Bürger nie Collisionsfälle vorkommen können. Ist aber dieses, so findet auch zwischen Kirche und Bürger kein Vertrag statt; denn alle Ver- träge setzen Collisionsfälle voraus, die zu ent- scheiden sind. Wo keine unvollkommene Rechte Statt haben, entstehen keine Collisionen der An- sprüche, und wo nicht Ansprüche gegen Ansprü- che entschieden werden sollen, da ist Vertrag ein Unding.
Alle menschliche Verträge haben also der Kir- che kein Recht auf Gut und Eigentum beyle- gen können, da sie ihrem Wesen nach auf keins derselben Anspruch machen, oder ein unvollkom- menes Recht haben kann. Ihr kann also nie- mals ein Zwangsrecht zukommen, und den Mit- gliedern kann keine Zwangspflicht gegen dieselbe aufgelegt werden Alle Rechte der Kirche sind, Vermahnen, Belehren, Stärken und Trösten, und die Pflichten der Bürger gegen die Kirche sind ein geneigtes Ohr und ein williges Herz.*)
So
*) Der Psalmist singet: Dir gefällt nicht Opfer, nicht Geschenk Ohren hast du mir gegraben! (Ps. 40, 7.)
Buͤrger nie Colliſionsfaͤlle vorkommen koͤnnen. Iſt aber dieſes, ſo findet auch zwiſchen Kirche und Buͤrger kein Vertrag ſtatt; denn alle Ver- traͤge ſetzen Colliſionsfaͤlle voraus, die zu ent- ſcheiden ſind. Wo keine unvollkommene Rechte Statt haben, entſtehen keine Colliſionen der An- ſpruͤche, und wo nicht Anſpruͤche gegen Anſpruͤ- che entſchieden werden ſollen, da iſt Vertrag ein Unding.
Alle menſchliche Vertraͤge haben alſo der Kir- che kein Recht auf Gut und Eigentum beyle- gen koͤnnen, da ſie ihrem Weſen nach auf keins derſelben Anſpruch machen, oder ein unvollkom- menes Recht haben kann. Ihr kann alſo nie- mals ein Zwangsrecht zukommen, und den Mit- gliedern kann keine Zwangspflicht gegen dieſelbe aufgelegt werden Alle Rechte der Kirche ſind, Vermahnen, Belehren, Staͤrken und Troͤſten, und die Pflichten der Buͤrger gegen die Kirche ſind ein geneigtes Ohr und ein williges Herz.*)
So
*) Der Pſalmiſt ſinget: Dir gefaͤllt nicht Opfer, nicht Geſchenk Ohren haſt du mir gegraben! (Pſ. 40, 7.)
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Buͤrger nie Colliſionsfaͤlle vorkommen koͤnnen.
Iſt aber dieſes, ſo findet auch zwiſchen Kirche
und Buͤrger kein Vertrag ſtatt; denn alle Ver-
traͤge ſetzen Colliſionsfaͤlle voraus, die zu ent-
ſcheiden ſind. Wo keine unvollkommene Rechte
Statt haben, entſtehen keine Colliſionen der An-
ſpruͤche, und wo nicht Anſpruͤche gegen Anſpruͤ-
che entſchieden werden ſollen, da iſt Vertrag ein
Unding.
Alle menſchliche Vertraͤge haben alſo der Kir-
che kein Recht auf Gut und Eigentum beyle-
gen koͤnnen, da ſie ihrem Weſen nach auf keins
derſelben Anſpruch machen, oder ein unvollkom-
menes Recht haben kann. Ihr kann alſo nie-
mals ein Zwangsrecht zukommen, und den Mit-
gliedern kann keine Zwangspflicht gegen dieſelbe
aufgelegt werden Alle Rechte der Kirche ſind,
Vermahnen, Belehren, Staͤrken und Troͤſten,
und die Pflichten der Buͤrger gegen die Kirche
ſind ein geneigtes Ohr und ein williges Herz. *)
So
*) Der Pſalmiſt ſinget:
Dir gefaͤllt nicht Opfer, nicht Geſchenk
Ohren haſt du mir gegraben!
(Pſ. 40, 7.)
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/68>, abgerufen am 16.02.2025.
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