dies wohl, bezeichnete das Fragmentarische im Titel, und überließ es dem richtigen Takt der Mit- und Nachwelt, alle seine übrigen Schriften als Anhänge oder fortgesetzte Fragmente dieses Werks anzuer¬ kennen.
Er begann sein großes Gemälde von der Ent¬ wicklung der Welt mit der Darstellung der physi¬ schen Welt als eines Werdenden. Wir dürfen nicht verkennen, daß er dadurch eine höchst poetische Wir¬ kung auf sein Zeitalter hervorgebracht, und nicht minder die Wissenschaft, wenigstens ihre Methodik bereichert. Ein großes lebendiges Gemälde der Na¬ tur, das auch dem Profanen verständlich und ein¬ dringlich gewesen wäre, fehlte den Deutschen bisher. Die umfassende Ansicht des Ganzen, das Entwickeln des Schönen im Einzelnen verschwistert sich hier zum glänzendsten Effect. Wenn andere das All der Na¬ tur uns als ein mechanisches Räderwerk kalt con¬ struirt, hauchte er ihm ein organisches Leben ein und weckte das warme Gefühl dafür in jeder Brust. Wenn andre die einzelnen Erscheinungen der Natur wohl numerirt und classificirt uns hintereinander an den Fingern abgezählt, ließ er sie alle als Glie¬ der eines Organismus erscheinen und hob jede durch ihre natürliche Stellung. Der Stein erschien nicht in der Baumwolle des Mineralienkabinets, sondern im lebendigen Schooß der Erde, da er gewachsen; die Pflanze nicht welk im Herbarium, sondern frisch auf der Wiese, am Bergeshang noch an der feuchten
dies wohl, bezeichnete das Fragmentariſche im Titel, und uͤberließ es dem richtigen Takt der Mit- und Nachwelt, alle ſeine uͤbrigen Schriften als Anhaͤnge oder fortgeſetzte Fragmente dieſes Werks anzuer¬ kennen.
Er begann ſein großes Gemaͤlde von der Ent¬ wicklung der Welt mit der Darſtellung der phyſi¬ ſchen Welt als eines Werdenden. Wir duͤrfen nicht verkennen, daß er dadurch eine hoͤchſt poetiſche Wir¬ kung auf ſein Zeitalter hervorgebracht, und nicht minder die Wiſſenſchaft, wenigſtens ihre Methodik bereichert. Ein großes lebendiges Gemaͤlde der Na¬ tur, das auch dem Profanen verſtaͤndlich und ein¬ dringlich geweſen waͤre, fehlte den Deutſchen bisher. Die umfaſſende Anſicht des Ganzen, das Entwickeln des Schoͤnen im Einzelnen verſchwiſtert ſich hier zum glaͤnzendſten Effect. Wenn andere das All der Na¬ tur uns als ein mechaniſches Raͤderwerk kalt con¬ ſtruirt, hauchte er ihm ein organiſches Leben ein und weckte das warme Gefuͤhl dafuͤr in jeder Bruſt. Wenn andre die einzelnen Erſcheinungen der Natur wohl numerirt und claſſificirt uns hintereinander an den Fingern abgezaͤhlt, ließ er ſie alle als Glie¬ der eines Organismus erſcheinen und hob jede durch ihre natuͤrliche Stellung. Der Stein erſchien nicht in der Baumwolle des Mineralienkabinets, ſondern im lebendigen Schooß der Erde, da er gewachſen; die Pflanze nicht welk im Herbarium, ſondern friſch auf der Wieſe, am Bergeshang noch an der feuchten
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dies wohl, bezeichnete das Fragmentariſche im Titel,
und uͤberließ es dem richtigen Takt der Mit- und
Nachwelt, alle ſeine uͤbrigen Schriften als Anhaͤnge
oder fortgeſetzte Fragmente dieſes Werks anzuer¬
kennen.
Er begann ſein großes Gemaͤlde von der Ent¬
wicklung der Welt mit der Darſtellung der phyſi¬
ſchen Welt als eines Werdenden. Wir duͤrfen nicht
verkennen, daß er dadurch eine hoͤchſt poetiſche Wir¬
kung auf ſein Zeitalter hervorgebracht, und nicht
minder die Wiſſenſchaft, wenigſtens ihre Methodik
bereichert. Ein großes lebendiges Gemaͤlde der Na¬
tur, das auch dem Profanen verſtaͤndlich und ein¬
dringlich geweſen waͤre, fehlte den Deutſchen bisher.
Die umfaſſende Anſicht des Ganzen, das Entwickeln
des Schoͤnen im Einzelnen verſchwiſtert ſich hier zum
glaͤnzendſten Effect. Wenn andere das All der Na¬
tur uns als ein mechaniſches Raͤderwerk kalt con¬
ſtruirt, hauchte er ihm ein organiſches Leben ein und
weckte das warme Gefuͤhl dafuͤr in jeder Bruſt.
Wenn andre die einzelnen Erſcheinungen der Natur
wohl numerirt und claſſificirt uns hintereinander
an den Fingern abgezaͤhlt, ließ er ſie alle als Glie¬
der eines Organismus erſcheinen und hob jede durch
ihre natuͤrliche Stellung. Der Stein erſchien nicht
in der Baumwolle des Mineralienkabinets, ſondern
im lebendigen Schooß der Erde, da er gewachſen;
die Pflanze nicht welk im Herbarium, ſondern friſch
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/168>, abgerufen am 16.02.2025.
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