Jetzt verließ ich ihn und kehrte zu den Gefährten zurück. Ehe ich das Haus erreichte, begegnete mir eine Truppe Arnauten, welche sich scheu zur Seite stellten und mich vorüber ließen. Unter der Thüre stand Mersinah und blickte ihnen nach. Ihr Angesicht glühte vor Zorn.
"Emir, ist schon einmal so etwas geschehen?" schnaubte sie mir entgegen.
"Was?"
"Daß ein Mutesselim bei seinem eignen Agha der Arnauten hat aussuchen lassen?"
"Das weiß ich nicht, o Engel des Hauses, denn ich bin noch niemals ein Agha der Arnauten gewesen."
"Und weißt du, was man suchte?"
"Nun?"
"Den entflohenen Araber! Einen Flüchtling bei dem Aufseher zu suchen! Aber kommt nur dieser Selim Agha nach Hause, so werde ich ihm sagen, was ich an seiner Stelle gethan hätte."
"Zanke nicht mit ihm. Er hat Leid genug zu tragen."
"Worüber?"
"Daß ich mit meinen Gefährten abreise."
"Du?"
Sie machte ein ganz unbeschreiblich erschrockenes Gesicht.
"Ja. Ich habe mich mit diesem Mutesselim gezankt und mag nicht länger an einem Orte bleiben, wo er ge- bietet."
"Allah, Tallah, Wallah! Herr, bleibe hier. Ich werde diesen Menschen zwingen, dir mit Ehrerbietung zu begegnen!"
Das war ein Versprechen, dessen Ausführung bei- zuwohnen höchst interessant gewesen wäre. Ich hielt sie aber leider für unmöglich und ließ Mersinah unten stehen, wo ihre Stimme fort grollte, wie ferner Donner. Droben
Jetzt verließ ich ihn und kehrte zu den Gefährten zurück. Ehe ich das Haus erreichte, begegnete mir eine Truppe Arnauten, welche ſich ſcheu zur Seite ſtellten und mich vorüber ließen. Unter der Thüre ſtand Merſinah und blickte ihnen nach. Ihr Angeſicht glühte vor Zorn.
„Emir, iſt ſchon einmal ſo etwas geſchehen?“ ſchnaubte ſie mir entgegen.
„Was?“
„Daß ein Muteſſelim bei ſeinem eignen Agha der Arnauten hat ausſuchen laſſen?“
„Das weiß ich nicht, o Engel des Hauſes, denn ich bin noch niemals ein Agha der Arnauten geweſen.“
„Und weißt du, was man ſuchte?“
„Nun?“
„Den entflohenen Araber! Einen Flüchtling bei dem Aufſeher zu ſuchen! Aber kommt nur dieſer Selim Agha nach Hauſe, ſo werde ich ihm ſagen, was ich an ſeiner Stelle gethan hätte.“
„Zanke nicht mit ihm. Er hat Leid genug zu tragen.“
„Worüber?“
„Daß ich mit meinen Gefährten abreiſe.“
„Du?“
Sie machte ein ganz unbeſchreiblich erſchrockenes Geſicht.
