Lizan nehmen; rührst du ein Glied falsch, oder sagst du ein lautes Wort gegen meinen Willen, so lasse ich dich zerreißen."
Er sah den grimmigen Tod vor Augen und wagte nicht den geringsten Widerstand. Zunächst nahm ich ihm seine Waffen ab: -- Flinte und Messer. Dann fesselte ich ihn mit der starken Hundeleine grad in der Weise, wie man mich gefesselt hatte, und endlich stieß ich ihn empor und band ihn an den Steigbügel, grad so, wie man es mir gemacht hatte.
"Erlaube, Nedschir-Bey, daß ich aufsteige; du bist heut lang genug zu Pferde gesessen. Vorwärts!"
Er folgte ohne Widerstand, denn er mußte einsehen, daß derselbe vollständig nutzlos wäre. Es fiel mir nicht ein, meine jetzige vorteilhafte Lage zu benutzen, um den Mann zu verhöhnen, und so verhielt ich mich vollständig schweigsam. Er selbst unterbrach die Stille, aber in einem so vorsichtigen Tone, daß ich die Befürchtung heraushörte, der Hund werde ihn beim ersten Laute packen.
"Herr, wer hat dich befreit?"
"Das hörst du später."
"Wohin bringst du mich?"
"Das wirst du sehen."
"Ich werde Madana peitschen lassen!" grollte er.
"Das wirst du bleiben lassen! Wo hast du meine Waffen und die andern Sachen?"
"Ich habe sie nicht."
"Sie werden sich finden. Höre, Nedschir-Bey, hast du kein besseres Pferd als dieses?"
"Ich habe Pferde genug!"
"Das ist mir lieb. Ich werde sie mir morgen an- sehen und mir eins derselben auswählen für das, das du mir heut erschießen ließest."
Lizan nehmen; rührſt du ein Glied falſch, oder ſagſt du ein lautes Wort gegen meinen Willen, ſo laſſe ich dich zerreißen.“
Er ſah den grimmigen Tod vor Augen und wagte nicht den geringſten Widerſtand. Zunächſt nahm ich ihm ſeine Waffen ab: — Flinte und Meſſer. Dann feſſelte ich ihn mit der ſtarken Hundeleine grad in der Weiſe, wie man mich gefeſſelt hatte, und endlich ſtieß ich ihn empor und band ihn an den Steigbügel, grad ſo, wie man es mir gemacht hatte.
„Erlaube, Nedſchir-Bey, daß ich aufſteige; du biſt heut lang genug zu Pferde geſeſſen. Vorwärts!“
Er folgte ohne Widerſtand, denn er mußte einſehen, daß derſelbe vollſtändig nutzlos wäre. Es fiel mir nicht ein, meine jetzige vorteilhafte Lage zu benutzen, um den Mann zu verhöhnen, und ſo verhielt ich mich vollſtändig ſchweigſam. Er ſelbſt unterbrach die Stille, aber in einem ſo vorſichtigen Tone, daß ich die Befürchtung heraushörte, der Hund werde ihn beim erſten Laute packen.
„Herr, wer hat dich befreit?“
„Das hörſt du ſpäter.“
„Wohin bringſt du mich?“
„Das wirſt du ſehen.“
„Ich werde Madana peitſchen laſſen!“ grollte er.
