vorgebracht hat, lassen sich dagegen hauptsächlich drei Einwendungen machen, und sind gemacht worden.
Zuerst gilt, daß jede Neuerung in religiösen Dingen die Achtung vor dem Alten vernichtet oder schmälert. Das ehrwürdige Alter der protestanti¬ schen Einrichtungen ist für die Masse des Volks ge¬ wiß noch der stärkste Damm gegen den Indifferen¬ tismus. Reißt man diesen vollends auf eine authen¬ tische und legitime Weise um, so dürfte weder etwas vernünftiges, noch etwas glänzendes Neues die alte geheiligte Ehrfurcht ersetzen, und es dürfte die um¬ gekehrte Wirkung erfolgen. Man dürfte gegen das Neue noch gleichgültiger werden, weil man weniger hergebrachten Respekt davor hat. Die vorgeschlage¬ nen Neuerungen gehören nicht zu denen, die wie das Christenthum selbst in seiner ersten Erscheinung, oder wie später, der Muhamedanismus und so auch der Protestantismus die Zeitgenossen aufregten und ge¬ gen alle äußern Befehle zur freien Selbstthä¬ tigkeit begeisterten. Es sind vielmehr Neuerungen, die auf einen äußern Befehl gegen die freie Selbst¬ thätigkeit gerichtet sind. Ihre Stärke liegt in einem äußren Zwange, nicht in einer innern Begeisterung. Sie sind daher auch bei weitem lauer, schwächer, ohnmächtiger, als jene natürlichen Neuerungen, und zugleich auch schwächer, als die alten Gewohnheiten, die sie umstürzen wollen. Am stärksten wirkt das Neue nur, wenn es lebendige Überzeugung, eigner freier Wille, nichts Gebotenes, Aufgedrängtes ist.
vorgebracht hat, laſſen ſich dagegen hauptſaͤchlich drei Einwendungen machen, und ſind gemacht worden.
Zuerſt gilt, daß jede Neuerung in religioͤſen Dingen die Achtung vor dem Alten vernichtet oder ſchmaͤlert. Das ehrwuͤrdige Alter der proteſtanti¬ ſchen Einrichtungen iſt fuͤr die Maſſe des Volks ge¬ wiß noch der ſtaͤrkſte Damm gegen den Indifferen¬ tismus. Reißt man dieſen vollends auf eine authen¬ tiſche und legitime Weiſe um, ſo duͤrfte weder etwas vernuͤnftiges, noch etwas glaͤnzendes Neues die alte geheiligte Ehrfurcht erſetzen, und es duͤrfte die um¬ gekehrte Wirkung erfolgen. Man duͤrfte gegen das Neue noch gleichguͤltiger werden, weil man weniger hergebrachten Reſpekt davor hat. Die vorgeſchlage¬ nen Neuerungen gehoͤren nicht zu denen, die wie das Chriſtenthum ſelbſt in ſeiner erſten Erſcheinung, oder wie ſpaͤter, der Muhamedanismus und ſo auch der Proteſtantismus die Zeitgenoſſen aufregten und ge¬ gen alle aͤußern Befehle zur freien Selbſtthaͤ¬ tigkeit begeiſterten. Es ſind vielmehr Neuerungen, die auf einen aͤußern Befehl gegen die freie Selbſt¬ thaͤtigkeit gerichtet ſind. Ihre Staͤrke liegt in einem aͤußren Zwange, nicht in einer innern Begeiſterung. Sie ſind daher auch bei weitem lauer, ſchwaͤcher, ohnmaͤchtiger, als jene natuͤrlichen Neuerungen, und zugleich auch ſchwaͤcher, als die alten Gewohnheiten, die ſie umſtuͤrzen wollen. Am ſtaͤrkſten wirkt das Neue nur, wenn es lebendige Überzeugung, eigner freier Wille, nichts Gebotenes, Aufgedraͤngtes iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0151"n="141"/>
vorgebracht hat, laſſen ſich dagegen hauptſaͤchlich drei<lb/>
Einwendungen machen, und ſind gemacht worden.</p><lb/><p>Zuerſt gilt, daß jede Neuerung in religioͤſen<lb/>
