"Willst du mir Lehren geben, Emir, du, den ich gar nicht kenne?"
"Nein. Wie kann ich es wagen, dich belehren zu wollen, da du mehr als mein Alter hast! Bereits als wir von der Magie sprachen, habe ich dir bewiesen, daß ich dich für weiser halte, als daß ich dich belehren könnte. Aber einen Rat darf auch der Jüngere dem Aelteren erteilen!"
"Ich weiß selbst, wie man diese Kurden zu behandeln hat. Sein Vater war Abd el Summit Bey, der meinen Vorgängern und besonders dem armen Selim Zillahi so große Mühe machte!"
"Soll sein Sohn euch dieselbe Mühe machen? Der Mutessarif braucht seine Truppen gegen die Araber, und einen Teil derselben muß er stets gegen die Dschesidi bereit halten, denen er nicht trauen darf. Was wird er sagen, wenn ich ihm mitteile, daß du die Kurden von Berwari so behandelst, daß auch hier ein Aufstand zu befürchten steht, wenn sie merken, daß der Gouverneur augenblicklich nicht die Macht besitzt, ihn niederzudrücken? Thue was du willst, Mutesselim. Ich werde dir weder eine Lehre noch einen Rat erteilen."
Dieses Argument frappierte ihn; das sah ich ihm an.
"Du meinst, daß ich den Kurden empfangen soll?"
"Thue, was du willst. Ich wiederhole es!"
"Wenn du mir versprichst, bei mir zu essen, so werde ich ihn in deiner Gegenwart hereinkommen lassen."
"Unter dieser Bedingung kann ich hier bleiben; denn ich gehe meist ja deshalb, damit er nicht meinetwegen noch länger warten müsse."
Der Mutesselim klatschte in die Hände, und aus einer Nebenthüre trat der Diener ein, welcher den Befehl erhielt, den Kurden hereinzurufen. Dieser schritt in stolzer Hal-
„Willſt du mir Lehren geben, Emir, du, den ich gar nicht kenne?“
„Nein. Wie kann ich es wagen, dich belehren zu wollen, da du mehr als mein Alter haſt! Bereits als wir von der Magie ſprachen, habe ich dir bewieſen, daß ich dich für weiſer halte, als daß ich dich belehren könnte. Aber einen Rat darf auch der Jüngere dem Aelteren erteilen!“
„Ich weiß ſelbſt, wie man dieſe Kurden zu behandeln hat. Sein Vater war Abd el Summit Bey, der meinen Vorgängern und beſonders dem armen Selim Zillahi ſo große Mühe machte!“
„Soll ſein Sohn euch dieſelbe Mühe machen? Der Muteſſarif braucht ſeine Truppen gegen die Araber, und einen Teil derſelben muß er ſtets gegen die Dſcheſidi bereit halten, denen er nicht trauen darf. Was wird er ſagen, wenn ich ihm mitteile, daß du die Kurden von Berwari ſo behandelſt, daß auch hier ein Aufſtand zu befürchten ſteht, wenn ſie merken, daß der Gouverneur augenblicklich nicht die Macht beſitzt, ihn niederzudrücken? Thue was du willſt, Muteſſelim. Ich werde dir weder eine Lehre noch einen Rat erteilen.“
Dieſes Argument frappierte ihn; das ſah ich ihm an.
„Du meinſt, daß ich den Kurden empfangen ſoll?“
„Thue, was du willſt. Ich wiederhole es!“
„Wenn du mir verſprichſt, bei mir zu eſſen, ſo werde ich ihn in deiner Gegenwart hereinkommen laſſen.“
„Unter dieſer Bedingung kann ich hier bleiben; denn ich gehe meiſt ja deshalb, damit er nicht meinetwegen noch länger warten müſſe.“
Der Muteſſelim klatſchte in die Hände, und aus einer Nebenthüre trat der Diener ein, welcher den Befehl erhielt, den Kurden hereinzurufen. Dieſer ſchritt in ſtolzer Hal-
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„Willſt du mir Lehren geben, Emir, du, den ich gar
nicht kenne?“
„Nein. Wie kann ich es wagen, dich belehren zu
wollen, da du mehr als mein Alter haſt! Bereits als
wir von der Magie ſprachen, habe ich dir bewieſen, daß
ich dich für weiſer halte, als daß ich dich belehren könnte.
Aber einen Rat darf auch der Jüngere dem Aelteren
erteilen!“
„Ich weiß ſelbſt, wie man dieſe Kurden zu behandeln
hat. Sein Vater war Abd el Summit Bey, der meinen
Vorgängern und beſonders dem armen Selim Zillahi ſo
große Mühe machte!“
„Soll ſein Sohn euch dieſelbe Mühe machen? Der
Muteſſarif braucht ſeine Truppen gegen die Araber, und
einen Teil derſelben muß er ſtets gegen die Dſcheſidi bereit
halten, denen er nicht trauen darf. Was wird er ſagen,
wenn ich ihm mitteile, daß du die Kurden von Berwari
ſo behandelſt, daß auch hier ein Aufſtand zu befürchten
ſteht, wenn ſie merken, daß der Gouverneur augenblicklich
nicht die Macht beſitzt, ihn niederzudrücken? Thue was
du willſt, Muteſſelim. Ich werde dir weder eine Lehre
noch einen Rat erteilen.“
Dieſes Argument frappierte ihn; das ſah ich ihm an.
„Du meinſt, daß ich den Kurden empfangen ſoll?“
„Thue, was du willſt. Ich wiederhole es!“
„Wenn du mir verſprichſt, bei mir zu eſſen, ſo werde
ich ihn in deiner Gegenwart hereinkommen laſſen.“
„Unter dieſer Bedingung kann ich hier bleiben; denn
ich gehe meiſt ja deshalb, damit er nicht meinetwegen noch
länger warten müſſe.“
Der Muteſſelim klatſchte in die Hände, und aus einer
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/206>, abgerufen am 22.12.2024.
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