Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.tigen Unterricht der Völker, zeichnet uns Deutsche Die tiefste Quelle jener Neigung ist die Huma¬ tigen Unterricht der Voͤlker, zeichnet uns Deutſche Die tiefſte Quelle jener Neigung iſt die Huma¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0054" n="44"/> tigen Unterricht der Voͤlker, zeichnet uns Deutſche<lb/> vorzugsweiſe eine außerordentliche Vorliebe fuͤr das<lb/> Fremde und ein ſeltnes Geſchick der Nachahmung<lb/> aus, die eben deshalb auch zu Übertreibungen<lb/> und unnatuͤrlichen Vergeſſen des eignen Werthes fuͤh¬<lb/> ren. —</p><lb/> <p>Die tiefſte Quelle jener Neigung iſt die <hi rendition="#g">Huma¬<lb/> nitaͤt</hi> des deutſchen Charakters. Wir ſind durchaus<lb/> Cosmopoliten. Unſre Nationalitaͤt iſt, keine haben<lb/> zu wollen, ſondern gegen die nationelle Beſonderheit<lb/> etwas allgemein guͤltiges Menſchliches geltend zu<lb/> machen. Wir haben ein beſtaͤndiges Beduͤrfniß, in<lb/> uns das Ideal eines philoſophiſchen Normalvolks zu<lb/> realiſiren. Wir wollen die Bildung aller Nationen,<lb/> alle Bluͤthen des menſchlichen Geiſtes uns aneignen.<lb/> Dieſe Neigung iſt ſtaͤrker, als unſer Nationalſtolz,<lb/> ſo lange wir nicht eben in ihr unſern Nationalſtolz<lb/> ſuchen. Auch andre Voͤlker wollen ein Normalvolk<lb/> ſeyn, und ohne dieſen Glauben gaͤb es gar keinen<lb/> Nationalſtolz, aber ſie wollen keineswegs ſich ver¬<lb/> laͤugnen, ſondern mir allen andern ihr Gepraͤge auf¬<lb/> druͤcken. Auch andre Voͤlker ſchaͤtzen das Fremde,<lb/> aber ſie werfen ſich ſelbſt dagegen nicht weg. Doch<lb/> hat auch die Entaͤußerung ihr Gutes und ihren na¬<lb/> tuͤrlichen Grund. Der Liebe iſt immer eine ſtarke<lb/> Selbſtverlaͤugnung eigenthuͤmlich. Dem Intereſſe fuͤr<lb/> das Fremde, der Liebe, aus welcher alle Bildung<lb/> entſpringt, ſchadet nichts mehr als der Egoismus,<lb/> der Cultur nichts mehr als der Nationalduͤnkel. Eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [44/0054]
tigen Unterricht der Voͤlker, zeichnet uns Deutſche
vorzugsweiſe eine außerordentliche Vorliebe fuͤr das
Fremde und ein ſeltnes Geſchick der Nachahmung
aus, die eben deshalb auch zu Übertreibungen
und unnatuͤrlichen Vergeſſen des eignen Werthes fuͤh¬
ren. —
Die tiefſte Quelle jener Neigung iſt die Huma¬
nitaͤt des deutſchen Charakters. Wir ſind durchaus
Cosmopoliten. Unſre Nationalitaͤt iſt, keine haben
zu wollen, ſondern gegen die nationelle Beſonderheit
etwas allgemein guͤltiges Menſchliches geltend zu
machen. Wir haben ein beſtaͤndiges Beduͤrfniß, in
uns das Ideal eines philoſophiſchen Normalvolks zu
realiſiren. Wir wollen die Bildung aller Nationen,
alle Bluͤthen des menſchlichen Geiſtes uns aneignen.
Dieſe Neigung iſt ſtaͤrker, als unſer Nationalſtolz,
ſo lange wir nicht eben in ihr unſern Nationalſtolz
ſuchen. Auch andre Voͤlker wollen ein Normalvolk
ſeyn, und ohne dieſen Glauben gaͤb es gar keinen
Nationalſtolz, aber ſie wollen keineswegs ſich ver¬
laͤugnen, ſondern mir allen andern ihr Gepraͤge auf¬
druͤcken. Auch andre Voͤlker ſchaͤtzen das Fremde,
aber ſie werfen ſich ſelbſt dagegen nicht weg. Doch
hat auch die Entaͤußerung ihr Gutes und ihren na¬
tuͤrlichen Grund. Der Liebe iſt immer eine ſtarke
Selbſtverlaͤugnung eigenthuͤmlich. Dem Intereſſe fuͤr
das Fremde, der Liebe, aus welcher alle Bildung
entſpringt, ſchadet nichts mehr als der Egoismus,
der Cultur nichts mehr als der Nationalduͤnkel. Eine
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