Der religiösen Literatur gebührt der alte gehei¬ ligte Vorrang. Die göttlichen Dinge werden billig über alle menschlichen gesetzt. Dem heiligen Gegen¬ stande bleibt seine Würde, selbst wenn er unwürdiger behandelt erschiene, als das Profane. Sollten wir mehr Geist für die weltlichen Wissenschaften und Künste aufwenden, als für die Religion, so bliebe die letztere nichtsdestoweniger der höchste Gegenstand geistiger Bestrebungen.
Religion ist der den Menschen eingepflanzte Trieb, ein höchstes Wesen anzuerkennen. Die Idee des höchsten Wesens an sich ist die eine und gleiche in allen Menschen, himmlischen Ursprungs und unab¬ hängig von irdischen Modificationen. Die Art und Weise jedoch, wie die Menschen diese Idee in sich erkennen, ausbilden und darstellen, ist so verschieden, wie die Menschen selbst, nnd fällt unter die Bedin¬ gung alles Irdischen, ist einem Gegensatz und einer Entwicklung unterworfen. Die einige Idee hebt die
Religion.
Der religioͤſen Literatur gebuͤhrt der alte gehei¬ ligte Vorrang. Die goͤttlichen Dinge werden billig uͤber alle menſchlichen geſetzt. Dem heiligen Gegen¬ ſtande bleibt ſeine Wuͤrde, ſelbſt wenn er unwuͤrdiger behandelt erſchiene, als das Profane. Sollten wir mehr Geiſt fuͤr die weltlichen Wiſſenſchaften und Kuͤnſte aufwenden, als fuͤr die Religion, ſo bliebe die letztere nichtsdeſtoweniger der hoͤchſte Gegenſtand geiſtiger Beſtrebungen.
Religion iſt der den Menſchen eingepflanzte Trieb, ein hoͤchſtes Weſen anzuerkennen. Die Idee des hoͤchſten Weſens an ſich iſt die eine und gleiche in allen Menſchen, himmliſchen Urſprungs und unab¬ haͤngig von irdiſchen Modificationen. Die Art und Weiſe jedoch, wie die Menſchen dieſe Idee in ſich erkennen, ausbilden und darſtellen, iſt ſo verſchieden, wie die Menſchen ſelbſt, nnd faͤllt unter die Bedin¬ gung alles Irdiſchen, iſt einem Gegenſatz und einer Entwicklung unterworfen. Die einige Idee hebt die
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Religion.
Der religioͤſen Literatur gebuͤhrt der alte gehei¬
ligte Vorrang. Die goͤttlichen Dinge werden billig
uͤber alle menſchlichen geſetzt. Dem heiligen Gegen¬
ſtande bleibt ſeine Wuͤrde, ſelbſt wenn er unwuͤrdiger
behandelt erſchiene, als das Profane. Sollten wir
mehr Geiſt fuͤr die weltlichen Wiſſenſchaften und
Kuͤnſte aufwenden, als fuͤr die Religion, ſo bliebe
die letztere nichtsdeſtoweniger der hoͤchſte Gegenſtand
geiſtiger Beſtrebungen.
Religion iſt der den Menſchen eingepflanzte
Trieb, ein hoͤchſtes Weſen anzuerkennen. Die Idee
des hoͤchſten Weſens an ſich iſt die eine und gleiche
in allen Menſchen, himmliſchen Urſprungs und unab¬
haͤngig von irdiſchen Modificationen. Die Art und
Weiſe jedoch, wie die Menſchen dieſe Idee in ſich
erkennen, ausbilden und darſtellen, iſt ſo verſchieden,
wie die Menſchen ſelbſt, nnd faͤllt unter die Bedin¬
gung alles Irdiſchen, iſt einem Gegenſatz und einer
Entwicklung unterworfen. Die einige Idee hebt die
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/92>, abgerufen am 16.02.2025.
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