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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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die Sachen wurden durch den Wechsel der Personen nicht anders.
Gegen Kammer und Krone zeigte sich der Vorsitzer des Ministe-
riums gleich verfassungsmäßig. Das Gesetz zum Schutz der per-
sönlichen Freiheit, das Bürgerwehrgesetz, endlich auch, wenn gleich
nach langem Zögern, das Jagdgesetz, wurden genehmigt und ver-
kündigt. Die Versammlung ihrerseits verwarf die Theilungslinie
des Großherzogthums Posen, wollte kein Königthum von Gottes
Gnaden, keine Adelstitel in öffentlichen Urkunden und keine
Orden. Das Ministerium vom 21. September ließ dies alles
geschehen, schien mit der Volksvertretung Hand in Hand zu gehen;
ja am 31. October stimmte der Vorsitzer des Ministeriums selbst
dafür, daß Wien gerettet würde. Nun war die verhängnißvolle
Wendung der Geschicke Preußens, die fünf Wochen vorher sein
guter Geist noch abwendete, beschlossen. Wien war gefallen, und
die Zuversicht dadurch gewonnen, daß man mit einem wohlgerü-
steten, alle neue Erfindungen der Kriegskunst benutzenden Heere
von 50,000 Mann mit 200 Kanonen, ein unregelmäßiges, schlecht
bewaffnetes Heer von höchstens 30,000 Bürgern werde fchlagen
können. Es waren unterdessen große Studien und praktische Er-
fahrungen über den Straßen- und Barrikaden-Kampf gemacht
worden. Den Vorwand zu diesen gewaltsamen Maßregeln gaben
die Tage vom 16. und 31. October. Am ersten Tage entspann
sich ein blutiger Kampf zwischen der Bürgerwehr und den Arbei-
tern, man weiß nicht recht wodurch, der aber dennoch mit einer
Art von Versöhnung endete, da die Versuche, durch übertrie-
bene Gerüchte, Truppen zur Einschreitung zu bringen, scheiterten.
Und am letzten Tage des October hatte die fieberhafte Anspan-
nung einer Bevölkerung, welche in dem Schicksal einer Schwester-
stadt ihr eigenes ahnend erkannte, Ausschreitungen eines wilden
Haufens veranlaßt, welche, so beklagenswerth sie an sich waren,
doch nicht die Strafe auf eine ganze Bevölkerung und ein ganzes
Volk herbeiziehen durften, welche sie erlitten, um so mehr da die
Thäter bereits gestraft zu werden anfangen: ganz abgesehen da-
von, daß es ja eben die Volksführer waren, welche die Ausschwei-
fenden zu beschwichtigen suchten, während andererseits Aufreizun-
gen zu dem Aufruhr allerdings stattgefunden hatten. Außerdem
ist aber zu bemerken, daß derselbe gar nicht den Erfolg hatte, die

die Sachen wurden durch den Wechſel der Perſonen nicht anders.
Gegen Kammer und Krone zeigte ſich der Vorſitzer des Miniſte-
riums gleich verfaſſungsmäßig. Das Geſetz zum Schutz der per-
ſönlichen Freiheit, das Bürgerwehrgeſetz, endlich auch, wenn gleich
nach langem Zögern, das Jagdgeſetz, wurden genehmigt und ver-
kündigt. Die Verſammlung ihrerſeits verwarf die Theilungslinie
des Großherzogthums Poſen, wollte kein Königthum von Gottes
Gnaden, keine Adelstitel in öffentlichen Urkunden und keine
Orden. Das Miniſterium vom 21. September ließ dies alles
geſchehen, ſchien mit der Volksvertretung Hand in Hand zu gehen;
ja am 31. October ſtimmte der Vorſitzer des Miniſteriums ſelbſt
dafür, daß Wien gerettet würde. Nun war die verhängnißvolle
Wendung der Geſchicke Preußens, die fünf Wochen vorher ſein
guter Geiſt noch abwendete, beſchloſſen. Wien war gefallen, und
die Zuverſicht dadurch gewonnen, daß man mit einem wohlgerü-
ſteten, alle neue Erfindungen der Kriegskunſt benutzenden Heere
von 50,000 Mann mit 200 Kanonen, ein unregelmäßiges, ſchlecht
bewaffnetes Heer von höchſtens 30,000 Bürgern werde fchlagen
können. Es waren unterdeſſen große Studien und praktiſche Er-
fahrungen über den Straßen- und Barrikaden-Kampf gemacht
worden. Den Vorwand zu dieſen gewaltſamen Maßregeln gaben
die Tage vom 16. und 31. October. Am erſten Tage entſpann
ſich ein blutiger Kampf zwiſchen der Bürgerwehr und den Arbei-
tern, man weiß nicht recht wodurch, der aber dennoch mit einer
Art von Verſöhnung endete, da die Verſuche, durch übertrie-
bene Gerüchte, Truppen zur Einſchreitung zu bringen, ſcheiterten.
