Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen und sich um die Ecke gewendet, schritt sie noch
eine Weile gesenkten Hauptes im Schatten der jenseiti¬
gen Häuserzeile auf und nieder, von Zeit zu Zeit den
Blick zu dem Erker des Herzogs erhebend, bis der Licht¬
schein erlosch. Jetzt blieb sie an der Einmündung einer
Seitenstraße stehen. Wieder ertönten Schritte. Es war
ein schwankender, hagerer Mann in der Tracht der spa¬
nischen Edelleute, der sich näherte und einen Augenblick
unschlüssig stehen blieb. Erst maß er den auf dem
Platze nächtliche Wache Haltenden mit scharfen Blicken,
dann trat er auf ihn zu und redete ihn als Bekann¬
ten an.

"Dacht' ich mir's doch, Signor Jenatsch," begann
der im spanischen Mantel, "daß Ihr Eure Beute zärtlich
hütet. In der Glocke wußte man nicht, wo Ihr hin¬
gerathen wäret. Gut, daß ich Euch finde und gerade
wo ich Euch vermuthet. Ihr dürft den Herzog nicht
abreisen lassen! Sonst würdet Ihr Spanien einen
schlechten Dienst erweisen, der auf die Aufrichtigkeit
Eurer bisherigen Leistungen ein eigenthümliches Licht
würfe. Serbelloni hielt es für überflüssig, Euch nahe
zu legen, daß Ihr den Herzog in der Hand behaltet
und ihn seine berühmte Waffe nicht wieder gegen Spa¬
nien-Oesterreich erheben lasset. Er meinte, das wäre
gleichsam ein selbstverständlicher geheimer Artikel Eures

Meyer, Georg Jenatsch. 22

laſſen und ſich um die Ecke gewendet, ſchritt ſie noch
eine Weile geſenkten Hauptes im Schatten der jenſeiti¬
gen Häuſerzeile auf und nieder, von Zeit zu Zeit den
Blick zu dem Erker des Herzogs erhebend, bis der Licht¬
ſchein erloſch. Jetzt blieb ſie an der Einmündung einer
Seitenſtraße ſtehen. Wieder ertönten Schritte. Es war
ein ſchwankender, hagerer Mann in der Tracht der ſpa¬
niſchen Edelleute, der ſich näherte und einen Augenblick
unſchlüſſig ſtehen blieb. Erſt maß er den auf dem
Platze nächtliche Wache Haltenden mit ſcharfen Blicken,
dann trat er auf ihn zu und redete ihn als Bekann¬
ten an.

„Dacht' ich mir's doch, Signor Jenatſch,“ begann
der im ſpaniſchen Mantel, „daß Ihr Eure Beute zärtlich
hütet. In der Glocke wußte man nicht, wo Ihr hin¬
gerathen wäret. Gut, daß ich Euch finde und gerade
wo ich Euch vermuthet. Ihr dürft den Herzog nicht
abreiſen laſſen! Sonſt würdet Ihr Spanien einen
ſchlechten Dienſt erweiſen, der auf die Aufrichtigkeit
Eurer bisherigen Leiſtungen ein eigenthümliches Licht
würfe. Serbelloni hielt es für überflüſſig, Euch nahe
zu legen, daß Ihr den Herzog in der Hand behaltet
und ihn ſeine berühmte Waffe nicht wieder gegen Spa¬
nien-Oeſterreich erheben laſſet. Er meinte, das wäre
gleichſam ein ſelbſtverſtändlicher geheimer Artikel Eures

