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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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auch diesen Gegensatz zur Staatswirthschaft darzustellen haben, um
endlich durch Verknüpfung der Gegensätze, deren jeder so einseitig
wie berechtigt ist, das wahre Ziel in der Wissenschaft der Gesell-
schaft zu finden. Die Staatswirthschaftslehrer finden den jetzigen
Zustand genügend. "Die Vereinslehre," sagt Proudhon, "hat Un-
recht, die Ueberlieferung abzuschneiden. Die Staatswirthschaft ist
ein Schlendrian, der sich selbst nicht begreift: die Vereinslehre ein
Hirngespinnst ohne Realität und Möglichkeit der Verwirklichung.
Diese läugnet die Erfahrung der Menschheit, jene die Vernunft
der Menschheit; alle Beide erfüllen nicht die wesentlichen Bedin-
gungen der menschlichen Wahrheit. Die wahre Wissenschaft der
Gesellschaft ist die Uebereinstimmung der gesellschaftlichen Ver-
nunft mit der gesellschaftlichen That. Und diese Wissenschaft, von
der unsere Meister nur dünne Streiflichter gewahrten, wird unser
Jahrhundert in ihrer feierlichen Pracht und Eintracht zu schauen
bekommen." Proudhon setzt in dieser Rücksicht hinzu: "Meine For-
mel ist Erhaltung und Bewegung; die Elemente der Wissenschaft
der Gesellschaft sind in der bisherigen Staatswirthschaft enthal-
ten. Wie das Einzelleben die ursprüngliche Thatsache der Mensch-
heit ist, so ist das Vereinsleben ihre Vervollständigung; aber alle
Beide beurtheilen sich unaufhörlich." Ein anderer Schriftsteller,
der auf diesem wahrhaften Standpunkt der Durchdringung und
Verschmelzung der Gegensätze zu einer inhaltsvollen Mitte steht,
ist mein Freund Cieszkowski. "Die Unvollkommenheiten des
Einen Systems," sagt er, "werden ergänzt durch die Vortheile des
andern;" und so sieht er die Einheit jener Gegensätze in dem
System einer vollkommenen Gegenseitigkeit, die wir dann selbst
wieder als die Quelle aller Sittlichkeit ansehen können. Diesen
Grundsätzen dieser und anderer ehrenwerthen Männer habe ich
mich im Folgenden angeschlossen, und sie weiter zu entwickeln ver-
sucht. Wobei ich indessen, wenn ich die Gedanken meiner Vor-
gänger in die meinigen zu verflechten habe, mich der schleppenden An-
führungen enthalten, und das Ganze aus Einem Gusse darstellen werde.

1. Die Widersprüche des Einzellebens in der
Staatswirthschaft.

Der Mensch, als Selbstzweck aufgefaßt, hat nicht nur das
Recht auf Befriedigung seiner geistigen Bedürfnisse, z. B. das

auch dieſen Gegenſatz zur Staatswirthſchaft darzuſtellen haben, um
endlich durch Verknüpfung der Gegenſätze, deren jeder ſo einſeitig
wie berechtigt iſt, das wahre Ziel in der Wiſſenſchaft der Geſell-
ſchaft zu finden. Die Staatswirthſchaftslehrer finden den jetzigen
Zuſtand genügend. „Die Vereinslehre,‟ ſagt Proudhon, „hat Un-
recht, die Ueberlieferung abzuſchneiden. Die Staatswirthſchaft iſt
ein Schlendrian, der ſich ſelbſt nicht begreift: die Vereinslehre ein
Hirngeſpinnſt ohne Realität und Möglichkeit der Verwirklichung.
Dieſe läugnet die Erfahrung der Menſchheit, jene die Vernunft
der Menſchheit; alle Beide erfüllen nicht die weſentlichen Bedin-
gungen der menſchlichen Wahrheit. Die wahre Wiſſenſchaft der
Geſellſchaft iſt die Uebereinſtimmung der geſellſchaftlichen Ver-
nunft mit der geſellſchaftlichen That. Und dieſe Wiſſenſchaft, von
der unſere Meiſter nur dünne Streiflichter gewahrten, wird unſer
Jahrhundert in ihrer feierlichen Pracht und Eintracht zu ſchauen
bekommen.‟ Proudhon ſetzt in dieſer Rückſicht hinzu: „Meine For-
mel iſt Erhaltung und Bewegung; die Elemente der Wiſſenſchaft
der Geſellſchaft ſind in der bisherigen Staatswirthſchaft enthal-
ten. Wie das Einzelleben die urſprüngliche Thatſache der Menſch-
heit iſt, ſo iſt das Vereinsleben ihre Vervollſtändigung; aber alle
Beide beurtheilen ſich unaufhörlich.‟ Ein anderer Schriftſteller,
der auf dieſem wahrhaften Standpunkt der Durchdringung und
Verſchmelzung der Gegenſätze zu einer inhaltsvollen Mitte ſteht,
iſt mein Freund Cieszkowski. „Die Unvollkommenheiten des
Einen Syſtems,‟ ſagt er, „werden ergänzt durch die Vortheile des
andern;‟ und ſo ſieht er die Einheit jener Gegenſätze in dem
Syſtem einer vollkommenen Gegenſeitigkeit, die wir dann ſelbſt
wieder als die Quelle aller Sittlichkeit anſehen können. Dieſen
Grundſätzen dieſer und anderer ehrenwerthen Männer habe ich
mich im Folgenden angeſchloſſen, und ſie weiter zu entwickeln ver-
ſucht. Wobei ich indeſſen, wenn ich die Gedanken meiner Vor-
gänger in die meinigen zu verflechten habe, mich der ſchleppenden An-
führungen enthalten, und das Ganze aus Einem Guſſe darſtellen werde.

