Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.Cultur. An seinen Werken bildet, verfeinert man die Unter der glatten gefälligen Maske verbirgt sich Göthe's Dichtungen sind als die Blüthe des in Jene Wollust ist um so raffinirter, als sie der 10 *
Cultur. An ſeinen Werken bildet, verfeinert man die Unter der glatten gefaͤlligen Maske verbirgt ſich Goͤthe's Dichtungen ſind als die Bluͤthe des in Jene Wolluſt iſt um ſo raffinirter, als ſie der 10 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0229" n="219"/> Cultur. An ſeinen Werken bildet, verfeinert man die<lb/> Sitten. Sie empfiehlt man als das Muſter aller<lb/> Geſittung. Um ihn her ſchaart ſich ein unzaͤhlbares<lb/> Heer gebildeter Juͤnglinge, die Juͤnger und Apoſtel<lb/> dieſer Lehre des Anſtandes, die muthigen Bekaͤmpfer<lb/> der alten Rohheit, Frerons vergoldete Jugend in<lb/> Deutſchland.</p><lb/> <p>Unter der glatten gefaͤlligen Maske verbirgt ſich<lb/> aber ein raffinirter Epicuraͤismus, eine Sinnlichkeit<lb/> und Genußſucht, die, ſo fein ſie auch iſt, doch im¬<lb/> mer unwuͤrdig bleibt, des Ernſten und Heiligen ſpot¬<lb/> tet, und die Leichtverfuͤhrten in ein irdiſches Para¬<lb/> dies verlockt, in den Venusberg, aus dem kein Aus¬<lb/> gang mehr ans Licht iſt.</p><lb/> <p>Goͤthe's Dichtungen ſind als die Bluͤthe des in<lb/> der modernen Welt herrſchenden Materialismus zu<lb/> betrachten, der ſich auf der unterſten Stufe in dem<lb/> phyſiokratiſchen Syſtem geltend macht. Sein Talent<lb/> iſt die hoͤchſte Erſcheinung der Fabrikation. Es dient,<lb/> alles zum feinſten Genuß zu praͤpariren. Dieſer Ge¬<lb/> nuß iſt doppelter Art. Der Wolluſt geſellt ſich ſchon<lb/> bei den Thieren Grauſamkeit bei, und dieſe Ver¬<lb/> wandtſchaft beider geht in die feinſten und zarteſten<lb/> Genuͤſſe der Menſchen uͤber.</p><lb/> <p>Jene Wolluſt iſt um ſo raffinirter, als ſie der<lb/> Eitelkeit dient. Daher ſind beinahe alle Helden Goͤ¬<lb/> the's kleine Sultane, um welche ſich die Maͤdchen<lb/> und Weiber bemuͤhen muͤſſen. Sie werden geliebt,<lb/> und ihre Gegenliebe erſcheint nur als ein behagliches<lb/> <fw place="bottom" type="sig">10 *<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0229]
Cultur. An ſeinen Werken bildet, verfeinert man die
Sitten. Sie empfiehlt man als das Muſter aller
Geſittung. Um ihn her ſchaart ſich ein unzaͤhlbares
Heer gebildeter Juͤnglinge, die Juͤnger und Apoſtel
dieſer Lehre des Anſtandes, die muthigen Bekaͤmpfer
der alten Rohheit, Frerons vergoldete Jugend in
Deutſchland.
Unter der glatten gefaͤlligen Maske verbirgt ſich
aber ein raffinirter Epicuraͤismus, eine Sinnlichkeit
und Genußſucht, die, ſo fein ſie auch iſt, doch im¬
mer unwuͤrdig bleibt, des Ernſten und Heiligen ſpot¬
tet, und die Leichtverfuͤhrten in ein irdiſches Para¬
dies verlockt, in den Venusberg, aus dem kein Aus¬
gang mehr ans Licht iſt.
Goͤthe's Dichtungen ſind als die Bluͤthe des in
der modernen Welt herrſchenden Materialismus zu
betrachten, der ſich auf der unterſten Stufe in dem
phyſiokratiſchen Syſtem geltend macht. Sein Talent
iſt die hoͤchſte Erſcheinung der Fabrikation. Es dient,
alles zum feinſten Genuß zu praͤpariren. Dieſer Ge¬
nuß iſt doppelter Art. Der Wolluſt geſellt ſich ſchon
bei den Thieren Grauſamkeit bei, und dieſe Ver¬
wandtſchaft beider geht in die feinſten und zarteſten
Genuͤſſe der Menſchen uͤber.
Jene Wolluſt iſt um ſo raffinirter, als ſie der
Eitelkeit dient. Daher ſind beinahe alle Helden Goͤ¬
the's kleine Sultane, um welche ſich die Maͤdchen
und Weiber bemuͤhen muͤſſen. Sie werden geliebt,
und ihre Gegenliebe erſcheint nur als ein behagliches
10 *
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