Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.Thaten der Gnade. III. Stück. zu sehen, und zu glauben. Wie wenig aberder Heyland hier seine Absichten erreiche, zei- get die traurige Erfahrung, da mancher un- bekehrter und blinder Sünder sich an solchen Exempeln der Gnade mehr ärgert, und seine Unseligkeit vergrössert, als daß er selbige zum Segen seiner Seele anwendet. Man- cher stosset sich an GOtt selber. Siehet ein Blinder, von Eigenliebe, eigener Gerechtig- keit und falscher Einbildung eingenomme- ner Sünder, daß sich GOtt über eine See- le erbarme, die entweder vor der Welt ver- achtet, gering und elend, die in seiner Ein- bildung ehemahls nicht so gut als er gewe- sen, oder die etwann lange in der Sünde und im Tode gelegen, so ärgert er sich an GOtt, und denket wohl mit jenem Phari- säer manches Arge in seinem Herzen, Lucä 7:39. oder ist dieses nicht, so stößt er sich gewiß an der bekehrten Person, hält entwe- der ihre Bekehrung vor eine Heucheley und Verstellung, oder fällt auf ihren vorigen Natur- und Sündenstand, und verwirft nicht nur alles, sondern lästert öfters (wel- ches erschröcklich) die Werke des heiligen Geistes, und die Wege der Gnade in solchen Seelen. Aber damit hindert ein solcher blinder und armer Mensch nicht nur sich an seiner eigenen Bekehrung, sondern da er seine finstere und vermessene Urtheile andern bey-
Thaten der Gnade. III. Stuͤck. zu ſehen, und zu glauben. Wie wenig aberder Heyland hier ſeine Abſichten erreiche, zei- get die traurige Erfahrung, da mancher un- bekehrter und blinder Suͤnder ſich an ſolchen Exempeln der Gnade mehr aͤrgert, und ſeine Unſeligkeit vergroͤſſert, als daß er ſelbige zum Segen ſeiner Seele anwendet. Man- cher ſtoſſet ſich an GOtt ſelber. Siehet ein Blinder, von Eigenliebe, eigener Gerechtig- keit und falſcher Einbildung eingenomme- ner Suͤnder, daß ſich GOtt uͤber eine See- le erbarme, die entweder vor der Welt ver- achtet, gering und elend, die in ſeiner Ein- bildung ehemahls nicht ſo gut als er gewe- ſen, oder die etwann lange in der Suͤnde und im Tode gelegen, ſo aͤrgert er ſich an GOtt, und denket wohl mit jenem Phari- ſaͤer manches Arge in ſeinem Herzen, Lucaͤ 7:39. oder iſt dieſes nicht, ſo ſtoͤßt er ſich gewiß an der bekehrten Perſon, haͤlt entwe- der ihre Bekehrung vor eine Heucheley und Verſtellung, oder faͤllt auf ihren vorigen Natur- und Suͤndenſtand, und verwirft nicht nur alles, ſondern laͤſtert oͤfters (wel- ches erſchroͤcklich) die Werke des heiligen Geiſtes, und die Wege der Gnade in ſolchen Seelen. Aber damit hindert ein ſolcher blinder und armer Menſch nicht nur ſich an ſeiner eigenen Bekehrung, ſondern da er ſeine finſtere und vermeſſene Urtheile andern bey-
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Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
zu ſehen, und zu glauben. Wie wenig aber
der Heyland hier ſeine Abſichten erreiche, zei-
get die traurige Erfahrung, da mancher un-
bekehrter und blinder Suͤnder ſich an ſolchen
Exempeln der Gnade mehr aͤrgert, und ſeine
Unſeligkeit vergroͤſſert, als daß er ſelbige
zum Segen ſeiner Seele anwendet. Man-
cher ſtoſſet ſich an GOtt ſelber. Siehet ein
Blinder, von Eigenliebe, eigener Gerechtig-
keit und falſcher Einbildung eingenomme-
ner Suͤnder, daß ſich GOtt uͤber eine See-
le erbarme, die entweder vor der Welt ver-
achtet, gering und elend, die in ſeiner Ein-
bildung ehemahls nicht ſo gut als er gewe-
ſen, oder die etwann lange in der Suͤnde
und im Tode gelegen, ſo aͤrgert er ſich an
GOtt, und denket wohl mit jenem Phari-
ſaͤer manches Arge in ſeinem Herzen, Lucaͤ
7:39. oder iſt dieſes nicht, ſo ſtoͤßt er ſich
gewiß an der bekehrten Perſon, haͤlt entwe-
der ihre Bekehrung vor eine Heucheley und
Verſtellung, oder faͤllt auf ihren vorigen
Natur- und Suͤndenſtand, und verwirft
nicht nur alles, ſondern laͤſtert oͤfters (wel-
ches erſchroͤcklich) die Werke des heiligen
Geiſtes, und die Wege der Gnade in ſolchen
Seelen. Aber damit hindert ein ſolcher
blinder und armer Menſch nicht nur ſich an
ſeiner eigenen Bekehrung, ſondern da er
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