„Ja. Ich habe mich mit dieſem Muteſſelim gezankt und mag nicht länger an einem Orte bleiben, wo er ge- bietet.“
„Allah, Tallah, Wallah! Herr, bleibe hier. Ich werde dieſen Menſchen zwingen, dir mit Ehrerbietung zu begegnen!“
Das war ein Verſprechen, deſſen Ausführung bei- zuwohnen höchſt intereſſant geweſen wäre. Ich hielt ſie aber leider für unmöglich und ließ Merſinah unten ſtehen, wo ihre Stimme fort grollte, wie ferner Donner. Droben
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0372"n="358"/><p>Jetzt verließ ich ihn und kehrte zu den Gefährten<lb/>
zurück. Ehe ich das Haus erreichte, begegnete mir eine<lb/>
Truppe Arnauten, welche ſich ſcheu zur Seite ſtellten und<lb/>
mich vorüber ließen. Unter der Thüre ſtand Merſinah<lb/>
und blickte ihnen nach. Ihr Angeſicht glühte vor Zorn.</p><lb/><p>„Emir, iſt ſchon einmal ſo etwas geſchehen?“ſchnaubte<lb/>ſie mir entgegen.</p><lb/><p>„Was?“</p><lb/><p>„Daß ein Muteſſelim bei ſeinem eignen Agha der<lb/>
Arnauten hat ausſuchen laſſen?“</p><lb/><p>„Das weiß ich nicht, o Engel des Hauſes, denn ich<lb/>
bin noch niemals ein Agha der Arnauten geweſen.“</p><lb/><p>„Und weißt du, was man ſuchte?“</p><lb/><p>„Nun?“</p><lb/><p>„Den entflohenen Araber! Einen Flüchtling bei dem<lb/>
Aufſeher zu ſuchen! Aber kommt nur dieſer Selim Agha<lb/>
nach Hauſe, ſo werde ich ihm ſagen, was ich an ſeiner<lb/>
Stelle gethan hätte.“</p><lb/><p>„Zanke nicht mit ihm. Er hat Leid genug zu tragen.“</p><lb/><p>„Worüber?“</p><lb/><p>„Daß ich mit meinen Gefährten abreiſe.“</p><lb/><p>„Du?“</p><lb/><p>Sie machte ein ganz unbeſchreiblich erſchrockenes Geſicht.</p><lb/><p>„Ja. Ich habe mich mit dieſem Muteſſelim gezankt<lb/>
und mag nicht länger an einem Orte bleiben, wo er ge-<lb/>
bietet.“</p><lb/><p>„Allah, Tallah, Wallah! Herr, bleibe hier. Ich<lb/>
werde dieſen Menſchen zwingen, dir mit Ehrerbietung zu<lb/>
begegnen!“</p><lb/><p>Das war ein Verſprechen, deſſen Ausführung bei-<lb/>
zuwohnen höchſt intereſſant geweſen wäre. Ich hielt ſie<lb/>
aber leider für unmöglich und ließ Merſinah unten ſtehen,<lb/>
wo ihre Stimme fort grollte, wie ferner Donner. Droben<lb/></p></div></body></text></TEI>
[358/0372]
Jetzt verließ ich ihn und kehrte zu den Gefährten
zurück. Ehe ich das Haus erreichte, begegnete mir eine
Truppe Arnauten, welche ſich ſcheu zur Seite ſtellten und
mich vorüber ließen. Unter der Thüre ſtand Merſinah
und blickte ihnen nach. Ihr Angeſicht glühte vor Zorn.
„Emir, iſt ſchon einmal ſo etwas geſchehen?“ ſchnaubte
ſie mir entgegen.
„Was?“
„Daß ein Muteſſelim bei ſeinem eignen Agha der
Arnauten hat ausſuchen laſſen?“
„Das weiß ich nicht, o Engel des Hauſes, denn ich
bin noch niemals ein Agha der Arnauten geweſen.“
„Und weißt du, was man ſuchte?“
„Nun?“
„Den entflohenen Araber! Einen Flüchtling bei dem
Aufſeher zu ſuchen! Aber kommt nur dieſer Selim Agha
nach Hauſe, ſo werde ich ihm ſagen, was ich an ſeiner
Stelle gethan hätte.“
„Zanke nicht mit ihm. Er hat Leid genug zu tragen.“
„Worüber?“
„Daß ich mit meinen Gefährten abreiſe.“
„Du?“
Sie machte ein ganz unbeſchreiblich erſchrockenes Geſicht.
„Ja. Ich habe mich mit dieſem Muteſſelim gezankt
und mag nicht länger an einem Orte bleiben, wo er ge-
bietet.“
„Allah, Tallah, Wallah! Herr, bleibe hier. Ich
werde dieſen Menſchen zwingen, dir mit Ehrerbietung zu
begegnen!“
Das war ein Verſprechen, deſſen Ausführung bei-
zuwohnen höchſt intereſſant geweſen wäre. Ich hielt ſie
aber leider für unmöglich und ließ Merſinah unten ſtehen,
wo ihre Stimme fort grollte, wie ferner Donner. Droben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/372>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.