Meyer, Georg Jenatſch. 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0347" n="337"/>
la&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ich um die Ecke gewendet, &#x017F;chritt &#x017F;ie noch<lb/>
eine Weile ge&#x017F;enkten Hauptes im Schatten der jen&#x017F;eiti¬<lb/>
gen Häu&#x017F;erzeile auf und nieder, von Zeit zu Zeit den<lb/>
Blick zu dem Erker des Herzogs erhebend, bis der Licht¬<lb/>
&#x017F;chein erlo&#x017F;ch. Jetzt blieb &#x017F;ie an der Einmündung einer<lb/>
Seiten&#x017F;traße &#x017F;tehen. Wieder ertönten Schritte. Es war<lb/>
ein &#x017F;chwankender, hagerer Mann in der Tracht der &#x017F;pa¬<lb/>
ni&#x017F;chen Edelleute, der &#x017F;ich näherte und einen Augenblick<lb/>
un&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;tehen blieb. Er&#x017F;t maß er den auf dem<lb/>
Platze nächtliche Wache Haltenden mit &#x017F;charfen Blicken,<lb/>
dann trat er auf ihn zu und redete ihn als Bekann¬<lb/>
ten an.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Dacht' ich mir's doch, Signor Jenat&#x017F;ch,&#x201C; begann<lb/>
der im &#x017F;pani&#x017F;chen Mantel, &#x201E;daß Ihr Eure Beute zärtlich<lb/>
hütet. In der Glocke wußte man nicht, wo Ihr hin¬<lb/>
gerathen wäret. Gut, daß ich Euch finde und gerade<lb/>
wo ich Euch vermuthet. Ihr dürft den Herzog nicht<lb/>
abrei&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en! Son&#x017F;t würdet Ihr Spanien einen<lb/>
&#x017F;chlechten Dien&#x017F;t erwei&#x017F;en, der auf die Aufrichtigkeit<lb/>
Eurer bisherigen Lei&#x017F;tungen ein eigenthümliches Licht<lb/>
würfe. Serbelloni hielt es für überflü&#x017F;&#x017F;ig, Euch nahe<lb/>
zu legen, daß Ihr den Herzog in der Hand behaltet<lb/>
und ihn &#x017F;eine berühmte Waffe nicht wieder gegen Spa¬<lb/>
nien-Oe&#x017F;terreich erheben la&#x017F;&#x017F;et. Er meinte, das wäre<lb/>
gleich&#x017F;am ein &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlicher geheimer Artikel Eures<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Meyer</hi>, Georg Jenat&#x017F;ch. 22<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0347] laſſen und ſich um die Ecke gewendet, ſchritt ſie noch eine Weile geſenkten Hauptes im Schatten der jenſeiti¬ gen Häuſerzeile auf und nieder, von Zeit zu Zeit den Blick zu dem Erker des Herzogs erhebend, bis der Licht¬ ſchein erloſch. Jetzt blieb ſie an der Einmündung einer Seitenſtraße ſtehen. Wieder ertönten Schritte. Es war ein ſchwankender, hagerer Mann in der Tracht der ſpa¬ niſchen Edelleute, der ſich näherte und einen Augenblick unſchlüſſig ſtehen blieb. Erſt maß er den auf dem Platze nächtliche Wache Haltenden mit ſcharfen Blicken, dann trat er auf ihn zu und redete ihn als Bekann¬ ten an. „Dacht' ich mir's doch, Signor Jenatſch,“ begann der im ſpaniſchen Mantel, „daß Ihr Eure Beute zärtlich hütet. In der Glocke wußte man nicht, wo Ihr hin¬ gerathen wäret. Gut, daß ich Euch finde und gerade wo ich Euch vermuthet. Ihr dürft den Herzog nicht abreiſen laſſen! Sonſt würdet Ihr Spanien einen ſchlechten Dienſt erweiſen, der auf die Aufrichtigkeit Eurer bisherigen Leiſtungen ein eigenthümliches Licht würfe. Serbelloni hielt es für überflüſſig, Euch nahe zu legen, daß Ihr den Herzog in der Hand behaltet und ihn ſeine berühmte Waffe nicht wieder gegen Spa¬ nien-Oeſterreich erheben laſſet. Er meinte, das wäre gleichſam ein ſelbſtverſtändlicher geheimer Artikel Eures Meyer, Georg Jenatſch. 22

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/347
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/347>, abgerufen am 22.11.2024.