Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

tig seyn, durch seine Leiden so viel Gutes befer-
dert zu haben. Und wenn dieses ist; so kann
ich einen solchen Zustand nicht fürchten; so
kann ich keine Offenbarung wünschen, daß ich
niemals in diesen Zustand des großmüthigen,
meine Mitgeschöpfe und mich selbst beglückenden
Wohlwollens versetzt werden sollte. Was ich
zu fürchten habe, ist die Sünde selbst. Habe
ich die Sünde begangen; so ist die göttliche
Strafe eine Wohlthat für mich, eine Wirkung
seiner väterlichen Allbarmherzigkeit. So bald
sie aufhört Wohlthat für mich zu seyn; so bin
ich versichert, sie wird mir erlassen. Kann ich
wünschen, daß mein Vater seine züchtigende
Hand von mir abwende bevor sie gewirkt, was
sie hat wirken sollen? Wenn ich bitte, daß mir
Gott ein Vergehen soll ohne alle Ahndung hin-
gehen lassen, weis ich wohl selbst was ich bitte?
Ach! sicherlich, auch dieses ist eine Eigenschaft
der unendlichen Liebe Gottes, daß er kein Ver-
gehen der Menschen ohne alle Ahndung hingehen
läßt! -- -- Sicherlich

Allmacht

tig ſeyn, durch ſeine Leiden ſo viel Gutes befer-
dert zu haben. Und wenn dieſes iſt; ſo kann
ich einen ſolchen Zuſtand nicht fuͤrchten; ſo
kann ich keine Offenbarung wuͤnſchen, daß ich
niemals in dieſen Zuſtand des großmuͤthigen,
meine Mitgeſchoͤpfe und mich ſelbſt begluͤckenden
Wohlwollens verſetzt werden ſollte. Was ich
zu fuͤrchten habe, iſt die Suͤnde ſelbſt. Habe
ich die Suͤnde begangen; ſo iſt die goͤttliche
Strafe eine Wohlthat fuͤr mich, eine Wirkung
ſeiner vaͤterlichen Allbarmherzigkeit. So bald
ſie aufhoͤrt Wohlthat fuͤr mich zu ſeyn; ſo bin
ich verſichert, ſie wird mir erlaſſen. Kann ich
wuͤnſchen, daß mein Vater ſeine zuͤchtigende
Hand von mir abwende bevor ſie gewirkt, was
ſie hat wirken ſollen? Wenn ich bitte, daß mir
Gott ein Vergehen ſoll ohne alle Ahndung hin-
gehen laſſen, weis ich wohl ſelbſt was ich bitte?
Ach! ſicherlich, auch dieſes iſt eine Eigenſchaft
der unendlichen Liebe Gottes, daß er kein Ver-
gehen der Menſchen ohne alle Ahndung hingehen
laͤßt! — — Sicherlich

Allmacht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0211" n="109"/>
tig &#x017F;eyn, durch &#x017F;eine Leiden &#x017F;o viel Gutes befer-<lb/>
dert zu haben. Und wenn die&#x017F;es i&#x017F;t; &#x017F;o kann<lb/>
ich einen &#x017F;olchen Zu&#x017F;tand nicht fu&#x0364;rchten; &#x017F;o<lb/>
kann ich keine Offenbarung <hi rendition="#fr">wu&#x0364;n&#x017F;chen</hi>, daß ich<lb/>
niemals in die&#x017F;en Zu&#x017F;tand des großmu&#x0364;thigen,<lb/>
meine Mitge&#x017F;cho&#x0364;pfe und mich &#x017F;elb&#x017F;t beglu&#x0364;ckenden<lb/>
Wohlwollens ver&#x017F;etzt werden &#x017F;ollte. Was ich<lb/>
zu fu&#x0364;rchten habe, i&#x017F;t die Su&#x0364;nde &#x017F;elb&#x017F;t. Habe<lb/>
ich die Su&#x0364;nde begangen; &#x017F;o i&#x017F;t die go&#x0364;ttliche<lb/>
Strafe eine Wohlthat fu&#x0364;r mich, eine Wirkung<lb/>
&#x017F;einer va&#x0364;terlichen Allbarmherzigkeit. So bald<lb/>
&#x017F;ie aufho&#x0364;rt Wohlthat fu&#x0364;r mich zu &#x017F;eyn; &#x017F;o bin<lb/>
ich ver&#x017F;ichert, &#x017F;ie wird mir erla&#x017F;&#x017F;en. Kann ich<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß mein Vater &#x017F;eine zu&#x0364;chtigende<lb/>
Hand von mir abwende bevor &#x017F;ie gewirkt, was<lb/>
&#x017F;ie hat wirken &#x017F;ollen? Wenn ich bitte, daß mir<lb/>
Gott ein Vergehen &#x017F;oll ohne alle Ahndung hin-<lb/>
gehen la&#x017F;&#x017F;en, weis ich wohl &#x017F;elb&#x017F;t was ich bitte?<lb/>
Ach! &#x017F;icherlich, auch die&#x017F;es i&#x017F;t eine Eigen&#x017F;chaft<lb/>
der unendlichen Liebe Gottes, daß er kein Ver-<lb/>
gehen der Men&#x017F;chen ohne alle Ahndung hingehen<lb/>
la&#x0364;ßt! &#x2014; &#x2014; Sicherlich</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Allmacht</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0211] tig ſeyn, durch ſeine Leiden ſo viel Gutes befer- dert zu haben. Und wenn dieſes iſt; ſo kann ich einen ſolchen Zuſtand nicht fuͤrchten; ſo kann ich keine Offenbarung wuͤnſchen, daß ich niemals in dieſen Zuſtand des großmuͤthigen, meine Mitgeſchoͤpfe und mich ſelbſt begluͤckenden Wohlwollens verſetzt werden ſollte. Was ich zu fuͤrchten habe, iſt die Suͤnde ſelbſt. Habe ich die Suͤnde begangen; ſo iſt die goͤttliche Strafe eine Wohlthat fuͤr mich, eine Wirkung ſeiner vaͤterlichen Allbarmherzigkeit. So bald ſie aufhoͤrt Wohlthat fuͤr mich zu ſeyn; ſo bin ich verſichert, ſie wird mir erlaſſen. Kann ich wuͤnſchen, daß mein Vater ſeine zuͤchtigende Hand von mir abwende bevor ſie gewirkt, was ſie hat wirken ſollen? Wenn ich bitte, daß mir Gott ein Vergehen ſoll ohne alle Ahndung hin- gehen laſſen, weis ich wohl ſelbſt was ich bitte? Ach! ſicherlich, auch dieſes iſt eine Eigenſchaft der unendlichen Liebe Gottes, daß er kein Ver- gehen der Menſchen ohne alle Ahndung hingehen laͤßt! — — Sicherlich Allmacht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/211
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/211>, abgerufen am 21.11.2024.