tung in das Zimmer und grüßte mit einem kurzen "Sellam", ohne sich zu bücken.
"Du bist ein Bote des Bey von Gumri?" fragte der Kommandant.
"Ja."
"Was hat mir dein Herr zu sagen?"
"Mein Herr? Ein freier Kurde hat nie einen Herrn. Er ist mein Bey, mein Anführer im Kampfe, nicht aber mein Gebieter. Dieses Wort kennen nur die Türken und Perser."
"Ich habe dich nicht rufen lassen, um mich mit dir zu streiten. Was hast du an mich auszurichten?"
Der Kurde mochte ahnen, daß ich die Ursache sei, daß er nicht länger zu warten brauchte. Er warf mir einen verständnisvollen Blick zu und antwortete sehr ernst und langsam:
"Mutesselim, ich hatte etwas auszurichten; da ich aber so lange warten mußte, habe ich es vergessen. Der Bey muß dir also einen andern Boten senden, der es wohl nicht vergessen wird, wenn er nicht zu warten braucht!"
Das letzte Wort sprach er bereits unter der Thüre; dann war er verschwunden. Der Kommandant machte ein ganz verblüfftes Gesicht. So etwas hatte er nicht erwar- tet, während ich mir im stillen sagte, daß kein europäischer Ambassadeur korrekter hätte handeln können, als dieser junge, einfache Kurde. Es zuckte mir förmlich in den Bei- nen, ihm nachzueilen, um ihm meine Achtung und Aner- kennung auszusprechen. Auch der Mutesselim wollte ihm nachspringen, aber in etwas anderer Absicht.
"Schurke!" rief er aufspringend. "Ich werde -- --"
Er besann sich aber doch und blieb stehen. Ich stopfte mir sehr gleichmütig meinen Tschibuk und brannte an.
"Was sagst du dazu, Emir?" fragte er.
II. 13
tung in das Zimmer und grüßte mit einem kurzen „Sellam“, ohne ſich zu bücken.
„Du biſt ein Bote des Bey von Gumri?“ fragte der Kommandant.
„Ja.“
„Was hat mir dein Herr zu ſagen?“
„Mein Herr? Ein freier Kurde hat nie einen Herrn. Er iſt mein Bey, mein Anführer im Kampfe, nicht aber mein Gebieter. Dieſes Wort kennen nur die Türken und Perſer.“
„Ich habe dich nicht rufen laſſen, um mich mit dir zu ſtreiten. Was haſt du an mich auszurichten?“
Der Kurde mochte ahnen, daß ich die Urſache ſei, daß er nicht länger zu warten brauchte. Er warf mir einen verſtändnisvollen Blick zu und antwortete ſehr ernſt und langſam:
„Muteſſelim, ich hatte etwas auszurichten; da ich aber ſo lange warten mußte, habe ich es vergeſſen. Der Bey muß dir alſo einen andern Boten ſenden, der es wohl nicht vergeſſen wird, wenn er nicht zu warten braucht!“
Das letzte Wort ſprach er bereits unter der Thüre; dann war er verſchwunden. Der Kommandant machte ein ganz verblüfftes Geſicht. So etwas hatte er nicht erwar- tet, während ich mir im ſtillen ſagte, daß kein europäiſcher Ambaſſadeur korrekter hätte handeln können, als dieſer junge, einfache Kurde. Es zuckte mir förmlich in den Bei- nen, ihm nachzueilen, um ihm meine Achtung und Aner- kennung auszuſprechen. Auch der Muteſſelim wollte ihm nachſpringen, aber in etwas anderer Abſicht.
„Schurke!“ rief er aufſpringend. „Ich werde — —“
Er beſann ſich aber doch und blieb ſtehen. Ich ſtopfte mir ſehr gleichmütig meinen Tſchibuk und brannte an.
„Was ſagſt du dazu, Emir?“ fragte er.
II. 13
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tung in das Zimmer und grüßte mit einem kurzen „Sellam“,
ohne ſich zu bücken.
„Du biſt ein Bote des Bey von Gumri?“ fragte der
Kommandant.
„Ja.“
„Was hat mir dein Herr zu ſagen?“
„Mein Herr? Ein freier Kurde hat nie einen Herrn.
Er iſt mein Bey, mein Anführer im Kampfe, nicht aber
mein Gebieter. Dieſes Wort kennen nur die Türken und
Perſer.“
„Ich habe dich nicht rufen laſſen, um mich mit dir
zu ſtreiten. Was haſt du an mich auszurichten?“
Der Kurde mochte ahnen, daß ich die Urſache ſei,
daß er nicht länger zu warten brauchte. Er warf mir
einen verſtändnisvollen Blick zu und antwortete ſehr ernſt
und langſam:
„Muteſſelim, ich hatte etwas auszurichten; da ich
aber ſo lange warten mußte, habe ich es vergeſſen. Der
Bey muß dir alſo einen andern Boten ſenden, der es
wohl nicht vergeſſen wird, wenn er nicht zu warten braucht!“
Das letzte Wort ſprach er bereits unter der Thüre;
dann war er verſchwunden. Der Kommandant machte ein
ganz verblüfftes Geſicht. So etwas hatte er nicht erwar-
tet, während ich mir im ſtillen ſagte, daß kein europäiſcher
Ambaſſadeur korrekter hätte handeln können, als dieſer
junge, einfache Kurde. Es zuckte mir förmlich in den Bei-
nen, ihm nachzueilen, um ihm meine Achtung und Aner-
kennung auszuſprechen. Auch der Muteſſelim wollte ihm
nachſpringen, aber in etwas anderer Abſicht.
„Schurke!“ rief er aufſpringend. „Ich werde — —“
Er beſann ſich aber doch und blieb ſtehen. Ich ſtopfte
mir ſehr gleichmütig meinen Tſchibuk und brannte an.
„Was ſagſt du dazu, Emir?“ fragte er.
II. 13
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/207>, abgerufen am 22.12.2024.
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