Dingen die Achtung vor dem Alten vernichtet oder<lb/>ſchmaͤlert. Das ehrwuͤrdige Alter der proteſtanti¬<lb/>ſchen Einrichtungen iſt fuͤr die Maſſe des Volks ge¬<lb/>
wiß noch der ſtaͤrkſte Damm gegen den Indifferen¬<lb/>
tismus. Reißt man dieſen vollends auf eine authen¬<lb/>
tiſche und legitime Weiſe um, ſo duͤrfte weder etwas<lb/>
vernuͤnftiges, noch etwas glaͤnzendes Neues die alte<lb/>
geheiligte Ehrfurcht erſetzen, und es duͤrfte die um¬<lb/>
gekehrte Wirkung erfolgen. Man duͤrfte gegen das<lb/>
Neue noch gleichguͤltiger werden, weil man weniger<lb/>
hergebrachten Reſpekt davor hat. Die vorgeſchlage¬<lb/>
nen Neuerungen gehoͤren nicht zu denen, die wie das<lb/>
Chriſtenthum ſelbſt in ſeiner erſten Erſcheinung, oder<lb/>
wie ſpaͤter, der Muhamedanismus und ſo auch der<lb/>
Proteſtantismus die Zeitgenoſſen aufregten und <hirendition="#g">ge¬<lb/>
gen alle aͤußern Befehle</hi> zur freien Selbſtthaͤ¬<lb/>
tigkeit begeiſterten. Es ſind vielmehr Neuerungen,<lb/>
die auf einen aͤußern Befehl gegen die freie Selbſt¬<lb/>
thaͤtigkeit gerichtet ſind. Ihre Staͤrke liegt in einem<lb/>
aͤußren Zwange, nicht in einer innern Begeiſterung.<lb/>
Sie ſind daher auch bei weitem lauer, ſchwaͤcher,<lb/>
ohnmaͤchtiger, als jene natuͤrlichen Neuerungen, und<lb/>
zugleich auch ſchwaͤcher, als die alten Gewohnheiten,<lb/>
die ſie umſtuͤrzen wollen. Am ſtaͤrkſten wirkt das<lb/>
Neue nur, wenn es lebendige Überzeugung, eigner<lb/>
freier Wille, nichts Gebotenes, Aufgedraͤngtes iſt.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[141/0151]
vorgebracht hat, laſſen ſich dagegen hauptſaͤchlich drei
Einwendungen machen, und ſind gemacht worden.
Zuerſt gilt, daß jede Neuerung in religioͤſen
Dingen die Achtung vor dem Alten vernichtet oder
ſchmaͤlert. Das ehrwuͤrdige Alter der proteſtanti¬
ſchen Einrichtungen iſt fuͤr die Maſſe des Volks ge¬
wiß noch der ſtaͤrkſte Damm gegen den Indifferen¬
tismus. Reißt man dieſen vollends auf eine authen¬
tiſche und legitime Weiſe um, ſo duͤrfte weder etwas
vernuͤnftiges, noch etwas glaͤnzendes Neues die alte
geheiligte Ehrfurcht erſetzen, und es duͤrfte die um¬
gekehrte Wirkung erfolgen. Man duͤrfte gegen das
Neue noch gleichguͤltiger werden, weil man weniger
hergebrachten Reſpekt davor hat. Die vorgeſchlage¬
nen Neuerungen gehoͤren nicht zu denen, die wie das
Chriſtenthum ſelbſt in ſeiner erſten Erſcheinung, oder
wie ſpaͤter, der Muhamedanismus und ſo auch der
Proteſtantismus die Zeitgenoſſen aufregten und ge¬
gen alle aͤußern Befehle zur freien Selbſtthaͤ¬
tigkeit begeiſterten. Es ſind vielmehr Neuerungen,
die auf einen aͤußern Befehl gegen die freie Selbſt¬
thaͤtigkeit gerichtet ſind. Ihre Staͤrke liegt in einem
aͤußren Zwange, nicht in einer innern Begeiſterung.
Sie ſind daher auch bei weitem lauer, ſchwaͤcher,
ohnmaͤchtiger, als jene natuͤrlichen Neuerungen, und
zugleich auch ſchwaͤcher, als die alten Gewohnheiten,
die ſie umſtuͤrzen wollen. Am ſtaͤrkſten wirkt das
Neue nur, wenn es lebendige Überzeugung, eigner
freier Wille, nichts Gebotenes, Aufgedraͤngtes iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/151>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.