Spiel mit dem Genuß. Sie lassen sich von den Wei¬ bern aufsuchen, und nehmen die Huldigungen dersel¬ ben gnädig an. Das ist ihr stehender Charakter. Clavigo, Weißlingen, Egmont, Fernando, Wilhelm Meister sind ein und dieselbe Person. Wie wahr immer die feine Sinnlichkeit solcher Helden der Na¬ tur abgelauscht seyn, wie sehr sie den meisten Män¬ nern schmeicheln mag, sie ist etwas Gemeines und dieses Aufwandes des verschönernden Talentes nicht werth. Sie ist um so widerlicher, als die Eitelkeit eine gewiße Andacht daraus macht. Wir finden die Geschlechts- und Eheverhältnisse bei den Dichtern fremder Nationen leichtsinnig und frivol behandelt, aber nirgends ist eine solche Sentimentalität mit die¬ ser Frivolität verbunden, wie in Deutschland. Bei den Spaniern hat von jeher die flammende Leiden¬ schaft, bei den Italienern liebliche Phantasie und Sinnlichkeit, bei den Franzosen Feinheit und Witz, der Geist der Reine Margrithe, bei den Engländern der tragische Contrast den eckeln Eindruck der Wahl¬ verwandtschafts- und Ehebruchsgeschichten gemildert. Die Deutschen aber haben sie seit Göthe wie ein Handwerk mit ehrbarer Miene, oder wohl gar wie eine Religion mit Andacht getrieben. Wenn Sinnlich¬ keit und niedre Leidenschaften bei andern Völkern immer dem Edlen und Heiligen untergeordnet geblieben sind, wie stark sie auch vorgeherrscht haben, so sind wir Deutsche, die wir weit nüchterner sind, dennoch so ver¬ kehrt gewesen, jene Sinnlichkeit mit dem Heiligen
Spiel mit dem Genuß. Sie laſſen ſich von den Wei¬ bern aufſuchen, und nehmen die Huldigungen derſel¬ ben gnaͤdig an. Das iſt ihr ſtehender Charakter. Clavigo, Weißlingen, Egmont, Fernando, Wilhelm Meiſter ſind ein und dieſelbe Perſon. Wie wahr immer die feine Sinnlichkeit ſolcher Helden der Na¬ tur abgelauſcht ſeyn, wie ſehr ſie den meiſten Maͤn¬ nern ſchmeicheln mag, ſie iſt etwas Gemeines und dieſes Aufwandes des verſchoͤnernden Talentes nicht werth. Sie iſt um ſo widerlicher, als die Eitelkeit eine gewiße Andacht daraus macht. Wir finden die Geſchlechts- und Eheverhaͤltniſſe bei den Dichtern fremder Nationen leichtſinnig und frivol behandelt, aber nirgends iſt eine ſolche Sentimentalitaͤt mit die¬ ſer Frivolitaͤt verbunden, wie in Deutſchland. Bei den Spaniern hat von jeher die flammende Leiden¬ ſchaft, bei den Italienern liebliche Phantaſie und Sinnlichkeit, bei den Franzoſen Feinheit und Witz, der Geiſt der Reine Margrithe, bei den Englaͤndern der tragiſche Contraſt den eckeln Eindruck der Wahl¬ verwandtſchafts- und Ehebruchsgeſchichten gemildert. Die Deutſchen aber haben ſie ſeit Goͤthe wie ein Handwerk mit ehrbarer Miene, oder wohl gar wie eine Religion mit Andacht getrieben. Wenn Sinnlich¬ keit und niedre Leidenſchaften bei andern Voͤlkern immer dem Edlen und Heiligen untergeordnet geblieben ſind, wie ſtark ſie auch vorgeherrſcht haben, ſo ſind wir Deutſche, die wir weit nuͤchterner ſind, dennoch ſo ver¬ kehrt geweſen, jene Sinnlichkeit mit dem Heiligen
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Spiel mit dem Genuß. Sie laſſen ſich von den Wei¬
bern aufſuchen, und nehmen die Huldigungen derſel¬
ben gnaͤdig an. Das iſt ihr ſtehender Charakter.
Clavigo, Weißlingen, Egmont, Fernando, Wilhelm
Meiſter ſind ein und dieſelbe Perſon. Wie wahr
immer die feine Sinnlichkeit ſolcher Helden der Na¬
tur abgelauſcht ſeyn, wie ſehr ſie den meiſten Maͤn¬
nern ſchmeicheln mag, ſie iſt etwas Gemeines und
dieſes Aufwandes des verſchoͤnernden Talentes nicht
werth. Sie iſt um ſo widerlicher, als die Eitelkeit
eine gewiße Andacht daraus macht. Wir finden die
Geſchlechts- und Eheverhaͤltniſſe bei den Dichtern
fremder Nationen leichtſinnig und frivol behandelt,
aber nirgends iſt eine ſolche Sentimentalitaͤt mit die¬
ſer Frivolitaͤt verbunden, wie in Deutſchland. Bei
den Spaniern hat von jeher die flammende Leiden¬
ſchaft, bei den Italienern liebliche Phantaſie und
Sinnlichkeit, bei den Franzoſen Feinheit und Witz,
der Geiſt der Reine Margrithe, bei den Englaͤndern
der tragiſche Contraſt den eckeln Eindruck der Wahl¬
verwandtſchafts- und Ehebruchsgeſchichten gemildert.
Die Deutſchen aber haben ſie ſeit Goͤthe wie ein
Handwerk mit ehrbarer Miene, oder wohl gar wie
eine Religion mit Andacht getrieben. Wenn Sinnlich¬
keit und niedre Leidenſchaften bei andern Voͤlkern immer
dem Edlen und Heiligen untergeordnet geblieben ſind,
wie ſtark ſie auch vorgeherrſcht haben, ſo ſind wir
Deutſche, die wir weit nuͤchterner ſind, dennoch ſo ver¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/230>, abgerufen am 24.11.2024.
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