geben die schwachen Versuche, z. B. in den Wander¬ jahren Zeugniß.
Überhaupt verläugnet sich die Anmuth der Gö¬ theschen Sprache in seinen spätern Hofpoesien und kritischen Schriften. Sie sind steife Paradewerke, über das Kreuz gefesselt durch die Rücksichten, die er zu nehmen hatte, und durch seine eigne Selbst¬ schätzung, die sich nur noch auf dem hochtrabenden Pferde oder in spanischer Grandezza sehn ließ und noch auffallender wurde, wenn sie sich etwa väterlich deutsch den Schlafrock überhieng. Seit Wahrheit und Dichtung ist Alles, was man von Göthe hört, bis auf das letzte Heft von Kunst und Alterthum in ei¬ nem gewissen vornehmen officiellen Kabinetstyl ge¬ schrieben. Man denkt unwillkürlich an den Musen¬ könig oder infallibeln Papst im Reich der Kunst. Die Erscheinung wird erklärbar, wenn man bedenkt, daß Göthe früher ein Schmetterling auf allen Blumen des Sinnen- und Herzensgenusses gewesen, später aber lebendig unter die Götter versetzt worden, worin die Aufforderung lag, alle seine Gefühle in das ein¬ zige der Ehrfurcht vor sich selbst zu concentriren.
In der Schule der modernen Poesie, welche Göthe gebildet, sind besonders die bürgerlichen, familien¬ mäßigen Lust- und Schauspiele und die Romane cul¬ tivirt worden. In der ersten Gattung hat sich vor allen Kotzebue ausgezeichnet, der auch nächst Göthe der geliebteste Günstling des Publikums geworden ist. Wir können auch auf ihn ein Portrait anwenden,
geben die ſchwachen Verſuche, z. B. in den Wander¬ jahren Zeugniß.
Überhaupt verlaͤugnet ſich die Anmuth der Goͤ¬ theſchen Sprache in ſeinen ſpaͤtern Hofpoeſien und kritiſchen Schriften. Sie ſind ſteife Paradewerke, uͤber das Kreuz gefeſſelt durch die Ruͤckſichten, die er zu nehmen hatte, und durch ſeine eigne Selbſt¬ ſchaͤtzung, die ſich nur noch auf dem hochtrabenden Pferde oder in ſpaniſcher Grandezza ſehn ließ und noch auffallender wurde, wenn ſie ſich etwa vaͤterlich deutſch den Schlafrock uͤberhieng. Seit Wahrheit und Dichtung iſt Alles, was man von Goͤthe hoͤrt, bis auf das letzte Heft von Kunſt und Alterthum in ei¬ nem gewiſſen vornehmen officiellen Kabinetſtyl ge¬ ſchrieben. Man denkt unwillkuͤrlich an den Muſen¬ koͤnig oder infallibeln Papſt im Reich der Kunſt. Die Erſcheinung wird erklaͤrbar, wenn man bedenkt, daß Goͤthe fruͤher ein Schmetterling auf allen Blumen des Sinnen- und Herzensgenuſſes geweſen, ſpaͤter aber lebendig unter die Goͤtter verſetzt worden, worin die Aufforderung lag, alle ſeine Gefuͤhle in das ein¬ zige der Ehrfurcht vor ſich ſelbſt zu concentriren.
