Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie schleicht dieß matte, süßliche Gift einschläfernd
in die Seelen und schmilzt Herzen und Nieren in
einen weichen Brei. Eine gleißnerische Sprache fließt
wie Honig von den Lippen; der Priester legt den
Stolz, den ersten Chorrock, ab und wird der liebe,
freundliche Hausfreund, und drückt so warm die Hand;
die eiserne Moral schmiegt sich biegsam wie ein
Blankscheit an zarte Busen; die Andacht wird zum
schwarzen Trauergewand, das so reizend den Teint
hebt; die Begeisterung wird als Roth aufgelegt. Wie
brauchbar scheint euch diese Schminke, diese elende
Flachmalerei einer verschmitzten Tugend und koketten
Gottesfurcht, die es sagt, wie viel sie heimlich Gu¬
tes thut, und nicht aufs Knie fällt, ohne den Rock
in die nettesten Falten zu legen. Wie höflich ist Re¬
ligion, die alte Zuchtmeisterin, geworden, wie artig
und ohne sich zu compromittiren, kann man jetzt das
eckige, strenge, gothische Wesen verbannen und zu
der kleinen wohlfeilen Hauskapelle flüchten; wie zeit¬
gemäß, welch ein längst gefühltes Bedürfniß des ge¬
bildeten Jahrhunderts ist ein Buch, das für uns be¬
tet, für uns gute Vorsätze hat, für uns empfindet,
und das wir blos zu lesen brauchen. Wird in die¬
ser Weise fortgefahren, so scheint der Zeitpunkt nicht
mehr fern, da das wahrhaft religiöse Leben, die
fromme Andacht, die Begeisterung der Liebe, Ehre
und Gerechtigkeit, der Sporn zur That aus dem Ge¬
rüst leerer, glatter Worte eben so entweichen, wie
sie dereinst den todten äußern Werken des Katholi¬

Wie ſchleicht dieß matte, ſuͤßliche Gift einſchlaͤfernd
in die Seelen und ſchmilzt Herzen und Nieren in
einen weichen Brei. Eine gleißneriſche Sprache fließt
wie Honig von den Lippen; der Prieſter legt den
Stolz, den erſten Chorrock, ab und wird der liebe,
freundliche Hausfreund, und druͤckt ſo warm die Hand;
die eiſerne Moral ſchmiegt ſich biegſam wie ein
Blankſcheit an zarte Buſen; die Andacht wird zum
ſchwarzen Trauergewand, das ſo reizend den Teint
hebt; die Begeiſterung wird als Roth aufgelegt. Wie
brauchbar ſcheint euch dieſe Schminke, dieſe elende
Flachmalerei einer verſchmitzten Tugend und koketten
Gottesfurcht, die es ſagt, wie viel ſie heimlich Gu¬
tes thut, und nicht aufs Knie faͤllt, ohne den Rock
in die netteſten Falten zu legen. Wie hoͤflich iſt Re¬
ligion, die alte Zuchtmeiſterin, geworden, wie artig
und ohne ſich zu compromittiren, kann man jetzt das
eckige, ſtrenge, gothiſche Weſen verbannen und zu
der kleinen wohlfeilen Hauskapelle fluͤchten; wie zeit¬
gemaͤß, welch ein laͤngſt gefuͤhltes Beduͤrfniß des ge¬
bildeten Jahrhunderts iſt ein Buch, das fuͤr uns be¬
tet, fuͤr uns gute Vorſaͤtze hat, fuͤr uns empfindet,
und das wir blos zu leſen brauchen. Wird in die¬
ſer Weiſe fortgefahren, ſo ſcheint der Zeitpunkt nicht
mehr fern, da das wahrhaft religioͤſe Leben, die
fromme Andacht, die Begeiſterung der Liebe, Ehre
und Gerechtigkeit, der Sporn zur That aus dem Ge¬
ruͤſt leerer, glatter Worte eben ſo entweichen, wie
ſie dereinſt den todten aͤußern Werken des Katholi¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="134"/>
Wie &#x017F;chleicht dieß matte, &#x017F;u&#x0364;ßliche Gift ein&#x017F;chla&#x0364;fernd<lb/>
in die Seelen und &#x017F;chmilzt Herzen und Nieren in<lb/>
einen weichen Brei. Eine gleißneri&#x017F;che Sprache fließt<lb/>
wie Honig von den Lippen; der Prie&#x017F;ter legt den<lb/>
Stolz, den er&#x017F;ten Chorrock, ab und wird der liebe,<lb/>
