Allerdings ist der HErr gnädig; und erbarmet sich lieber, als daß er zürnet, aber eben darinnen zeiget er seine Gnade und Er- barmen, daß er der von Natur betrogenen und verblendeten Seele, die Augen eröfnet, ihre Blösse, Wunden und Gefahr entdecket, damit er sie bewegen möchte, mit einem de- müthigen und leidtragenden Herze zu denen Wunden seines Sohnes zu fliehen, seine blutige Gerechtigkeit zu ergreifen, und auf dies[e] Weise in sein versöhnendes und selig- machendes Erbarmen einzudringen. Ver- steckt man sich nun in die Feigenblätter des Selbstbetrugs, wehrt man sich, in die Ord- nung zu tretten, in welcher er seine gnädi- ge Erbarmungen anerbietet, so schließt man sich selbsten von seiner Gnade aus. Trette man also lieber in die Erkänntniß seiner sel- ber, gebe man sich so bloß, so elend, so sündlich und verderbt dem HErrn dar, wie man würklich ist, schlage man an seine Hüf- te, und suche in einem reuenden und zer- schmelzten Wesen sein Erbarmen, so wird der HErr sich finden lassen.
Andere scheuen sich darum in den Buß- kampf zu tretten, weil sie fürchten, sie möch- ten unter dem Gefühl und Last der Sünde gar verschmachten und verzagen. Die erste Aufdeckung der Sünde, die Blicke in die finsteren Abgründe des Verderbens, und
die
Der groſſen und ſeligen
Allerdings iſt der HErr gnaͤdig; und erbarmet ſich lieber, als daß er zuͤrnet, aber eben darinnen zeiget er ſeine Gnade und Er- barmen, daß er der von Natur betrogenen und verblendeten Seele, die Augen eroͤfnet, ihre Bloͤſſe, Wunden und Gefahr entdecket, damit er ſie bewegen moͤchte, mit einem de- muͤthigen und leidtragenden Herze zu denen Wunden ſeines Sohnes zu fliehen, ſeine blutige Gerechtigkeit zu ergreifen, und auf dieſ[e] Weiſe in ſein verſoͤhnendes und ſelig- machendes Erbarmen einzudringen. Ver- ſteckt man ſich nun in die Feigenblaͤtter des Selbſtbetrugs, wehrt man ſich, in die Ord- nung zu tretten, in welcher er ſeine gnaͤdi- ge Erbarmungen anerbietet, ſo ſchließt man ſich ſelbſten von ſeiner Gnade aus. Trette man alſo lieber in die Erkaͤnntniß ſeiner ſel- ber, gebe man ſich ſo bloß, ſo elend, ſo ſuͤndlich und verderbt dem HErrn dar, wie man wuͤrklich iſt, ſchlage man an ſeine Huͤf- te, und ſuche in einem reuenden und zer- ſchmelzten Weſen ſein Erbarmen, ſo wird der HErr ſich finden laſſen.
Andere ſcheuen ſich darum in den Buß- kampf zu tretten, weil ſie fuͤrchten, ſie moͤch- ten unter dem Gefuͤhl und Laſt der Suͤnde gar verſchmachten und verzagen. Die erſte Aufdeckung der Suͤnde, die Blicke in die finſteren Abgruͤnde des Verderbens, und
die
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Der groſſen und ſeligen
Allerdings iſt der HErr gnaͤdig; und
erbarmet ſich lieber, als daß er zuͤrnet, aber
eben darinnen zeiget er ſeine Gnade und Er-
barmen, daß er der von Natur betrogenen
und verblendeten Seele, die Augen eroͤfnet,
ihre Bloͤſſe, Wunden und Gefahr entdecket,
damit er ſie bewegen moͤchte, mit einem de-
muͤthigen und leidtragenden Herze zu denen
Wunden ſeines Sohnes zu fliehen, ſeine
blutige Gerechtigkeit zu ergreifen, und auf
dieſe Weiſe in ſein verſoͤhnendes und ſelig-
machendes Erbarmen einzudringen. Ver-
ſteckt man ſich nun in die Feigenblaͤtter des
Selbſtbetrugs, wehrt man ſich, in die Ord-
nung zu tretten, in welcher er ſeine gnaͤdi-
ge Erbarmungen anerbietet, ſo ſchließt man
ſich ſelbſten von ſeiner Gnade aus. Trette
man alſo lieber in die Erkaͤnntniß ſeiner ſel-
ber, gebe man ſich ſo bloß, ſo elend, ſo
ſuͤndlich und verderbt dem HErrn dar, wie
man wuͤrklich iſt, ſchlage man an ſeine Huͤf-
te, und ſuche in einem reuenden und zer-
ſchmelzten Weſen ſein Erbarmen, ſo wird
der HErr ſich finden laſſen.
Andere ſcheuen ſich darum in den Buß-
kampf zu tretten, weil ſie fuͤrchten, ſie moͤch-
ten unter dem Gefuͤhl und Laſt der Suͤnde
gar verſchmachten und verzagen. Die erſte
Aufdeckung der Suͤnde, die Blicke in die
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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/384>, abgerufen am 22.11.2024.
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