Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Alles Beschwören und Abschwören in Ab-
sicht auf Grundsätze und Lehrmeinungen sind
diesemnach unzulässig, und wenn sie geleistet
worden, so verbinden sie zu nichts, als zur
Reue: über den sträflich begangenen Leichtsinn.
Wenn ich itzt eine Meinung beschwöre; so bin
ich Augenblicks darauf nichts desto weniger
frey, sie zu verwerfen. Die Unthat eines ver-
geblichen Eides ist begangen, wenn ich sie auch
beybehalte; und Meineid ist nicht geschehen,
wenn ich sie verwerfe.

Man vergesse nicht, daß nach meinen
Grundsätzen der Staat nicht befugt sey, mit
gewissen bestimmten Lehrmeinungen, Besol-
dung, Ehrenamt und Vorzug zu verbinden.
Was das Lehramt betrift; so ist es seine
Pflicht, Lehrer zu bestellen, die Fähigkeit ha-
ben, Weisheit und Tugend zu lehren, und
solche nützliche Wahrheiten zu verbreiten, auf
denen die Glückseligkeit der menschlichen Gesell-
schaft unmittelbar beruhet. Alle nähere Be-
stimmungen müssen ihrem besten Wissen und Ge-
wissen überlassen werden, wo nicht unendliche

Ver-
F 4

Alles Beſchwoͤren und Abſchwoͤren in Ab-
ſicht auf Grundſaͤtze und Lehrmeinungen ſind
dieſemnach unzulaͤſſig, und wenn ſie geleiſtet
worden, ſo verbinden ſie zu nichts, als zur
Reue: uͤber den ſtraͤflich begangenen Leichtſinn.
Wenn ich itzt eine Meinung beſchwoͤre; ſo bin
ich Augenblicks darauf nichts deſto weniger
frey, ſie zu verwerfen. Die Unthat eines ver-
geblichen Eides iſt begangen, wenn ich ſie auch
beybehalte; und Meineid iſt nicht geſchehen,
wenn ich ſie verwerfe.

Man vergeſſe nicht, daß nach meinen
Grundſaͤtzen der Staat nicht befugt ſey, mit
gewiſſen beſtimmten Lehrmeinungen, Beſol-
dung, Ehrenamt und Vorzug zu verbinden.
Was das Lehramt betrift; ſo iſt es ſeine
Pflicht, Lehrer zu beſtellen, die Faͤhigkeit ha-
ben, Weisheit und Tugend zu lehren, und
ſolche nuͤtzliche Wahrheiten zu verbreiten, auf
denen die Gluͤckſeligkeit der menſchlichen Geſell-
ſchaft unmittelbar beruhet. Alle naͤhere Be-
ſtimmungen muͤſſen ihrem beſten Wiſſen und Ge-
wiſſen uͤberlaſſen werden, wo nicht unendliche

Ver-
F 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0093" n="87"/>
      <p>Alles Be&#x017F;chwo&#x0364;ren und Ab&#x017F;chwo&#x0364;ren in Ab-<lb/>
&#x017F;icht auf Grund&#x017F;a&#x0364;tze und Lehrmeinungen &#x017F;ind<lb/>
die&#x017F;emnach unzula&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig, und wenn &#x017F;ie gelei&#x017F;tet<lb/>
worden, &#x017F;o verbinden &#x017F;ie zu nichts, als zur<lb/>
Reue: u&#x0364;ber den &#x017F;tra&#x0364;flich begangenen Leicht&#x017F;inn.<lb/>
Wenn ich itzt eine Meinung be&#x017F;chwo&#x0364;re; &#x017F;o bin<lb/>
ich Augenblicks darauf nichts de&#x017F;to weniger<lb/>
frey, &#x017F;ie zu verwerfen. Die Unthat eines ver-<lb/>
geblichen <hi rendition="#fr">Eides</hi> i&#x017F;t begangen, wenn ich &#x017F;ie auch<lb/>
beybehalte; und <hi rendition="#fr">Meineid</hi> i&#x017F;t nicht ge&#x017F;chehen,<lb/>
wenn ich &#x017F;ie verwerfe.</p><lb/>
      <p>Man verge&#x017F;&#x017F;e nicht, daß nach meinen<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tzen der Staat nicht befugt &#x017F;ey, mit<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;timmten Lehrmeinungen, Be&#x017F;ol-<lb/>
dung, Ehrenamt und Vorzug zu verbinden.<lb/>
Was das Lehramt betrift; &#x017F;o i&#x017F;t es &#x017F;eine<lb/>
Pflicht, Lehrer zu be&#x017F;tellen, die Fa&#x0364;higkeit ha-<lb/>
ben, Weisheit und Tugend zu lehren, und<lb/>
&#x017F;olche nu&#x0364;tzliche Wahrheiten zu verbreiten, auf<lb/>
denen die Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit der men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft unmittelbar beruhet. Alle na&#x0364;here Be-<lb/>
&#x017F;timmungen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ihrem be&#x017F;ten Wi&#x017F;&#x017F;en und Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en werden, wo nicht unendliche<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0093] Alles Beſchwoͤren und Abſchwoͤren in Ab- ſicht auf Grundſaͤtze und Lehrmeinungen ſind dieſemnach unzulaͤſſig, und wenn ſie geleiſtet worden, ſo verbinden ſie zu nichts, als zur Reue: uͤber den ſtraͤflich begangenen Leichtſinn. Wenn ich itzt eine Meinung beſchwoͤre; ſo bin ich Augenblicks darauf nichts deſto weniger frey, ſie zu verwerfen. Die Unthat eines ver- geblichen Eides iſt begangen, wenn ich ſie auch beybehalte; und Meineid iſt nicht geſchehen, wenn ich ſie verwerfe. Man vergeſſe nicht, daß nach meinen Grundſaͤtzen der Staat nicht befugt ſey, mit gewiſſen beſtimmten Lehrmeinungen, Beſol- dung, Ehrenamt und Vorzug zu verbinden. Was das Lehramt betrift; ſo iſt es ſeine Pflicht, Lehrer zu beſtellen, die Faͤhigkeit ha- ben, Weisheit und Tugend zu lehren, und ſolche nuͤtzliche Wahrheiten zu verbreiten, auf denen die Gluͤckſeligkeit der menſchlichen Geſell- ſchaft unmittelbar beruhet. Alle naͤhere Be- ſtimmungen muͤſſen ihrem beſten Wiſſen und Ge- wiſſen uͤberlaſſen werden, wo nicht unendliche Ver- F 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/93
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/93>, abgerufen am 21.11.2024.