Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

in seine Seele gekommen, in ganz andrer Rük-
sicht vorbereitet war. Sehr viel half ihm dies
wahrscheinlich im Verfolg! Und auch dann --
kaum stößt ihm hier eine Schwürigkeit auf; oder
vielmehr, kaum macht er sich selbst eine, so bricht
er sogleich von seinem Wege ab, und verbirgt
sich. EineFurcht, die dem eigentlichenBösewicht
nicht karakterisirt! -- Eben so wenig scheint
mir die Unbescholtenheit, die er nun ganzer fünf
Jahre in seinem moralischen Betragen behaup-
tete, bloße Verstellung gewesen zu seyn.
Zu anhaltend ist ein solcher Zeitraum; zu leicht
lernt man, grade an kleinen Orten, in den noth-
wendig engern Cirkeln der Gesellschaft, genau
sich kennen; zu vielfach sind die Pflichten, die
R. erst als Untergebner, dann als Gatte,
Bürger und Handelsmann, zu erfüllen hatte,
als daß der bloße Heuchler sich nicht wenig-
stens hier und da verrathen haben sollte. Ja,
noch mehr, selbst seltsam dünkt mich eine
solche moralische Besserung, der Form nach,
nicht. Nur auf das Erstgesagte darf man zu-
rük gehn, und sie erklärt sich von selbst! --

R.

in ſeine Seele gekommen, in ganz andrer Ruͤk-
ſicht vorbereitet war. Sehr viel half ihm dies
wahrſcheinlich im Verfolg! Und auch dann —
kaum ſtoͤßt ihm hier eine Schwuͤrigkeit auf; oder
vielmehr, kaum macht er ſich ſelbſt eine, ſo bricht
er ſogleich von ſeinem Wege ab, und verbirgt
ſich. EineFurcht, die dem eigentlichenBoͤſewicht
nicht karakteriſirt! — Eben ſo wenig ſcheint
mir die Unbeſcholtenheit, die er nun ganzer fuͤnf
Jahre in ſeinem moraliſchen Betragen behaup-
tete, bloße Verſtellung geweſen zu ſeyn.
Zu anhaltend iſt ein ſolcher Zeitraum; zu leicht
lernt man, grade an kleinen Orten, in den noth-
wendig engern Cirkeln der Geſellſchaft, genau
ſich kennen; zu vielfach ſind die Pflichten, die
R. erſt als Untergebner, dann als Gatte,
Buͤrger und Handelsmann, zu erfuͤllen hatte,
als daß der bloße Heuchler ſich nicht wenig-
ſtens hier und da verrathen haben ſollte. Ja,
noch mehr, ſelbſt ſeltſam duͤnkt mich eine
ſolche moraliſche Beſſerung, der Form nach,
nicht. Nur auf das Erſtgeſagte darf man zu-
ruͤk gehn, und ſie erklaͤrt ſich von ſelbſt! —

R.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0328" n="320"/>
in &#x017F;eine Seele gekommen, in ganz andrer Ru&#x0364;k-<lb/>
&#x017F;icht vorbereitet war. Sehr viel half ihm dies<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich im Verfolg! Und auch dann &#x2014;<lb/>
kaum &#x017F;to&#x0364;ßt ihm hier eine Schwu&#x0364;rigkeit auf; oder<lb/>
vielmehr, kaum macht er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t eine, &#x017F;o bricht<lb/>
er &#x017F;ogleich von &#x017F;einem Wege ab, und verbirgt<lb/>
&#x017F;ich. EineFurcht, die dem eigentlichenBo&#x0364;&#x017F;ewicht<lb/>
nicht karakteri&#x017F;irt! &#x2014; Eben &#x017F;o wenig &#x017F;cheint<lb/>
mir die Unbe&#x017F;choltenheit, die er nun ganzer fu&#x0364;nf<lb/>
Jahre in &#x017F;einem morali&#x017F;chen Betragen behaup-<lb/>
tete, bloße <hi rendition="#g">Ver&#x017F;tellung</hi> gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn.<lb/>
Zu anhaltend i&#x017F;t ein &#x017F;olcher Zeitraum; zu leicht<lb/>
lernt man, grade an kleinen Orten, in den noth-<lb/>
wendig engern Cirkeln der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, genau<lb/>
&#x017F;ich kennen; zu vielfach &#x017F;ind die Pflichten, die<lb/>
R. er&#x017F;t als Untergebner, dann als Gatte,<lb/>
Bu&#x0364;rger und Handelsmann, zu erfu&#x0364;llen hatte,<lb/>
als daß der bloße Heuchler &#x017F;ich nicht wenig-<lb/>
&#x017F;tens hier und da verrathen haben &#x017F;ollte. Ja,<lb/>
noch mehr, &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">&#x017F;elt&#x017F;am</hi> du&#x0364;nkt mich eine<lb/>
&#x017F;olche morali&#x017F;che Be&#x017F;&#x017F;erung, der Form nach,<lb/>
nicht. Nur auf das Er&#x017F;tge&#x017F;agte darf man zu-<lb/>
ru&#x0364;k gehn, und &#x017F;ie erkla&#x0364;rt &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t! &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">R.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[320/0328] in ſeine Seele gekommen, in ganz andrer Ruͤk- ſicht vorbereitet war. Sehr viel half ihm dies wahrſcheinlich im Verfolg! Und auch dann — kaum ſtoͤßt ihm hier eine Schwuͤrigkeit auf; oder vielmehr, kaum macht er ſich ſelbſt eine, ſo bricht er ſogleich von ſeinem Wege ab, und verbirgt ſich. EineFurcht, die dem eigentlichenBoͤſewicht nicht karakteriſirt! — Eben ſo wenig ſcheint mir die Unbeſcholtenheit, die er nun ganzer fuͤnf Jahre in ſeinem moraliſchen Betragen behaup- tete, bloße Verſtellung geweſen zu ſeyn. Zu anhaltend iſt ein ſolcher Zeitraum; zu leicht lernt man, grade an kleinen Orten, in den noth- wendig engern Cirkeln der Geſellſchaft, genau ſich kennen; zu vielfach ſind die Pflichten, die R. erſt als Untergebner, dann als Gatte, Buͤrger und Handelsmann, zu erfuͤllen hatte, als daß der bloße Heuchler ſich nicht wenig- ſtens hier und da verrathen haben ſollte. Ja, noch mehr, ſelbſt ſeltſam duͤnkt mich eine ſolche moraliſche Beſſerung, der Form nach, nicht. Nur auf das Erſtgeſagte darf man zu- ruͤk gehn, und ſie erklaͤrt ſich von ſelbſt! — R.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/328
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/328>, abgerufen am 23.11.2024.