Soweit Sklaverei herrscht, oder soweit das Mehrprodukt vom Feudalherrn und seiner Gefolgschaft aufgegessen wird, und Sklaven- besitzer oder Feudalherr dem Wucher verfallen, bleibt die Pro- duktionsweise auch dieselbe; nur wird sie härter für die Arbeiter. Der verschuldete Sklavenhalter oder Feudalherr saugt mehr aus, weil er selbst mehr ausgesaugt wird. Oder schliesslich macht er dem Wucherer Platz, der selbst Grundeigenthümer oder Sklaven- besitzer wird, wie der Ritter im alten Rom. An die Stelle der alten Ausbeuter, deren Exploitation mehr oder minder patriarcha- lisch, weil grossentheils politisches Machtmittel war, tritt ein harter, geldsüchtiger Emporkömmling. Aber die Produktionsweise selbst wird nicht verändert.
Revolutionär wirkt der Wucher in allen vorkapitalistischen Pro- duktionsweisen nur, indem er die Eigenthumsformen zerstört und auflöst, auf deren fester Basis und beständiger Reproduktion in derselben Form die politische Gliederung ruht. Bei asiatischen Formen kann der Wucher lange fortdauern, ohne etwas andres als ökonomisches Verkommen und politische Verdorbenheit hervorzu- rufen. Erst wo und wann die übrigen Bedingungen der kapita- listischen Produktionsweise vorhanden, erscheint der Wucher als eines der Bildungsmittel der neuen Produktionsweise, durch Ruin der Feudalherrn und der Kleinproduktion einerseits, durch Centrali- sation der Arbeitsbedingungen zu Kapital andrerseits.
Im Mittelalter herrschte in keinem Lande ein allgemeiner Zins- fuss. Die Kirche verbot alle Zinsgeschäfte von vornherein. Gesetze und Gerichte sicherten Anleihen nur wenig. Desto höher war der Zinssatz in einzelnen Fällen. Der geringe Geldumlauf, die Noth- wendigkeit, die meisten Zahlungen baar zu leisten, zwangen zu Geldaufnahmen, und umsomehr, je weniger das Wechselgeschäft noch ausgebildet war. Es herrschte grosse Verschiedenheit sowohl des Zinsfusses wie der Begriffe vom Wucher. Zu Karls des Grossen Zeit galt es für wucherisch, wenn jemand 100 % nahm. Zu Lindau am Bodensee nahmen 1348 einheimische Bürger 216 2/3 %. In Zürich bestimmte der Rath 43 1/3 % als gesetzlichen Zins. In Italien mussten zuweilen 40 % gezahlt werden, obgleich vom 12.--14. Jahrhundert der gewöhnliche Satz 20 % nicht überschritt. Verona ordnete 121/2 % als gesetzlichen Zins an. Kaiser Friedrich II. setzte 10 % fest, aber dies bloss für die Juden. Für die Christen mochte er nicht sprechen. 10 % war schon im 13. Jahrhundert im rheinischen Deutschland das gewöhnliche. (Hüllmann, Geschichte des Städtewesens. II. p. 55--57.)
Soweit Sklaverei herrscht, oder soweit das Mehrprodukt vom Feudalherrn und seiner Gefolgschaft aufgegessen wird, und Sklaven- besitzer oder Feudalherr dem Wucher verfallen, bleibt die Pro- duktionsweise auch dieselbe; nur wird sie härter für die Arbeiter. Der verschuldete Sklavenhalter oder Feudalherr saugt mehr aus, weil er selbst mehr ausgesaugt wird. Oder schliesslich macht er dem Wucherer Platz, der selbst Grundeigenthümer oder Sklaven- besitzer wird, wie der Ritter im alten Rom. An die Stelle der alten Ausbeuter, deren Exploitation mehr oder minder patriarcha- lisch, weil grossentheils politisches Machtmittel war, tritt ein harter, geldsüchtiger Emporkömmling. Aber die Produktionsweise selbst wird nicht verändert.
Revolutionär wirkt der Wucher in allen vorkapitalistischen Pro- duktionsweisen nur, indem er die Eigenthumsformen zerstört und auflöst, auf deren fester Basis und beständiger Reproduktion in derselben Form die politische Gliederung ruht. Bei asiatischen Formen kann der Wucher lange fortdauern, ohne etwas andres als ökonomisches Verkommen und politische Verdorbenheit hervorzu- rufen. Erst wo und wann die übrigen Bedingungen der kapita- listischen Produktionsweise vorhanden, erscheint der Wucher als eines der Bildungsmittel der neuen Produktionsweise, durch Ruin der Feudalherrn und der Kleinproduktion einerseits, durch Centrali- sation der Arbeitsbedingungen zu Kapital andrerseits.