freundliche Hausfreund, und dru&#x0364;ckt &#x017F;o warm die Hand;<lb/>
die ei&#x017F;erne Moral &#x017F;chmiegt &#x017F;ich bieg&#x017F;am wie ein<lb/>
Blank&#x017F;cheit an zarte Bu&#x017F;en; die Andacht wird zum<lb/>
&#x017F;chwarzen Trauergewand, das &#x017F;o reizend den Teint<lb/>
hebt; die Begei&#x017F;terung wird als Roth aufgelegt. Wie<lb/>
brauchbar &#x017F;cheint euch die&#x017F;e Schminke, die&#x017F;e elende<lb/>
Flachmalerei einer ver&#x017F;chmitzten Tugend und koketten<lb/>
Gottesfurcht, die es &#x017F;agt, wie viel &#x017F;ie heimlich Gu¬<lb/>
tes thut, und nicht aufs Knie fa&#x0364;llt, ohne den Rock<lb/>
in die nette&#x017F;ten Falten zu legen. Wie ho&#x0364;flich i&#x017F;t Re¬<lb/>
ligion, die alte Zuchtmei&#x017F;terin, geworden, wie artig<lb/>
und ohne &#x017F;ich zu compromittiren, kann man jetzt das<lb/>
eckige, &#x017F;trenge, gothi&#x017F;che We&#x017F;en verbannen und zu<lb/>
der kleinen wohlfeilen Hauskapelle flu&#x0364;chten; wie zeit¬<lb/>
gema&#x0364;ß, welch ein la&#x0364;ng&#x017F;t gefu&#x0364;hltes Bedu&#x0364;rfniß des ge¬<lb/>
bildeten Jahrhunderts i&#x017F;t ein Buch, das fu&#x0364;r uns be¬<lb/>
tet, fu&#x0364;r uns gute Vor&#x017F;a&#x0364;tze hat, fu&#x0364;r uns empfindet,<lb/>
und das wir blos zu <hi rendition="#g">le&#x017F;en</hi> brauchen. Wird in die¬<lb/>
&#x017F;er Wei&#x017F;e fortgefahren, &#x017F;o &#x017F;cheint der Zeitpunkt nicht<lb/>
mehr fern, da das wahrhaft religio&#x0364;&#x017F;e Leben, die<lb/>
fromme Andacht, die Begei&#x017F;terung der Liebe, Ehre<lb/>
und Gerechtigkeit, der Sporn zur That aus dem Ge¬<lb/>
ru&#x0364;&#x017F;t leerer, glatter Worte eben &#x017F;o entweichen, wie<lb/>
&#x017F;ie derein&#x017F;t den todten a&#x0364;ußern Werken des Katholi¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0144] Wie ſchleicht dieß matte, ſuͤßliche Gift einſchlaͤfernd in die Seelen und ſchmilzt Herzen und Nieren in einen weichen Brei. Eine gleißneriſche Sprache fließt wie Honig von den Lippen; der Prieſter legt den Stolz, den erſten Chorrock, ab und wird der liebe, freundliche Hausfreund, und druͤckt ſo warm die Hand; die eiſerne Moral ſchmiegt ſich biegſam wie ein Blankſcheit an zarte Buſen; die Andacht wird zum ſchwarzen Trauergewand, das ſo reizend den Teint hebt; die Begeiſterung wird als Roth aufgelegt. Wie brauchbar ſcheint euch dieſe Schminke, dieſe elende Flachmalerei einer verſchmitzten Tugend und koketten Gottesfurcht, die es ſagt, wie viel ſie heimlich Gu¬ tes thut, und nicht aufs Knie faͤllt, ohne den Rock in die netteſten Falten zu legen. Wie hoͤflich iſt Re¬ ligion, die alte Zuchtmeiſterin, geworden, wie artig und ohne ſich zu compromittiren, kann man jetzt das eckige, ſtrenge, gothiſche Weſen verbannen und zu der kleinen wohlfeilen Hauskapelle fluͤchten; wie zeit¬ gemaͤß, welch ein laͤngſt gefuͤhltes Beduͤrfniß des ge¬ bildeten Jahrhunderts iſt ein Buch, das fuͤr uns be¬ tet, fuͤr uns gute Vorſaͤtze hat, fuͤr uns empfindet, und das wir blos zu leſen brauchen. Wird in die¬ ſer Weiſe fortgefahren, ſo ſcheint der Zeitpunkt nicht mehr fern, da das wahrhaft religioͤſe Leben, die fromme Andacht, die Begeiſterung der Liebe, Ehre und Gerechtigkeit, der Sporn zur That aus dem Ge¬ ruͤſt leerer, glatter Worte eben ſo entweichen, wie ſie dereinſt den todten aͤußern Werken des Katholi¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/144
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/144>, abgerufen am 24.11.2024.