelle Selbsterhalt nur ein kürzerer oder längerer Umweg zum Pauperismus sein“114).
Das innere Band zwischen Hungerpein der fleissigsten Arbeiter- schichten und kapitalistischer Accumulation, nebst dem sie begleitenden groben oder raffinirten Ueberkonsum der Reichen, diess Band, sage ich, sieht nur der Kenner der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Woh- nungszustand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, dass je mas- senhafter die Koncentration der Produktionsmittel, desto grösser die entsprechende Agglomeration von Arbeitern auf geringem Raum, dass daher je rascher die kapitalistische Accumulation, desto elender der Wohnungszustand der Arbeiter. Jeder sieht, dass die das Wachsthum des Reichthums begleitenden Verbesserungen der Städte (improve-
114) l. c. p. 15.
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schwebt, wird der Haushalt von allem materiellen Komfort ganz und gar
entblösst sein. Kleidung und Heizung werden noch dürftiger gewesen
sein als die Speise. Kein hinreichender Schutz wider die Härte des Wet-
ters; Abknappung des Wohnraums zu einem Grad, der Krankheiten er-
zeugt oder erschwert; kaum eine Spur von Hausgeräth oder Möbeln; die
Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder schwierig geworden sein. Werden
noch aus Selbstachtung Versuche gemacht, sie aufrecht zu erhalten, so
repräsentirt jeder solcher Versuch zuschüssige Hungerpein. Die Häus-
lichkeit wird dort sein, wo Obdach am wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren,
wo die Gesundheitspolizei die geringste Frucht trägt, das jämmerlichste
Gerinne, wenigster Verkehr, der meiste öffentliche Unrath, kümmerlichste
oder schlechteste Wasserzufuhr, und, in Städten, grösster Mangel an Licht
und Luft. Diess sind die Gesundheitsgefahren, denen die Armuth unver-
meidlich ausgesetzt ist, wenn diese Armuth Nahrungsmangel einschliesst.
Wenn die Summe dieser Uebel von furchtbarer Grösse für das Leben ist,
so ist der blosse Nahrungsmangel an sich selbst entsetzlich … Diess sind
qualvolle Gedanken, namentlich wenn man sich erinnert, dass die Armuth,
wovon es sich handelt, nicht die selbstverschuldete Armuth des Müssig-
gangs ist. Es ist die Armuth von Arbeitern. Ja, mit Bezug auf die
städtischen Arbeiter, ist die Arbeit, wodurch der knappe Bissen Nahrung
erkauft wird, meist über alles Mass verlängert. Und dennoch kann man
nur in sehr bedingtem Sinn sagen, dass diese Arbeit selbsterhaltend ist.
… Auf sehr grossem Massstab kann der nominelle Selbsterhalt nur ein
kürzerer oder längerer Umweg zum Pauperismus sein“ 114).
Das innere Band zwischen Hungerpein der fleissigsten Arbeiter-
schichten und kapitalistischer Accumulation, nebst dem sie begleitenden
groben oder raffinirten Ueberkonsum der Reichen, diess Band, sage ich,
sieht nur der Kenner der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Woh-
nungszustand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, dass je mas-
senhafter die Koncentration der Produktionsmittel, desto grösser die
entsprechende Agglomeration von Arbeitern auf geringem Raum,
dass daher je rascher die kapitalistische Accumulation, desto elender der
Wohnungszustand der Arbeiter. Jeder sieht, dass die das Wachsthum
des Reichthums begleitenden Verbesserungen der Städte (improve-
114) l. c. p. 15.
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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/664>, abgerufen am 28.11.2024.
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