Im Mittelalter herrschte in keinem Lande ein allgemeiner Zins- fuss. Die Kirche verbot alle Zinsgeschäfte von vornherein. Gesetze und Gerichte sicherten Anleihen nur wenig. Desto höher war der Zinssatz in einzelnen Fällen. Der geringe Geldumlauf, die Noth- wendigkeit, die meisten Zahlungen baar zu leisten, zwangen zu Geldaufnahmen, und umsomehr, je weniger das Wechselgeschäft noch ausgebildet war. Es herrschte grosse Verschiedenheit sowohl des Zinsfusses wie der Begriffe vom Wucher. Zu Karls des Grossen Zeit galt es für wucherisch, wenn jemand 100 % nahm. Zu Lindau am Bodensee nahmen 1348 einheimische Bürger 216⅔ %. In Zürich bestimmte der Rath 43⅓ % als gesetzlichen Zins. In Italien mussten zuweilen 40 % gezahlt werden, obgleich vom 12.—14. Jahrhundert der gewöhnliche Satz 20 % nicht überschritt. Verona ordnete 12½ % als gesetzlichen Zins an. Kaiser Friedrich II. setzte 10 % fest, aber dies bloss für die Juden. Für die Christen mochte er nicht sprechen. 10 % war schon im 13. Jahrhundert im rheinischen Deutschland das gewöhnliche. (Hüllmann, Geschichte des Städtewesens. II. p. 55—57.)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0145"n="136"/><p>Soweit Sklaverei herrscht, oder soweit das Mehrprodukt vom<lb/>
Feudalherrn und seiner Gefolgschaft aufgegessen wird, und Sklaven-<lb/>
besitzer oder Feudalherr dem Wucher verfallen, bleibt die Pro-<lb/>
duktionsweise auch dieselbe; nur wird sie härter für die Arbeiter.<lb/>
Der verschuldete Sklavenhalter oder Feudalherr saugt mehr aus,<lb/>
weil er selbst mehr ausgesaugt wird. Oder schliesslich macht er<lb/>
dem Wucherer Platz, der selbst Grundeigenthümer oder Sklaven-<lb/>
besitzer wird, wie der Ritter im alten Rom. An die Stelle der<lb/>
alten Ausbeuter, deren Exploitation mehr oder minder patriarcha-<lb/>
lisch, weil grossentheils politisches Machtmittel war, tritt ein harter,<lb/>
geldsüchtiger Emporkömmling. Aber die Produktionsweise selbst<lb/>
wird nicht verändert.</p><lb/><p>Revolutionär wirkt der Wucher in allen vorkapitalistischen Pro-<lb/>
duktionsweisen nur, indem er die Eigenthumsformen zerstört und<lb/>
auflöst, auf deren fester Basis und beständiger Reproduktion in<lb/>
derselben Form die politische Gliederung ruht. Bei asiatischen<lb/>
Formen kann der Wucher lange fortdauern, ohne etwas andres als<lb/>
ökonomisches Verkommen und politische Verdorbenheit hervorzu-<lb/>
rufen. Erst wo und wann die übrigen Bedingungen der kapita-<lb/>
listischen Produktionsweise vorhanden, erscheint der Wucher als<lb/>
eines der Bildungsmittel der neuen Produktionsweise, durch Ruin<lb/>
der Feudalherrn und der Kleinproduktion einerseits, durch Centrali-<lb/>
sation der Arbeitsbedingungen zu Kapital andrerseits.</p><lb/><p>Im Mittelalter herrschte in keinem Lande ein allgemeiner Zins-<lb/>
fuss. Die Kirche verbot alle Zinsgeschäfte von vornherein. Gesetze<lb/>
und Gerichte sicherten Anleihen nur wenig. Desto höher war der<lb/>
Zinssatz in einzelnen Fällen. Der geringe Geldumlauf, die Noth-<lb/>
wendigkeit, die meisten Zahlungen baar zu leisten, zwangen zu<lb/>
Geldaufnahmen, und umsomehr, je weniger das Wechselgeschäft<lb/>
noch ausgebildet war. Es herrschte grosse Verschiedenheit sowohl<lb/>
des Zinsfusses wie der Begriffe vom Wucher. Zu Karls des Grossen<lb/>
Zeit galt es für wucherisch, wenn jemand 100 % nahm. Zu<lb/>
