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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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cismus abhanden gekommen. Worte sind keine bes¬
sern Träger des Geistes, als äußre symbolische Hand¬
lungen. Ein System von geläufigen und schmiegsa¬
men Begriffen kann eben so das wahre religiöse Le¬
ben heucheln, als jenes erstarrte System der äußern
Werkthätigkeit. Die Reue, die guten Vorsätze kön¬
nen im Schwall der religiösen Lektüre so gut ersti¬
cken, als im Prunk der Opfer und Kirchenbußen.
Man glaubt eben so leicht, gethan zu haben, was
man blos gelesen, als man sich mit dem Abbeten ei¬
nes Rosenkranzes befriedigt. Die Tugend selbst wird
zu einer bloßen Reflexion über Tugend, ja die Ver¬
nunft, von der so viel geredet wird, ist nur das leere
Wort, und die meisten jener Mäkler, Krittler, Fin¬
gerzeiggeber, Hausfreunde, Warner und Raisonneurs
bringen nur eine traurige Abstumpfung oder Sophi¬
sterei gegen das Heilige hervor, die im Munde des
gemeinen Volks zur Brutalität wird.

Die niedern Stände, immer die Affen der hö¬
hern, ziehen jetzt die abgetragenen Kleider derselben
an, und viele sehen wir mit einer Aufklärung sich
brüsten, die von den traurigsten Symptomen begleitet
ist. Das Volk findet in einer kühnen Verläugnung
des Heiligen eine neue Art von Absolution und sün¬
digt leichter. Sein Unglaube ist roher, wie es sein
Glaube gewesen. Schon nimmt es mancher Bauer
für eine Beleidigung auf, wenn man ihm noch den
frommen Glauben der Väter zutraut. Herr, hat mir
schon mancher gesagt, hält Er mich für so dumm?

cismus abhanden gekommen. Worte ſind keine beſ¬
ſern Traͤger des Geiſtes, als aͤußre ſymboliſche Hand¬
lungen. Ein Syſtem von gelaͤufigen und ſchmiegſa¬
men Begriffen kann eben ſo das wahre religioͤſe Le¬
ben heucheln, als jenes erſtarrte Syſtem der aͤußern
Werkthaͤtigkeit. Die Reue, die guten Vorſaͤtze koͤn¬
nen im Schwall der religioͤſen Lektuͤre ſo gut erſti¬
cken, als im Prunk der Opfer und Kirchenbußen.
Man glaubt eben ſo leicht, gethan zu haben, was
man blos geleſen, als man ſich mit dem Abbeten ei¬
nes Roſenkranzes befriedigt. Die Tugend ſelbſt wird
zu einer bloßen Reflexion uͤber Tugend, ja die Ver¬
nunft, von der ſo viel geredet wird, iſt nur das leere
Wort, und die meiſten jener Maͤkler, Krittler, Fin¬
gerzeiggeber, Hausfreunde, Warner und Raiſonneurs
bringen nur eine traurige Abſtumpfung oder Sophi¬
ſterei gegen das Heilige hervor, die im Munde des
gemeinen Volks zur Brutalitaͤt wird.

Die niedern Staͤnde, immer die Affen der hoͤ¬
hern, ziehen jetzt die abgetragenen Kleider derſelben
an, und viele ſehen wir mit einer Aufklaͤrung ſich
bruͤſten, die von den traurigſten Symptomen begleitet
iſt. Das Volk findet in einer kuͤhnen Verlaͤugnung
des Heiligen eine neue Art von Abſolution und ſuͤn¬
digt leichter. Sein Unglaube iſt roher, wie es ſein
Glaube geweſen. Schon nimmt es mancher Bauer
fuͤr eine Beleidigung auf, wenn man ihm noch den
frommen Glauben der Vaͤter zutraut. Herr, hat mir
ſchon mancher geſagt, haͤlt Er mich fuͤr ſo dumm?

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[135/0145] cismus abhanden gekommen. Worte ſind keine beſ¬ ſern Traͤger des Geiſtes, als aͤußre ſymboliſche Hand¬ lungen. Ein Syſtem von gelaͤufigen und ſchmiegſa¬ men Begriffen kann eben ſo das wahre religioͤſe Le¬ ben heucheln, als jenes erſtarrte Syſtem der aͤußern Werkthaͤtigkeit. Die Reue, die guten Vorſaͤtze koͤn¬ nen im Schwall der religioͤſen Lektuͤre ſo gut erſti¬ cken, als im Prunk der Opfer und Kirchenbußen. Man glaubt eben ſo leicht, gethan zu haben, was man blos geleſen, als man ſich mit dem Abbeten ei¬ nes Roſenkranzes befriedigt. Die Tugend ſelbſt wird zu einer bloßen Reflexion uͤber Tugend, ja die Ver¬ nunft, von der ſo viel geredet wird, iſt nur das leere Wort, und die meiſten jener Maͤkler, Krittler, Fin¬ gerzeiggeber, Hausfreunde, Warner und Raiſonneurs bringen nur eine traurige Abſtumpfung oder Sophi¬ ſterei gegen das Heilige hervor, die im Munde des gemeinen Volks zur Brutalitaͤt wird. Die niedern Staͤnde, immer die Affen der hoͤ¬ hern, ziehen jetzt die abgetragenen Kleider derſelben an, und viele ſehen wir mit einer Aufklaͤrung ſich bruͤſten, die von den traurigſten Symptomen begleitet iſt. Das Volk findet in einer kuͤhnen Verlaͤugnung des Heiligen eine neue Art von Abſolution und ſuͤn¬ digt leichter. Sein Unglaube iſt roher, wie es ſein Glaube geweſen. Schon nimmt es mancher Bauer fuͤr eine Beleidigung auf, wenn man ihm noch den frommen Glauben der Vaͤter zutraut. Herr, hat mir ſchon mancher geſagt, haͤlt Er mich fuͤr ſo dumm?

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/145>, abgerufen am 24.11.2024.