bern und den trostlosen Grundsatz geltend machten, alles, was sie nicht verstanden, zu läugnen, und alles, was nicht mit der modernen Aufklärung har¬ monirte, so darzustellen, als ob es von rechtswegen nie hätte existiren sollen. Da durften Schlözer und Rühs alles sogenannte Vorgeschichtliche als dumme Fabel wegwerfen, und die ganze Zunft durfte das Mittelalter als Barbarei verdammen. Man sah die Geschichte nicht mehr, wie das weit vernünftigere Mittelalter immer gethan, als ein organisches Leben an; man erfreute sich nicht mehr ihres Gemäldes, das unermeßlich, wie die Natur, zugleich eben so in allen Theilen harmonisch ist; man strebte nicht mehr das innerste Geheimniß und den Zusammenhang des großen geschichtlichen Lebens zu begreifen; vielmehr stellte man sich in jenem frevelhaften Übermuth, der jene Generation charakterisirt, über die Vorsehung selbst und meisterte sie, tadelte die Werke derselben und nahm als bekannt an, daß man es von Anfang an in der Welt besser gemacht haben würde. Man glaubte die Geschichte nur wie ein übel bestelltes Erbe plündern zu müssen. Wenig schien nutzbar, das alte Geräth ward in die Polterkammer gewiesen. Man zog durch die Hallen der Geschichte wie stürmende Soldaten und verbrannte die herrlichen Wandtape¬ ten, wie die von Raphael, um Gold daraus zu schmelzen. Nichts erhielt Würdigung und Schonung, als was man für den Augenblick brauchen konnte. Das revolutionirende Jahrhundert fand daher nur
bern und den troſtloſen Grundſatz geltend machten, alles, was ſie nicht verſtanden, zu laͤugnen, und alles, was nicht mit der modernen Aufklaͤrung har¬ monirte, ſo darzuſtellen, als ob es von rechtswegen nie haͤtte exiſtiren ſollen. Da durften Schloͤzer und Ruͤhs alles ſogenannte Vorgeſchichtliche als dumme Fabel wegwerfen, und die ganze Zunft durfte das Mittelalter als Barbarei verdammen. Man ſah die Geſchichte nicht mehr, wie das weit vernuͤnftigere Mittelalter immer gethan, als ein organiſches Leben an; man erfreute ſich nicht mehr ihres Gemaͤldes, das unermeßlich, wie die Natur, zugleich eben ſo in allen Theilen harmoniſch iſt; man ſtrebte nicht mehr das innerſte Geheimniß und den Zuſammenhang des großen geſchichtlichen Lebens zu begreifen; vielmehr ſtellte man ſich in jenem frevelhaften Übermuth, der jene Generation charakteriſirt, uͤber die Vorſehung ſelbſt und meiſterte ſie, tadelte die Werke derſelben und nahm als bekannt an, daß man es von Anfang an in der Welt beſſer gemacht haben wuͤrde. Man glaubte die Geſchichte nur wie ein uͤbel beſtelltes Erbe pluͤndern zu muͤſſen. Wenig ſchien nutzbar, das alte Geraͤth ward in die Polterkammer gewieſen. Man zog durch die Hallen der Geſchichte wie ſtuͤrmende Soldaten und verbrannte die herrlichen Wandtape¬ ten, wie die von Raphael, um Gold daraus zu ſchmelzen. Nichts erhielt Wuͤrdigung und Schonung, als was man fuͤr den Augenblick brauchen konnte. Das revolutionirende Jahrhundert fand daher nur
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[208/0218]
bern und den troſtloſen Grundſatz geltend machten,
alles, was ſie nicht verſtanden, zu laͤugnen, und
alles, was nicht mit der modernen Aufklaͤrung har¬
monirte, ſo darzuſtellen, als ob es von rechtswegen
nie haͤtte exiſtiren ſollen. Da durften Schloͤzer und
Ruͤhs alles ſogenannte Vorgeſchichtliche als dumme
Fabel wegwerfen, und die ganze Zunft durfte das
Mittelalter als Barbarei verdammen. Man ſah die
Geſchichte nicht mehr, wie das weit vernuͤnftigere
Mittelalter immer gethan, als ein organiſches Leben
an; man erfreute ſich nicht mehr ihres Gemaͤldes,
das unermeßlich, wie die Natur, zugleich eben ſo in
allen Theilen harmoniſch iſt; man ſtrebte nicht mehr
das innerſte Geheimniß und den Zuſammenhang des
großen geſchichtlichen Lebens zu begreifen; vielmehr
ſtellte man ſich in jenem frevelhaften Übermuth, der
jene Generation charakteriſirt, uͤber die Vorſehung
ſelbſt und meiſterte ſie, tadelte die Werke derſelben
und nahm als bekannt an, daß man es von Anfang
an in der Welt beſſer gemacht haben wuͤrde. Man
glaubte die Geſchichte nur wie ein uͤbel beſtelltes Erbe
pluͤndern zu muͤſſen. Wenig ſchien nutzbar, das alte
Geraͤth ward in die Polterkammer gewieſen. Man
zog durch die Hallen der Geſchichte wie ſtuͤrmende
Soldaten und verbrannte die herrlichen Wandtape¬
ten, wie die von Raphael, um Gold daraus zu
ſchmelzen. Nichts erhielt Wuͤrdigung und Schonung,
als was man fuͤr den Augenblick brauchen konnte.
Das revolutionirende Jahrhundert fand daher nur
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/218>, abgerufen am 24.11.2024.
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