Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

gar nicht zu bekümmern, sondern jeden zu dul-
den habe, der sich bürgerlich gut aufführt, das
heißt seinen Mitbürgern, in Absicht ihrer zeit-
lichen Glückseligkeit, nicht hinderlich ist. Der
Staat, als Staat, hat auf keine Verschiedenheit
der Religionen zu sehen; denn Religion hat an
und für sich auf das Zeitliche keinen nothwen-
digen Einfluß, und stehet blos durch die Will-
kühr der Menschen mit demselben in Verbindung.

Sehr wohl! Ließe sich der Zwist durch eine
Worterklärung entscheiden; so wüßte ich keine
bequemere, und wenn sich die unruhigen Köpfe
seiner Zeit hiemit hätten die Intoleranz ausreden
lassen; so würde der gute Locke nicht nöthig ge-
habt haben, so oft ins Elend zu wandern. Allein
was hindert uns, fragen jene, daß wir nicht
auch unsere ewige Wohlfarth gemeinschaftlich zu
befördern suchen sollten? und in der That, was
für Grund haben wir, die Absicht der Gesellschaft
blos auf das Zeitliche einzuschränken? Wenn
die Menschen ihre ewige Seligkeit durch öffent-
liche Vorkehrungen befördern können; so ist es
ja ihre natürliche Pflicht es zu thun, ihre ver-
nunftmäßige Schuldigkeit, daß sie sich auch in
dieser Absicht zusammenthun, und in gesellschaft-

liche

gar nicht zu bekuͤmmern, ſondern jeden zu dul-
den habe, der ſich buͤrgerlich gut auffuͤhrt, das
heißt ſeinen Mitbuͤrgern, in Abſicht ihrer zeit-
lichen Gluͤckſeligkeit, nicht hinderlich iſt. Der
Staat, als Staat, hat auf keine Verſchiedenheit
der Religionen zu ſehen; denn Religion hat an
und fuͤr ſich auf das Zeitliche keinen nothwen-
digen Einfluß, und ſtehet blos durch die Will-
kuͤhr der Menſchen mit demſelben in Verbindung.

Sehr wohl! Ließe ſich der Zwiſt durch eine
Worterklaͤrung entſcheiden; ſo wuͤßte ich keine
bequemere, und wenn ſich die unruhigen Koͤpfe
ſeiner Zeit hiemit haͤtten die Intoleranz ausreden
laſſen; ſo wuͤrde der gute Locke nicht noͤthig ge-
habt haben, ſo oft ins Elend zu wandern. Allein
was hindert uns, fragen jene, daß wir nicht
auch unſere ewige Wohlfarth gemeinſchaftlich zu
befoͤrdern ſuchen ſollten? und in der That, was
fuͤr Grund haben wir, die Abſicht der Geſellſchaft
blos auf das Zeitliche einzuſchraͤnken? Wenn
die Menſchen ihre ewige Seligkeit durch oͤffent-
liche Vorkehrungen befoͤrdern koͤnnen; ſo iſt es
ja ihre natuͤrliche Pflicht es zu thun, ihre ver-
nunftmaͤßige Schuldigkeit, daß ſie ſich auch in
dieſer Abſicht zuſammenthun, und in geſellſchaft-

liche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0019" n="13"/>
gar nicht zu beku&#x0364;mmern, &#x017F;ondern jeden zu dul-<lb/>
den habe, der &#x017F;ich bu&#x0364;rgerlich gut auffu&#x0364;hrt, das<lb/>
heißt &#x017F;einen Mitbu&#x0364;rgern, in Ab&#x017F;icht ihrer zeit-<lb/>
lichen Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit, nicht hinderlich i&#x017F;t. Der<lb/>
Staat, als Staat, hat auf keine Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
der Religionen zu &#x017F;ehen; denn Religion hat an<lb/>
und fu&#x0364;r &#x017F;ich auf das Zeitliche keinen nothwen-<lb/>
digen Einfluß, und &#x017F;tehet blos durch die Will-<lb/>
ku&#x0364;hr der Men&#x017F;chen mit dem&#x017F;elben in Verbindung.</p><lb/>
      <p>Sehr wohl! Ließe &#x017F;ich der Zwi&#x017F;t durch eine<lb/>
Worterkla&#x0364;rung ent&#x017F;cheiden; &#x017F;o wu&#x0364;ßte ich keine<lb/>
bequemere, und wenn &#x017F;ich die unruhigen Ko&#x0364;pfe<lb/>
&#x017F;einer Zeit hiemit ha&#x0364;tten die Intoleranz ausreden<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;o wu&#x0364;rde der gute <hi rendition="#fr">Locke</hi> nicht no&#x0364;thig ge-<lb/>
habt haben, &#x017F;o oft ins Elend zu wandern. Allein<lb/>
was hindert uns, fragen jene, daß wir nicht<lb/>
auch un&#x017F;ere ewige Wohlfarth gemein&#x017F;chaftlich zu<lb/>
befo&#x0364;rdern &#x017F;uchen &#x017F;ollten? und in der That, was<lb/>
fu&#x0364;r Grund haben wir, die Ab&#x017F;icht der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
blos auf das <hi rendition="#fr">Zeitliche</hi> einzu&#x017F;chra&#x0364;nken? Wenn<lb/>
die Men&#x017F;chen ihre ewige Seligkeit durch o&#x0364;ffent-<lb/>
liche Vorkehrungen befo&#x0364;rdern <hi rendition="#fr">ko&#x0364;nnen</hi>; &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
ja ihre natu&#x0364;rliche Pflicht es zu <hi rendition="#fr">thun</hi>, ihre ver-<lb/>
nunftma&#x0364;ßige Schuldigkeit, daß &#x017F;ie &#x017F;ich auch in<lb/>
die&#x017F;er Ab&#x017F;icht zu&#x017F;ammenthun, und in ge&#x017F;ell&#x017F;chaft-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">liche</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0019] gar nicht zu bekuͤmmern, ſondern jeden zu dul- den habe, der ſich buͤrgerlich gut auffuͤhrt, das heißt ſeinen Mitbuͤrgern, in Abſicht ihrer zeit- lichen Gluͤckſeligkeit, nicht hinderlich iſt. Der Staat, als Staat, hat auf keine Verſchiedenheit der Religionen zu ſehen; denn Religion hat an und fuͤr ſich auf das Zeitliche keinen nothwen- digen Einfluß, und ſtehet blos durch die Will- kuͤhr der Menſchen mit demſelben in Verbindung. Sehr wohl! Ließe ſich der Zwiſt durch eine Worterklaͤrung entſcheiden; ſo wuͤßte ich keine bequemere, und wenn ſich die unruhigen Koͤpfe ſeiner Zeit hiemit haͤtten die Intoleranz ausreden laſſen; ſo wuͤrde der gute Locke nicht noͤthig ge- habt haben, ſo oft ins Elend zu wandern. Allein was hindert uns, fragen jene, daß wir nicht auch unſere ewige Wohlfarth gemeinſchaftlich zu befoͤrdern ſuchen ſollten? und in der That, was fuͤr Grund haben wir, die Abſicht der Geſellſchaft blos auf das Zeitliche einzuſchraͤnken? Wenn die Menſchen ihre ewige Seligkeit durch oͤffent- liche Vorkehrungen befoͤrdern koͤnnen; ſo iſt es ja ihre natuͤrliche Pflicht es zu thun, ihre ver- nunftmaͤßige Schuldigkeit, daß ſie ſich auch in dieſer Abſicht zuſammenthun, und in geſellſchaft- liche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/19
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/19>, abgerufen am 03.05.2024.