1. Die Widerſprüche des Einzellebens in der
Staatswirthſchaft.

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[42/0052] auch dieſen Gegenſatz zur Staatswirthſchaft darzuſtellen haben, um endlich durch Verknüpfung der Gegenſätze, deren jeder ſo einſeitig wie berechtigt iſt, das wahre Ziel in der Wiſſenſchaft der Geſell- ſchaft zu finden. Die Staatswirthſchaftslehrer finden den jetzigen Zuſtand genügend. „Die Vereinslehre,‟ ſagt Proudhon, „hat Un- recht, die Ueberlieferung abzuſchneiden. Die Staatswirthſchaft iſt ein Schlendrian, der ſich ſelbſt nicht begreift: die Vereinslehre ein Hirngeſpinnſt ohne Realität und Möglichkeit der Verwirklichung. Dieſe läugnet die Erfahrung der Menſchheit, jene die Vernunft der Menſchheit; alle Beide erfüllen nicht die weſentlichen Bedin- gungen der menſchlichen Wahrheit. Die wahre Wiſſenſchaft der Geſellſchaft iſt die Uebereinſtimmung der geſellſchaftlichen Ver- nunft mit der geſellſchaftlichen That. Und dieſe Wiſſenſchaft, von der unſere Meiſter nur dünne Streiflichter gewahrten, wird unſer Jahrhundert in ihrer feierlichen Pracht und Eintracht zu ſchauen bekommen.‟ Proudhon ſetzt in dieſer Rückſicht hinzu: „Meine For- mel iſt Erhaltung und Bewegung; die Elemente der Wiſſenſchaft der Geſellſchaft ſind in der bisherigen Staatswirthſchaft enthal- ten. Wie das Einzelleben die urſprüngliche Thatſache der Menſch- heit iſt, ſo iſt das Vereinsleben ihre Vervollſtändigung; aber alle Beide beurtheilen ſich unaufhörlich.‟ Ein anderer Schriftſteller, der auf dieſem wahrhaften Standpunkt der Durchdringung und Verſchmelzung der Gegenſätze zu einer inhaltsvollen Mitte ſteht, iſt mein Freund Cieszkowski. „Die Unvollkommenheiten des Einen Syſtems,‟ ſagt er, „werden ergänzt durch die Vortheile des andern;‟ und ſo ſieht er die Einheit jener Gegenſätze in dem Syſtem einer vollkommenen Gegenſeitigkeit, die wir dann ſelbſt wieder als die Quelle aller Sittlichkeit anſehen können. Dieſen Grundſätzen dieſer und anderer ehrenwerthen Männer habe ich mich im Folgenden angeſchloſſen, und ſie weiter zu entwickeln ver- ſucht. Wobei ich indeſſen, wenn ich die Gedanken meiner Vor- gänger in die meinigen zu verflechten habe, mich der ſchleppenden An- führungen enthalten, und das Ganze aus Einem Guſſe darſtellen werde. 1. Die Widerſprüche des Einzellebens in der Staatswirthſchaft. Der Menſch, als Selbſtzweck aufgefaßt, hat nicht nur das Recht auf Befriedigung ſeiner geiſtigen Bedürfniſſe, z. B. das

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/52>, abgerufen am 21.11.2024.