In der Schule der modernen Poeſie, welche Goͤthe gebildet, ſind beſonders die buͤrgerlichen, familien¬ maͤßigen Luſt- und Schauſpiele und die Romane cul¬ tivirt worden. In der erſten Gattung hat ſich vor allen Kotzebue ausgezeichnet, der auch naͤchſt Goͤthe der geliebteſte Guͤnſtling des Publikums geworden iſt. Wir koͤnnen auch auf ihn ein Portrait anwenden,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0240"n="230"/>
geben die ſchwachen Verſuche, z. B. in den Wander¬<lb/>
jahren Zeugniß.</p><lb/><p>Überhaupt verlaͤugnet ſich die Anmuth der Goͤ¬<lb/>
theſchen Sprache in ſeinen ſpaͤtern Hofpoeſien und<lb/>
kritiſchen Schriften. Sie ſind ſteife Paradewerke,<lb/>
uͤber das Kreuz gefeſſelt durch die Ruͤckſichten, die<lb/>
er zu nehmen hatte, und durch ſeine eigne Selbſt¬<lb/>ſchaͤtzung, die ſich nur noch auf dem hochtrabenden<lb/>
Pferde oder in ſpaniſcher Grandezza ſehn ließ und<lb/>
noch auffallender wurde, wenn ſie ſich etwa vaͤterlich<lb/>
deutſch den Schlafrock uͤberhieng. Seit Wahrheit und<lb/>
Dichtung iſt Alles, was man von Goͤthe hoͤrt, bis<lb/>
auf das letzte Heft von Kunſt und Alterthum in ei¬<lb/>
nem gewiſſen vornehmen officiellen Kabinetſtyl ge¬<lb/>ſchrieben. Man denkt unwillkuͤrlich an den Muſen¬<lb/>
koͤnig oder infallibeln Papſt im Reich der Kunſt. Die<lb/>
Erſcheinung wird erklaͤrbar, wenn man bedenkt, daß<lb/>
Goͤthe fruͤher ein Schmetterling auf allen Blumen<lb/>
des Sinnen- und Herzensgenuſſes geweſen, ſpaͤter<lb/>
aber lebendig unter die Goͤtter verſetzt worden, worin<lb/>
die Aufforderung lag, alle ſeine Gefuͤhle in das ein¬<lb/>
zige der Ehrfurcht vor ſich ſelbſt zu concentriren.</p><lb/><p>In der Schule der modernen Poeſie, welche Goͤthe<lb/>
gebildet, ſind beſonders die buͤrgerlichen, familien¬<lb/>
maͤßigen Luſt- und Schauſpiele und die Romane cul¬<lb/>
tivirt worden. In der erſten Gattung hat ſich vor<lb/>
allen <hirendition="#g">Kotzebue</hi> ausgezeichnet, der auch naͤchſt Goͤthe<lb/>
der geliebteſte Guͤnſtling des Publikums geworden iſt.<lb/>
Wir koͤnnen auch auf ihn ein Portrait anwenden,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[230/0240]
geben die ſchwachen Verſuche, z. B. in den Wander¬
jahren Zeugniß.
Überhaupt verlaͤugnet ſich die Anmuth der Goͤ¬
theſchen Sprache in ſeinen ſpaͤtern Hofpoeſien und
kritiſchen Schriften. Sie ſind ſteife Paradewerke,
uͤber das Kreuz gefeſſelt durch die Ruͤckſichten, die
er zu nehmen hatte, und durch ſeine eigne Selbſt¬
ſchaͤtzung, die ſich nur noch auf dem hochtrabenden
Pferde oder in ſpaniſcher Grandezza ſehn ließ und
noch auffallender wurde, wenn ſie ſich etwa vaͤterlich
deutſch den Schlafrock uͤberhieng. Seit Wahrheit und
Dichtung iſt Alles, was man von Goͤthe hoͤrt, bis
auf das letzte Heft von Kunſt und Alterthum in ei¬
nem gewiſſen vornehmen officiellen Kabinetſtyl ge¬
ſchrieben. Man denkt unwillkuͤrlich an den Muſen¬
koͤnig oder infallibeln Papſt im Reich der Kunſt. Die
Erſcheinung wird erklaͤrbar, wenn man bedenkt, daß
Goͤthe fruͤher ein Schmetterling auf allen Blumen
des Sinnen- und Herzensgenuſſes geweſen, ſpaͤter
aber lebendig unter die Goͤtter verſetzt worden, worin
die Aufforderung lag, alle ſeine Gefuͤhle in das ein¬
zige der Ehrfurcht vor ſich ſelbſt zu concentriren.
In der Schule der modernen Poeſie, welche Goͤthe
gebildet, ſind beſonders die buͤrgerlichen, familien¬
maͤßigen Luſt- und Schauſpiele und die Romane cul¬
tivirt worden. In der erſten Gattung hat ſich vor
allen Kotzebue ausgezeichnet, der auch naͤchſt Goͤthe
der geliebteſte Guͤnſtling des Publikums geworden iſt.
Wir koͤnnen auch auf ihn ein Portrait anwenden,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/240>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.