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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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sich mit Unrecht angemaßt hat. Es kann seyn,
daß der Mißbrauch, durch irgend ein allgemeines
Vorurtheil, so um sich gegriffen, so sehr in den
Gemüthern der Menschen Wurzel gefaßt hat,
daß es nicht thunlich, oder nicht rathsam wäre,
ihn mit einem Male, ohne weise Vorbereitung
abzuschaffen; aber in diesem Falle ist es doch
wenigstens unsere Schuldigkeit, ihm von ferne
her entgegen zu arbeiten, und vorerst seiner fer-
nern Ausbreitung einen Damm entgegen zu se-
tzen. Können wir ein Uebel nicht völlig ausrot-
ten; so müssen wir ihm wenigstens die Wurzel
abstechen.

Dieses war das Resultat meiner Betrachtun-
gen, und ich wagte es, meine Gedanken dem
Publikum *) zur Beurtheilung vorzulegen; wie-
wohl ich meine Gründe damals nicht so ausführ-
lich angeben konnte, als hier in dem vorigen
Abschnitte geschehen.

Ich habe das Glück, in einem Staate zu le-
ben, in welchem diese meine Begriffe weder neu,
noch sonderlich auffallend sind. Der weise Re-

gent,
*) In der Vorrede zu Manasseh Ben Israels
Rettung der Juden
.
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ſich mit Unrecht angemaßt hat. Es kann ſeyn,
daß der Mißbrauch, durch irgend ein allgemeines
Vorurtheil, ſo um ſich gegriffen, ſo ſehr in den
Gemuͤthern der Menſchen Wurzel gefaßt hat,
daß es nicht thunlich, oder nicht rathſam waͤre,
ihn mit einem Male, ohne weiſe Vorbereitung
abzuſchaffen; aber in dieſem Falle iſt es doch
wenigſtens unſere Schuldigkeit, ihm von ferne
her entgegen zu arbeiten, und vorerſt ſeiner fer-
nern Ausbreitung einen Damm entgegen zu ſe-
tzen. Koͤnnen wir ein Uebel nicht voͤllig ausrot-
ten; ſo muͤſſen wir ihm wenigſtens die Wurzel
abſtechen.

Dieſes war das Reſultat meiner Betrachtun-
gen, und ich wagte es, meine Gedanken dem
Publikum *) zur Beurtheilung vorzulegen; wie-
wohl ich meine Gruͤnde damals nicht ſo ausfuͤhr-
lich angeben konnte, als hier in dem vorigen
Abſchnitte geſchehen.

Ich habe das Gluͤck, in einem Staate zu le-
ben, in welchem dieſe meine Begriffe weder neu,
noch ſonderlich auffallend ſind. Der weiſe Re-

gent,
*) In der Vorrede zu Manaſſeh Ben Iſraels
Rettung der Juden
.
A 3
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[5/0107] ſich mit Unrecht angemaßt hat. Es kann ſeyn, daß der Mißbrauch, durch irgend ein allgemeines Vorurtheil, ſo um ſich gegriffen, ſo ſehr in den Gemuͤthern der Menſchen Wurzel gefaßt hat, daß es nicht thunlich, oder nicht rathſam waͤre, ihn mit einem Male, ohne weiſe Vorbereitung abzuſchaffen; aber in dieſem Falle iſt es doch wenigſtens unſere Schuldigkeit, ihm von ferne her entgegen zu arbeiten, und vorerſt ſeiner fer- nern Ausbreitung einen Damm entgegen zu ſe- tzen. Koͤnnen wir ein Uebel nicht voͤllig ausrot- ten; ſo muͤſſen wir ihm wenigſtens die Wurzel abſtechen. Dieſes war das Reſultat meiner Betrachtun- gen, und ich wagte es, meine Gedanken dem Publikum *) zur Beurtheilung vorzulegen; wie- wohl ich meine Gruͤnde damals nicht ſo ausfuͤhr- lich angeben konnte, als hier in dem vorigen Abſchnitte geſchehen. Ich habe das Gluͤck, in einem Staate zu le- ben, in welchem dieſe meine Begriffe weder neu, noch ſonderlich auffallend ſind. Der weiſe Re- gent, *) In der Vorrede zu Manaſſeh Ben Iſraels Rettung der Juden. A 3

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/107>, abgerufen am 17.05.2024.