politischen Machtspruch zum Schweigen gebracht wor¬ den sind, und daß ein andermal auch die strengste Aufsicht und Kraftanstrengung der politischen Gewal¬ ten die Verbreitung opponirender Meinungen nicht hat verhindern können. Die Erfahrung lehrt ferner, daß die Preßfreiheit nach Umständen einmal zu wah¬ rer Bildung, ein andermal zu zügelloser Ausschwei¬ fung, der Preßzwang einmal zur wahren Beruhigung der Völker, ein andermal zu allen Gräueln des Despo¬ tismus geführt hat. Ziehn wir aus allen Erfahrun¬ gen das Resultat, so ergibt sich, daß es niemals eine vollkommene Freiheit der Meinungen und Mit¬ theilungen gegeben hat, daß immer eine herrschende Partei gewesen ist, welche die Meinungen der unter¬ drückten Partei bevogtet hat, daß dagegen die Par¬ teien, namentlich die Anhänger des Menschenrechts und die Anhänger des Staatsrechts, beständig in der Herrschaft gewechselt haben, wodurch alle Mei¬ nungen zur Sprache gekommen sind, und daß in die¬ sem Wechsel die Cultur unaufhaltsam fortgeschritten ist. Das Staatsrecht war immer stark genug, den Ausschweifungen der Freiheit einen Damm zu setzen, und das Menschenrecht immer stark genug, ein Ver¬ steinern im Staate zu verhüten.
Was die Censur uns raubt, ist weniger zu be¬ dauern, als was sie uns bringt. Daß sie die Wahr¬ heit zuweilen unterdrückt, ist schlimm, aber noch schlimmer, daß sie Unwahrheit und Halbheit hervor¬ ruft. Sie hat ohne Zweifel einigen Antheil an der
politiſchen Machtſpruch zum Schweigen gebracht wor¬ den ſind, und daß ein andermal auch die ſtrengſte Aufſicht und Kraftanſtrengung der politiſchen Gewal¬ ten die Verbreitung opponirender Meinungen nicht hat verhindern koͤnnen. Die Erfahrung lehrt ferner, daß die Preßfreiheit nach Umſtaͤnden einmal zu wah¬ rer Bildung, ein andermal zu zuͤgelloſer Ausſchwei¬ fung, der Preßzwang einmal zur wahren Beruhigung der Voͤlker, ein andermal zu allen Graͤueln des Deſpo¬ tismus gefuͤhrt hat. Ziehn wir aus allen Erfahrun¬ gen das Reſultat, ſo ergibt ſich, daß es niemals eine vollkommene Freiheit der Meinungen und Mit¬ theilungen gegeben hat, daß immer eine herrſchende Partei geweſen iſt, welche die Meinungen der unter¬ druͤckten Partei bevogtet hat, daß dagegen die Par¬ teien, namentlich die Anhaͤnger des Menſchenrechts und die Anhaͤnger des Staatsrechts, beſtaͤndig in der Herrſchaft gewechſelt haben, wodurch alle Mei¬ nungen zur Sprache gekommen ſind, und daß in die¬ ſem Wechſel die Cultur unaufhaltſam fortgeſchritten iſt. Das Staatsrecht war immer ſtark genug, den Ausſchweifungen der Freiheit einen Damm zu ſetzen, und das Menſchenrecht immer ſtark genug, ein Ver¬ ſteinern im Staate zu verhuͤten.
Was die Cenſur uns raubt, iſt weniger zu be¬ dauern, als was ſie uns bringt. Daß ſie die Wahr¬ heit zuweilen unterdruͤckt, iſt ſchlimm, aber noch ſchlimmer, daß ſie Unwahrheit und Halbheit hervor¬ ruft. Sie hat ohne Zweifel einigen Antheil an der
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politiſchen Machtſpruch zum Schweigen gebracht wor¬
den ſind, und daß ein andermal auch die ſtrengſte
Aufſicht und Kraftanſtrengung der politiſchen Gewal¬
ten die Verbreitung opponirender Meinungen nicht
hat verhindern koͤnnen. Die Erfahrung lehrt ferner,
daß die Preßfreiheit nach Umſtaͤnden einmal zu wah¬
rer Bildung, ein andermal zu zuͤgelloſer Ausſchwei¬
fung, der Preßzwang einmal zur wahren Beruhigung
der Voͤlker, ein andermal zu allen Graͤueln des Deſpo¬
tismus gefuͤhrt hat. Ziehn wir aus allen Erfahrun¬
gen das Reſultat, ſo ergibt ſich, daß es niemals
eine vollkommene Freiheit der Meinungen und Mit¬
theilungen gegeben hat, daß immer eine herrſchende
Partei geweſen iſt, welche die Meinungen der unter¬
druͤckten Partei bevogtet hat, daß dagegen die Par¬
teien, namentlich die Anhaͤnger des Menſchenrechts
und die Anhaͤnger des Staatsrechts, beſtaͤndig in
der Herrſchaft gewechſelt haben, wodurch alle Mei¬
nungen zur Sprache gekommen ſind, und daß in die¬
ſem Wechſel die Cultur unaufhaltſam fortgeſchritten
iſt. Das Staatsrecht war immer ſtark genug, den
Ausſchweifungen der Freiheit einen Damm zu ſetzen,
und das Menſchenrecht immer ſtark genug, ein Ver¬
ſteinern im Staate zu verhuͤten.
Was die Cenſur uns raubt, iſt weniger zu be¬
dauern, als was ſie uns bringt. Daß ſie die Wahr¬
heit zuweilen unterdruͤckt, iſt ſchlimm, aber noch
ſchlimmer, daß ſie Unwahrheit und Halbheit hervor¬
ruft. Sie hat ohne Zweifel einigen Antheil an der
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/87>, abgerufen am 21.11.2024.
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