anhub freundlich zu lächeln und also zu sprechen: Sie sähe wohl, wie wahr der heilige Geist gesaget, verflucht ist, der sich auf Menschen verläßt *) und hätte die Un¬ treue, so der Junker an ihr bewiesen, gewißlich ihr ar¬ mes Herze gebrochen, wenn der barmherzige Gott ihme nicht gnädig zuvorgekommen und ihr in dieser Nacht ei¬ nen Traum eingegeben, so sie erzählen wölle, nicht umb den Richter zu persuadiren, sondern umb das weiße Haubt ihres armen Vaters wieder aufzurichten.
Nachdeme ich die ganze Nacht gesessen und gewa¬ chet (sagete sie) hörte ich gegen den Morgen eine Nach¬ tigall gar lieblich in dem Schloßgarten singen, worauf mir die Augen zufielen und ich entschlief. Alsbald kam es mir für, als wäre ich ein Lämmlein, und weidete in Cose¬ row ruhig auf meiner Bleichen. Da sprang der Amts¬ haubtmann über den Zaun, wandelte sich aber in einen Wulf umb, der mich in sein Maul nahm, und mit mir auf den Streckelberg zulief, allwo er sein Nest hatte. Ich armes Lämmlein zitterte und blökete vergeblich und sahe meinen Tod für Augen, als er mich vor sein Nest niedersetzete, allwo die Wülfin mit ihren Jungen lag. Aber siehe, alsobald reckete sich eine Hand, wie eines Mannes Hand durch das Gebüsche, und ergriff die Wülfe, einen jeglichen unter ihnen mit eim Finger und zerschei¬ terte sie also, daß Nichtes von ihnen übrig blieb, denn ein grau Pulver. Darauf nahm die Hand mich selb¬ sten auf und trug mich wieder zu meiner Bleichen. --
*) Jeremias 17, 5.
anhub freundlich zu lächeln und alſo zu ſprechen: Sie ſähe wohl, wie wahr der heilige Geiſt geſaget, verflucht iſt, der ſich auf Menſchen verläßt *) und hätte die Un¬ treue, ſo der Junker an ihr bewieſen, gewißlich ihr ar¬ mes Herze gebrochen, wenn der barmherzige Gott ihme nicht gnädig zuvorgekommen und ihr in dieſer Nacht ei¬ nen Traum eingegeben, ſo ſie erzählen wölle, nicht umb den Richter zu perſuadiren, ſondern umb das weiße Haubt ihres armen Vaters wieder aufzurichten.
Nachdeme ich die ganze Nacht geſeſſen und gewa¬ chet (ſagete ſie) hörte ich gegen den Morgen eine Nach¬ tigall gar lieblich in dem Schloßgarten ſingen, worauf mir die Augen zufielen und ich entſchlief. Alsbald kam es mir für, als wäre ich ein Lämmlein, und weidete in Coſe¬ row ruhig auf meiner Bleichen. Da ſprang der Amts¬ haubtmann über den Zaun, wandelte ſich aber in einen Wulf umb, der mich in ſein Maul nahm, und mit mir auf den Streckelberg zulief, allwo er ſein Neſt hatte. Ich armes Lämmlein zitterte und blökete vergeblich und ſahe meinen Tod für Augen, als er mich vor ſein Neſt niederſetzete, allwo die Wülfin mit ihren Jungen lag. Aber ſiehe, alſobald reckete ſich eine Hand, wie eines Mannes Hand durch das Gebüſche, und ergriff die Wülfe, einen jeglichen unter ihnen mit eim Finger und zerſchei¬ terte ſie alſo, daß Nichtes von ihnen übrig blieb, denn ein grau Pulver. Darauf nahm die Hand mich ſelb¬ ſten auf und trug mich wieder zu meiner Bleichen. —
*) Jeremias 17, 5.
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anhub freundlich zu lächeln und alſo zu ſprechen: Sie
ſähe wohl, wie wahr der heilige Geiſt geſaget, verflucht
iſt, der ſich auf Menſchen verläßt *) und hätte die Un¬
treue, ſo der Junker an ihr bewieſen, gewißlich ihr ar¬
mes Herze gebrochen, wenn der barmherzige Gott ihme
nicht gnädig zuvorgekommen und ihr in dieſer Nacht ei¬
nen Traum eingegeben, ſo ſie erzählen wölle, nicht umb
den Richter zu perſuadiren, ſondern umb das weiße Haubt
ihres armen Vaters wieder aufzurichten.
Nachdeme ich die ganze Nacht geſeſſen und gewa¬
chet (ſagete ſie) hörte ich gegen den Morgen eine Nach¬
tigall gar lieblich in dem Schloßgarten ſingen, worauf
mir die Augen zufielen und ich entſchlief. Alsbald kam es
mir für, als wäre ich ein Lämmlein, und weidete in Coſe¬
row ruhig auf meiner Bleichen. Da ſprang der Amts¬
haubtmann über den Zaun, wandelte ſich aber in einen
Wulf umb, der mich in ſein Maul nahm, und mit mir
auf den Streckelberg zulief, allwo er ſein Neſt hatte.
Ich armes Lämmlein zitterte und blökete vergeblich und
ſahe meinen Tod für Augen, als er mich vor ſein Neſt
niederſetzete, allwo die Wülfin mit ihren Jungen lag.
Aber ſiehe, alſobald reckete ſich eine Hand, wie eines
Mannes Hand durch das Gebüſche, und ergriff die Wülfe,
einen jeglichen unter ihnen mit eim Finger und zerſchei¬
terte ſie alſo, daß Nichtes von ihnen übrig blieb, denn
ein grau Pulver. Darauf nahm die Hand mich ſelb¬
ſten auf und trug mich wieder zu meiner Bleichen. —
*) Jeremias 17, 5.
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Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/184>, abgerufen am 21.11.2024.
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