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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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gen der europäischen Völkerstämme gewährt und da¬
durch der Geschichtsforschung den wesentlichsten Dienst
geleistet. Insbesondre müssen wir die Verdienste Ja¬
kob Grimm's um die Geschichte der deutschen Dia¬
lekte preisen.

Wir sehn die Philologen jetzt in einem Kampfe
begriffen. Ursprünglich herrschte bei den Katholiken
das Lateinische vor, die Protestanten brachten das
Studium der griechischen und orientalischen Spra¬
chen auf zum Behuf der Exegese. Später wurden
die romanischen Sprachen in Deutschland beliebt, und
in neuern Zeiten hat man eine große Aufmerksamkeit
theils auf die deutschen Dialekte, theils auf das In¬
dische, Arabische und Persische gewendet. Nur die
slavischen Sprachen sind uns noch wie bisher fremd
geblieben, oder es ist nur höchst wenig dafür gelei¬
stet worden. Die griechisch-lateinischen Philologen
haben sich nun dem Deutsch-orientalischen entgegen¬
gesetzt. Sie halten an ihrem alten Vorurtheil für
das classische Alterthum und gegen die germanische
Barbarei, und lächeln verächtlich über die Thoren,
denen das Nibelungenlied und die Minnesänger ne¬
ben Homer und Horaz auch etwas gelten. Erbittert
aber sind sie gegen die Orientalen, die ihnen ihr
Monopol, über das Alterthum zu entscheiden, zu
entreißen drohen. Sie sehn jenseits Griechenland
und Rom im Orient nur dieselbe Barbarei, die sie
im Mittelalter erkennen, da die Orientalisten aber
große Aufklärungen über die Urzeit, das mythische

gen der europaͤiſchen Voͤlkerſtaͤmme gewaͤhrt und da¬
durch der Geſchichtsforſchung den weſentlichſten Dienſt
geleiſtet. Insbeſondre muͤſſen wir die Verdienſte Ja¬
kob Grimm's um die Geſchichte der deutſchen Dia¬
lekte preiſen.

Wir ſehn die Philologen jetzt in einem Kampfe
begriffen. Urſpruͤnglich herrſchte bei den Katholiken
das Lateiniſche vor, die Proteſtanten brachten das
Studium der griechiſchen und orientaliſchen Spra¬
chen auf zum Behuf der Exegeſe. Spaͤter wurden
die romaniſchen Sprachen in Deutſchland beliebt, und
in neuern Zeiten hat man eine große Aufmerkſamkeit
theils auf die deutſchen Dialekte, theils auf das In¬
diſche, Arabiſche und Perſiſche gewendet. Nur die
ſlaviſchen Sprachen ſind uns noch wie bisher fremd
geblieben, oder es iſt nur hoͤchſt wenig dafuͤr gelei¬
ſtet worden. Die griechiſch-lateiniſchen Philologen
haben ſich nun dem Deutſch-orientaliſchen entgegen¬
geſetzt. Sie halten an ihrem alten Vorurtheil fuͤr
das claſſiſche Alterthum und gegen die germaniſche
Barbarei, und laͤcheln veraͤchtlich uͤber die Thoren,
denen das Nibelungenlied und die Minneſaͤnger ne¬
ben Homer und Horaz auch etwas gelten. Erbittert
aber ſind ſie gegen die Orientalen, die ihnen ihr
Monopol, uͤber das Alterthum zu entſcheiden, zu
entreißen drohen. Sie ſehn jenſeits Griechenland
und Rom im Orient nur dieſelbe Barbarei, die ſie
im Mittelalter erkennen, da die Orientaliſten aber
große Aufklaͤrungen uͤber die Urzeit, das mythiſche

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[194/0204] gen der europaͤiſchen Voͤlkerſtaͤmme gewaͤhrt und da¬ durch der Geſchichtsforſchung den weſentlichſten Dienſt geleiſtet. Insbeſondre muͤſſen wir die Verdienſte Ja¬ kob Grimm's um die Geſchichte der deutſchen Dia¬ lekte preiſen. Wir ſehn die Philologen jetzt in einem Kampfe begriffen. Urſpruͤnglich herrſchte bei den Katholiken das Lateiniſche vor, die Proteſtanten brachten das Studium der griechiſchen und orientaliſchen Spra¬ chen auf zum Behuf der Exegeſe. Spaͤter wurden die romaniſchen Sprachen in Deutſchland beliebt, und in neuern Zeiten hat man eine große Aufmerkſamkeit theils auf die deutſchen Dialekte, theils auf das In¬ diſche, Arabiſche und Perſiſche gewendet. Nur die ſlaviſchen Sprachen ſind uns noch wie bisher fremd geblieben, oder es iſt nur hoͤchſt wenig dafuͤr gelei¬ ſtet worden. Die griechiſch-lateiniſchen Philologen haben ſich nun dem Deutſch-orientaliſchen entgegen¬ geſetzt. Sie halten an ihrem alten Vorurtheil fuͤr das claſſiſche Alterthum und gegen die germaniſche Barbarei, und laͤcheln veraͤchtlich uͤber die Thoren, denen das Nibelungenlied und die Minneſaͤnger ne¬ ben Homer und Horaz auch etwas gelten. Erbittert aber ſind ſie gegen die Orientalen, die ihnen ihr Monopol, uͤber das Alterthum zu entſcheiden, zu entreißen drohen. Sie ſehn jenſeits Griechenland und Rom im Orient nur dieſelbe Barbarei, die ſie im Mittelalter erkennen, da die Orientaliſten aber große Aufklaͤrungen uͤber die Urzeit, das mythiſche

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/204>, abgerufen am 21.11.2024.