Und am letzten Tage des October hatte die fieberhafte Anſpan-
nung einer Bevölkerung, welche in dem Schickſal einer Schweſter-
ſtadt ihr eigenes ahnend erkannte, Ausſchreitungen eines wilden
Haufens veranlaßt, welche, ſo beklagenswerth ſie an ſich waren,
doch nicht die Strafe auf eine ganze Bevölkerung und ein ganzes
Volk herbeiziehen durften, welche ſie erlitten, um ſo mehr da die
Thäter bereits geſtraft zu werden anfangen: ganz abgeſehen da-
von, daß es ja eben die Volksführer waren, welche die Ausſchwei-
fenden zu beſchwichtigen ſuchten, während andererſeits Aufreizun-
gen zu dem Aufruhr allerdings ſtattgefunden hatten. Außerdem
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[12/0022] die Sachen wurden durch den Wechſel der Perſonen nicht anders. Gegen Kammer und Krone zeigte ſich der Vorſitzer des Miniſte- riums gleich verfaſſungsmäßig. Das Geſetz zum Schutz der per- ſönlichen Freiheit, das Bürgerwehrgeſetz, endlich auch, wenn gleich nach langem Zögern, das Jagdgeſetz, wurden genehmigt und ver- kündigt. Die Verſammlung ihrerſeits verwarf die Theilungslinie des Großherzogthums Poſen, wollte kein Königthum von Gottes Gnaden, keine Adelstitel in öffentlichen Urkunden und keine Orden. Das Miniſterium vom 21. September ließ dies alles geſchehen, ſchien mit der Volksvertretung Hand in Hand zu gehen; ja am 31. October ſtimmte der Vorſitzer des Miniſteriums ſelbſt dafür, daß Wien gerettet würde. Nun war die verhängnißvolle Wendung der Geſchicke Preußens, die fünf Wochen vorher ſein guter Geiſt noch abwendete, beſchloſſen. Wien war gefallen, und die Zuverſicht dadurch gewonnen, daß man mit einem wohlgerü- ſteten, alle neue Erfindungen der Kriegskunſt benutzenden Heere von 50,000 Mann mit 200 Kanonen, ein unregelmäßiges, ſchlecht bewaffnetes Heer von höchſtens 30,000 Bürgern werde fchlagen können. Es waren unterdeſſen große Studien und praktiſche Er- fahrungen über den Straßen- und Barrikaden-Kampf gemacht worden. Den Vorwand zu dieſen gewaltſamen Maßregeln gaben die Tage vom 16. und 31. October. Am erſten Tage entſpann ſich ein blutiger Kampf zwiſchen der Bürgerwehr und den Arbei- tern, man weiß nicht recht wodurch, der aber dennoch mit einer Art von Verſöhnung endete, da die Verſuche, durch übertrie- bene Gerüchte, Truppen zur Einſchreitung zu bringen, ſcheiterten. Und am letzten Tage des October hatte die fieberhafte Anſpan- nung einer Bevölkerung, welche in dem Schickſal einer Schweſter- ſtadt ihr eigenes ahnend erkannte, Ausſchreitungen eines wilden Haufens veranlaßt, welche, ſo beklagenswerth ſie an ſich waren, doch nicht die Strafe auf eine ganze Bevölkerung und ein ganzes Volk herbeiziehen durften, welche ſie erlitten, um ſo mehr da die Thäter bereits geſtraft zu werden anfangen: ganz abgeſehen da- von, daß es ja eben die Volksführer waren, welche die Ausſchwei- fenden zu beſchwichtigen ſuchten, während andererſeits Aufreizun- gen zu dem Aufruhr allerdings ſtattgefunden hatten. Außerdem iſt aber zu bemerken, daß derſelbe gar nicht den Erfolg hatte, die

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/22>, abgerufen am 23.11.2024.