„Das wirſt du bleiben laſſen! Wo haſt du meine Waffen und die andern Sachen?“
„Ich habe ſie nicht.“
„Sie werden ſich finden. Höre, Nedſchir-Bey, haſt du kein beſſeres Pferd als dieſes?“
„Ich habe Pferde genug!“
„Das iſt mir lieb. Ich werde ſie mir morgen an- ſehen und mir eins derſelben auswählen für das, das du mir heut erſchießen ließeſt.“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0614"n="600"/>
Lizan nehmen; rührſt du ein Glied falſch, oder ſagſt du<lb/>
ein lautes Wort gegen meinen Willen, ſo laſſe ich dich<lb/>
zerreißen.“</p><lb/><p>Er ſah den grimmigen Tod vor Augen und wagte<lb/>
nicht den geringſten Widerſtand. Zunächſt nahm ich ihm<lb/>ſeine Waffen ab: — Flinte und Meſſer. Dann feſſelte<lb/>
ich ihn mit der ſtarken Hundeleine grad in der Weiſe,<lb/>
wie man mich gefeſſelt hatte, und endlich ſtieß ich ihn<lb/>
empor und band ihn an den Steigbügel, grad ſo, wie man<lb/>
es mir gemacht hatte.</p><lb/><p>„Erlaube, Nedſchir-Bey, daß ich aufſteige; du biſt<lb/>
heut lang genug zu Pferde geſeſſen. Vorwärts!“</p><lb/><p>Er folgte ohne Widerſtand, denn er mußte einſehen,<lb/>
daß derſelbe vollſtändig nutzlos wäre. Es fiel mir nicht<lb/>
ein, meine jetzige vorteilhafte Lage zu benutzen, um den<lb/>
Mann zu verhöhnen, und ſo verhielt ich mich vollſtändig<lb/>ſchweigſam. Er ſelbſt unterbrach die Stille, aber in einem<lb/>ſo vorſichtigen Tone, daß ich die Befürchtung heraushörte,<lb/>
der Hund werde ihn beim erſten Laute packen.</p><lb/><p>„Herr, wer hat dich befreit?“</p><lb/><p>„Das hörſt du ſpäter.“</p><lb/><p>„Wohin bringſt du mich?“</p><lb/><p>„Das wirſt du ſehen.“</p><lb/><p>„Ich werde Madana peitſchen laſſen!“ grollte er.</p><lb/><p>„Das wirſt du bleiben laſſen! Wo haſt du meine<lb/>
Waffen und die andern Sachen?“</p><lb/><p>„Ich habe ſie nicht.“</p><lb/><p>„Sie werden ſich finden. Höre, Nedſchir-Bey, haſt<lb/>
du kein beſſeres Pferd als dieſes?“</p><lb/><p>„Ich habe Pferde genug!“</p><lb/><p>„Das iſt mir lieb. Ich werde ſie mir morgen an-<lb/>ſehen und mir eins derſelben auswählen für das, das du<lb/>
mir heut erſchießen ließeſt.“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[600/0614]
Lizan nehmen; rührſt du ein Glied falſch, oder ſagſt du
ein lautes Wort gegen meinen Willen, ſo laſſe ich dich
zerreißen.“
Er ſah den grimmigen Tod vor Augen und wagte
nicht den geringſten Widerſtand. Zunächſt nahm ich ihm
ſeine Waffen ab: — Flinte und Meſſer. Dann feſſelte
ich ihn mit der ſtarken Hundeleine grad in der Weiſe,
wie man mich gefeſſelt hatte, und endlich ſtieß ich ihn
empor und band ihn an den Steigbügel, grad ſo, wie man
es mir gemacht hatte.
„Erlaube, Nedſchir-Bey, daß ich aufſteige; du biſt
heut lang genug zu Pferde geſeſſen. Vorwärts!“
Er folgte ohne Widerſtand, denn er mußte einſehen,
daß derſelbe vollſtändig nutzlos wäre. Es fiel mir nicht
ein, meine jetzige vorteilhafte Lage zu benutzen, um den
Mann zu verhöhnen, und ſo verhielt ich mich vollſtändig
ſchweigſam. Er ſelbſt unterbrach die Stille, aber in einem
ſo vorſichtigen Tone, daß ich die Befürchtung heraushörte,
der Hund werde ihn beim erſten Laute packen.
„Herr, wer hat dich befreit?“
„Das hörſt du ſpäter.“
„Wohin bringſt du mich?“
„Das wirſt du ſehen.“
„Ich werde Madana peitſchen laſſen!“ grollte er.
„Das wirſt du bleiben laſſen! Wo haſt du meine
Waffen und die andern Sachen?“
„Ich habe ſie nicht.“
„Sie werden ſich finden. Höre, Nedſchir-Bey, haſt
du kein beſſeres Pferd als dieſes?“
„Ich habe Pferde genug!“
„Das iſt mir lieb. Ich werde ſie mir morgen an-
ſehen und mir eins derſelben auswählen für das, das du
mir heut erſchießen ließeſt.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/614>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.