Lindau am Bodensee nahmen 1348 einheimische Bürger 216⅔ %.<lb/>
In Zürich bestimmte der Rath 43⅓ % als gesetzlichen Zins. In<lb/>
Italien mussten zuweilen 40 % gezahlt werden, obgleich vom<lb/>
12.—14. Jahrhundert der gewöhnliche Satz 20 % nicht überschritt.<lb/>
Verona ordnete 12½ % als gesetzlichen Zins an. Kaiser Friedrich II.<lb/>
setzte 10 % fest, aber dies bloss für die Juden. Für die Christen<lb/>
mochte er nicht sprechen. 10 % war schon im 13. Jahrhundert<lb/>
im rheinischen Deutschland das gewöhnliche. (Hüllmann, Geschichte<lb/>
des Städtewesens. II. p. 55—57.)</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[136/0145]
Soweit Sklaverei herrscht, oder soweit das Mehrprodukt vom
Feudalherrn und seiner Gefolgschaft aufgegessen wird, und Sklaven-
besitzer oder Feudalherr dem Wucher verfallen, bleibt die Pro-
duktionsweise auch dieselbe; nur wird sie härter für die Arbeiter.
Der verschuldete Sklavenhalter oder Feudalherr saugt mehr aus,
weil er selbst mehr ausgesaugt wird. Oder schliesslich macht er
dem Wucherer Platz, der selbst Grundeigenthümer oder Sklaven-
besitzer wird, wie der Ritter im alten Rom. An die Stelle der
alten Ausbeuter, deren Exploitation mehr oder minder patriarcha-
lisch, weil grossentheils politisches Machtmittel war, tritt ein harter,
geldsüchtiger Emporkömmling. Aber die Produktionsweise selbst
wird nicht verändert.
Revolutionär wirkt der Wucher in allen vorkapitalistischen Pro-
duktionsweisen nur, indem er die Eigenthumsformen zerstört und
auflöst, auf deren fester Basis und beständiger Reproduktion in
derselben Form die politische Gliederung ruht. Bei asiatischen
Formen kann der Wucher lange fortdauern, ohne etwas andres als
ökonomisches Verkommen und politische Verdorbenheit hervorzu-
rufen. Erst wo und wann die übrigen Bedingungen der kapita-
listischen Produktionsweise vorhanden, erscheint der Wucher als
eines der Bildungsmittel der neuen Produktionsweise, durch Ruin
der Feudalherrn und der Kleinproduktion einerseits, durch Centrali-
sation der Arbeitsbedingungen zu Kapital andrerseits.
Im Mittelalter herrschte in keinem Lande ein allgemeiner Zins-
fuss. Die Kirche verbot alle Zinsgeschäfte von vornherein. Gesetze
und Gerichte sicherten Anleihen nur wenig. Desto höher war der
Zinssatz in einzelnen Fällen. Der geringe Geldumlauf, die Noth-
wendigkeit, die meisten Zahlungen baar zu leisten, zwangen zu
Geldaufnahmen, und umsomehr, je weniger das Wechselgeschäft
noch ausgebildet war. Es herrschte grosse Verschiedenheit sowohl
des Zinsfusses wie der Begriffe vom Wucher. Zu Karls des Grossen
Zeit galt es für wucherisch, wenn jemand 100 % nahm. Zu
Lindau am Bodensee nahmen 1348 einheimische Bürger 216⅔ %.
In Zürich bestimmte der Rath 43⅓ % als gesetzlichen Zins. In
Italien mussten zuweilen 40 % gezahlt werden, obgleich vom
12.—14. Jahrhundert der gewöhnliche Satz 20 % nicht überschritt.
Verona ordnete 12½ % als gesetzlichen Zins an. Kaiser Friedrich II.
setzte 10 % fest, aber dies bloss für die Juden. Für die Christen
mochte er nicht sprechen. 10 % war schon im 13. Jahrhundert
im rheinischen Deutschland das gewöhnliche. (Hüllmann, Geschichte
des Städtewesens. II. p. 55—57.)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/145>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.