Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.feststellten, haben die Vermuthungen, Meinungen und Die Ansichten, welche die Geschichtsforscher feſtſtellten, haben die Vermuthungen, Meinungen und Die Anſichten, welche die Geſchichtsforſcher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0213" n="203"/> feſtſtellten, haben die Vermuthungen, Meinungen und<lb/> Einbildungen eine Menge verſchiedner Anſichten er¬<lb/> zeugt, und die Kritik hat mehr vom Temperament<lb/> oder Syſtem der Forſchenden, als von den Thatſa¬<lb/> chen ſelbſt den Maaßſtab entlehnt. Man hat auch<lb/> wohl verſucht, die unzweideutigſten Thatſachen zu<lb/> entſtellen, um ihnen ein beliebiges Anſehn zu geben,<lb/> ſie einer Lieblingsneigung, einer Theorie oder einer<lb/> praktiſchen Abſicht anzupaſſen. Man hat die That¬<lb/> ſachen aus ihrem natuͤrlichen Zuſammenhange geriſſen,<lb/> das Eine ungebuͤhrlich hervorgehoben, das Andre nur<lb/> nebenbei gewuͤrdigt oder uͤberſehn, dem Gewiſſen ei¬<lb/> nen falſchen Sinn untergelegt, dem Ungewiſſen einen<lb/> beliebigen, und ſich ſelbſt nicht geſcheut, hin und wie¬<lb/> der abſichtlich zu luͤgen.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Anſichten</hi>, welche die Geſchichtsforſcher<lb/> in ihr Studium hineintragen, ſind willkuͤrlich oder<lb/> unwillkuͤrlich. Es gibt allerdings Gelehrte, welche<lb/> mit Abſicht die Geſchichte verfaͤlſchen, um ſie als<lb/> Werkzeug des Parteikampfes zu benutzen, oder wohl<lb/> gar aus Froͤmmigkeit oder Patriotismus, oder aus<lb/> Moral, oder nur, um eine einmal ausgeſprochne<lb/> Lieblingsmeinung nicht zuruͤcknehmen zu muͤſſen. Bei<lb/> weitem mehr Gelehrte bringen aber ganz unwillkuͤr¬<lb/> lich falſche, oder wenigſtens einſeitige Anſichten in<lb/> die Geſchichte. Die Anſicht der Partei, unter wel¬<lb/> cher man geboren und aufgezogen worden iſt, draͤngt<lb/> ſich uns uͤberall auf, und wir ſehn durch ihre Brille,<lb/> ohne es zu wiſſen. Ich kann hier die mannigfaltigen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [203/0213]
feſtſtellten, haben die Vermuthungen, Meinungen und
Einbildungen eine Menge verſchiedner Anſichten er¬
zeugt, und die Kritik hat mehr vom Temperament
oder Syſtem der Forſchenden, als von den Thatſa¬
chen ſelbſt den Maaßſtab entlehnt. Man hat auch
wohl verſucht, die unzweideutigſten Thatſachen zu
entſtellen, um ihnen ein beliebiges Anſehn zu geben,
ſie einer Lieblingsneigung, einer Theorie oder einer
praktiſchen Abſicht anzupaſſen. Man hat die That¬
ſachen aus ihrem natuͤrlichen Zuſammenhange geriſſen,
das Eine ungebuͤhrlich hervorgehoben, das Andre nur
nebenbei gewuͤrdigt oder uͤberſehn, dem Gewiſſen ei¬
nen falſchen Sinn untergelegt, dem Ungewiſſen einen
beliebigen, und ſich ſelbſt nicht geſcheut, hin und wie¬
der abſichtlich zu luͤgen.
Die Anſichten, welche die Geſchichtsforſcher
in ihr Studium hineintragen, ſind willkuͤrlich oder
unwillkuͤrlich. Es gibt allerdings Gelehrte, welche
mit Abſicht die Geſchichte verfaͤlſchen, um ſie als
Werkzeug des Parteikampfes zu benutzen, oder wohl
gar aus Froͤmmigkeit oder Patriotismus, oder aus
Moral, oder nur, um eine einmal ausgeſprochne
Lieblingsmeinung nicht zuruͤcknehmen zu muͤſſen. Bei
weitem mehr Gelehrte bringen aber ganz unwillkuͤr¬
lich falſche, oder wenigſtens einſeitige Anſichten in
die Geſchichte. Die Anſicht der Partei, unter wel¬
cher man geboren und aufgezogen worden iſt, draͤngt
ſich uns uͤberall auf, und wir ſehn durch ihre Brille,
ohne es zu wiſſen. Ich kann hier die mannigfaltigen
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