Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Er schlief."

"Warum zog er die Leiter empor?"

"Er wollte nicht gestört sein."

"Du sagtest doch, daß wir allein hier wohnen sollen."

"Er lag da bereits oben! Das wußte ich nicht, und
er wußte auch nicht, daß Gäste da sind."

"Er hat es gewußt."

"Woher?" fragte er barsch.

"Er war mit draußen vor dem Dorfe, als wir uns
trafen."

"Schweig! Er war daheim."

Dieser Mann verfiel wieder in seinen befehlshabe-
rischen Ton. Ich aber ließ mich nicht einschüchtern und
begann von neuem zu fragen:

"Wo sind die Männer, welche nicht in dein Dorf
gehören?"

"Sie sind nicht mehr da."

"Sage ihnen, daß sie ja nicht wiederkommen sollen!"

"Warum?"

"Das magst du erraten."

"Schweig! Ich rate nicht."

Nun ging er wieder fort, und die beiden anderen
folgten ihm.

Das Abendessen war ein sehr frugales: getrocknete
Maulbeeren, Brot, in Asche gerösteter Kürbis und Wasser.
Glücklicherweise aber hatten wir einigen Vorrat bei uns
und brauchten also nicht zu hungern. Während Halef
das Essen ordnete, ließ ich den jungen Haddedihn mit
der angezündeten zweiten Kerze hinaus auf den Flur
gehen. Die Thüre führte nämlich gleich neben der Ecke
des Hauses in dasselbe, und der Flur wurde also von
der Grundmauer und der Zimmerwand gebildet. Als
Amad mit dem Lichte draußen stand, stieg ich auf das

„Er ſchlief.“

„Warum zog er die Leiter empor?“

„Er wollte nicht geſtört ſein.“

„Du ſagteſt doch, daß wir allein hier wohnen ſollen.“

„Er lag da bereits oben! Das wußte ich nicht, und
er wußte auch nicht, daß Gäſte da ſind.“

„Er hat es gewußt.“

„Woher?“ fragte er barſch.

„Er war mit draußen vor dem Dorfe, als wir uns
trafen.“

„Schweig! Er war daheim.“

Dieſer Mann verfiel wieder in ſeinen befehlshabe-
riſchen Ton. Ich aber ließ mich nicht einſchüchtern und
begann von neuem zu fragen:

„Wo ſind die Männer, welche nicht in dein Dorf
gehören?“

„Sie ſind nicht mehr da.“

„Sage ihnen, daß ſie ja nicht wiederkommen ſollen!“

„Warum?“

„Das magſt du erraten.“

„Schweig! Ich rate nicht.“

Nun ging er wieder fort, und die beiden anderen
folgten ihm.

Das Abendeſſen war ein ſehr frugales: getrocknete
Maulbeeren, Brot, in Aſche geröſteter Kürbis und Waſſer.
Glücklicherweiſe aber hatten wir einigen Vorrat bei uns
und brauchten alſo nicht zu hungern. Während Halef
das Eſſen ordnete, ließ ich den jungen Haddedihn mit
der angezündeten zweiten Kerze hinaus auf den Flur
gehen. Die Thüre führte nämlich gleich neben der Ecke
des Hauſes in dasſelbe, und der Flur wurde alſo von
der Grundmauer und der Zimmerwand gebildet. Als
Amad mit dem Lichte draußen ſtand, ſtieg ich auf das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0401" n="387"/>
        <p>&#x201E;Er &#x017F;chlief.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum zog er die Leiter empor?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er wollte nicht ge&#x017F;tört &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du &#x017F;agte&#x017F;t doch, daß wir allein hier wohnen &#x017F;ollen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er lag da bereits oben! Das wußte ich nicht, und<lb/>
er wußte auch nicht, daß Gä&#x017F;te da &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er hat es gewußt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Woher?&#x201C; fragte er bar&#x017F;ch.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er war mit draußen vor dem Dorfe, als wir uns<lb/>
trafen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schweig! Er war daheim.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er Mann verfiel wieder in &#x017F;einen befehlshabe-<lb/>
ri&#x017F;chen Ton. Ich aber ließ mich nicht ein&#x017F;chüchtern und<lb/>
begann von neuem zu fragen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo &#x017F;ind die Männer, welche nicht in dein Dorf<lb/>
gehören?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;ind nicht mehr da.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sage ihnen, daß &#x017F;ie ja nicht wiederkommen &#x017F;ollen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das mag&#x017F;t du erraten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schweig! Ich rate nicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nun ging er wieder fort, und die beiden anderen<lb/>
folgten ihm.</p><lb/>
        <p>Das Abende&#x017F;&#x017F;en war ein &#x017F;ehr frugales: getrocknete<lb/>
Maulbeeren, Brot, in A&#x017F;che gerö&#x017F;teter Kürbis und Wa&#x017F;&#x017F;er.<lb/>
Glücklicherwei&#x017F;e aber hatten wir einigen Vorrat bei uns<lb/>
und brauchten al&#x017F;o nicht zu hungern. Während Halef<lb/>
das E&#x017F;&#x017F;en ordnete, ließ ich den jungen Haddedihn mit<lb/>
der angezündeten zweiten Kerze hinaus auf den Flur<lb/>
gehen. Die Thüre führte nämlich gleich neben der Ecke<lb/>
des Hau&#x017F;es in das&#x017F;elbe, und der Flur wurde al&#x017F;o von<lb/>
der Grundmauer und der Zimmerwand gebildet. Als<lb/>
Amad mit dem Lichte draußen &#x017F;tand, &#x017F;tieg ich auf das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0401] „Er ſchlief.“ „Warum zog er die Leiter empor?“ „Er wollte nicht geſtört ſein.“ „Du ſagteſt doch, daß wir allein hier wohnen ſollen.“ „Er lag da bereits oben! Das wußte ich nicht, und er wußte auch nicht, daß Gäſte da ſind.“ „Er hat es gewußt.“ „Woher?“ fragte er barſch. „Er war mit draußen vor dem Dorfe, als wir uns trafen.“ „Schweig! Er war daheim.“ Dieſer Mann verfiel wieder in ſeinen befehlshabe- riſchen Ton. Ich aber ließ mich nicht einſchüchtern und begann von neuem zu fragen: „Wo ſind die Männer, welche nicht in dein Dorf gehören?“ „Sie ſind nicht mehr da.“ „Sage ihnen, daß ſie ja nicht wiederkommen ſollen!“ „Warum?“ „Das magſt du erraten.“ „Schweig! Ich rate nicht.“ Nun ging er wieder fort, und die beiden anderen folgten ihm. Das Abendeſſen war ein ſehr frugales: getrocknete Maulbeeren, Brot, in Aſche geröſteter Kürbis und Waſſer. Glücklicherweiſe aber hatten wir einigen Vorrat bei uns und brauchten alſo nicht zu hungern. Während Halef das Eſſen ordnete, ließ ich den jungen Haddedihn mit der angezündeten zweiten Kerze hinaus auf den Flur gehen. Die Thüre führte nämlich gleich neben der Ecke des Hauſes in dasſelbe, und der Flur wurde alſo von der Grundmauer und der Zimmerwand gebildet. Als Amad mit dem Lichte draußen ſtand, ſtieg ich auf das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/401
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/401>, abgerufen am 23.12.2024.