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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Wachsthums der Güter und des Wohlseins für die Einzelnen
und den Staat. Was die Einzelnen betrifft, so werden durch Schutz-
zölle nur Einige in Vortheil gesetzt; einige Erwerbzweige bekom-
men einen künstlichen Anstoß, andere erheben sich neu, aber sie
werfen weniger Gewinn ab. Die Verbraucher, d. h. das ganze
Volk, leiden darunter, weil sie die Waare theurer und schlechter
kaufen müssen. Man thut aber immer besser, von Andern wohlfeil
zu kaufen, was man selbst nur theurer erzeugen kann. Durch die
Hinderung der Einfuhr wird der Verbrauch vermindert, und die
Theilung der Arbeit unter den Völkern unmöglich. Was aber
die Staaten betrifft, so werden sie sich so lange streiten, als jeder
verkaufen, keiner kaufen will. Durch den Freihandel werden die
Völker so abhängig von einander, wie die Einzelnen. Dadurch
wird der Krieg eine Unmöglichkeit werden, und die materiellen
Jnteressen werden die Verbrüderung aller Völker erzeugen.

Hören wir nun auch die Vertheidiger der Schutzzölle, es
sind die Producenten; sie wollen, daß die Hindernisse des Wohl-
stands recht groß seien, damit ihre Arbeit, welche dieselben weg-
räumt, besser bezahlt werde. Durch das Monopol, sagen sie, ist
die Wohlfahrt der Einzelnen erhöht; der Freihandel zerstört aber
jedes Monopol. Oder gelingt es diesem, sich in diesem Kampfe
zu erhalten, so wird die Abschaffung der Schutzzölle nur dazu
dienen, das Fangnetz des Vorrechts weiter auszudehnen, die Be-
sitzentsetzungen zu vermehren, und die Monopole aller Länder
gegen das Proletariat zu verbinden. Diese plötzliche Veränderung
würde ferner ungeheueren Schaden in dem Gewerbfleiß anrichten;
große Capitalien würden müßig, hunderttausende von Arbeitern
sich plötzlich ohne Arbeit und Brod befinden, und die Hälfte der
Fabrication eines Landes vernichtet sein. Entgegnet man, "das
Uebel ist vorübergehend", -- was sollen uns Glückverheißungen für
eine ferne Zukunft, wenn wir das Elend der Gegenwart vor
Augen haben? Aufhebung aller Schutzzölle würde die Freiheit,
Gleichheit und Eigenthümlichkeit der Völker aufs Spiel setzen.
Kaufen wir mit Geld die Waaren, welche das Ausland besser
erzeugen kann, so veräußern wir immer mehr unser Erbgut, und
werden dem Auslande zollpflichtig. Denn um immer zahlen zu
können, müssen wir Gold und Silber wieder durch Hypotheken

Wachsthums der Güter und des Wohlſeins für die Einzelnen
und den Staat. Was die Einzelnen betrifft, ſo werden durch Schutz-
zölle nur Einige in Vortheil geſetzt; einige Erwerbzweige bekom-
men einen künſtlichen Anſtoß, andere erheben ſich neu, aber ſie
werfen weniger Gewinn ab. Die Verbraucher, d. h. das ganze
Volk, leiden darunter, weil ſie die Waare theurer und ſchlechter
kaufen müſſen. Man thut aber immer beſſer, von Andern wohlfeil
zu kaufen, was man ſelbſt nur theurer erzeugen kann. Durch die
Hinderung der Einfuhr wird der Verbrauch vermindert, und die
Theilung der Arbeit unter den Völkern unmöglich. Was aber
die Staaten betrifft, ſo werden ſie ſich ſo lange ſtreiten, als jeder
verkaufen, keiner kaufen will. Durch den Freihandel werden die
Völker ſo abhängig von einander, wie die Einzelnen. Dadurch
wird der Krieg eine Unmöglichkeit werden, und die materiellen
Jntereſſen werden die Verbrüderung aller Völker erzeugen.

Hören wir nun auch die Vertheidiger der Schutzzölle, es
ſind die Producenten; ſie wollen, daß die Hinderniſſe des Wohl-
ſtands recht groß ſeien, damit ihre Arbeit, welche dieſelben weg-
räumt, beſſer bezahlt werde. Durch das Monopol, ſagen ſie, iſt
die Wohlfahrt der Einzelnen erhöht; der Freihandel zerſtört aber
jedes Monopol. Oder gelingt es dieſem, ſich in dieſem Kampfe
zu erhalten, ſo wird die Abſchaffung der Schutzzölle nur dazu
dienen, das Fangnetz des Vorrechts weiter auszudehnen, die Be-
ſitzentſetzungen zu vermehren, und die Monopole aller Länder
gegen das Proletariat zu verbinden. Dieſe plötzliche Veränderung
würde ferner ungeheueren Schaden in dem Gewerbfleiß anrichten;
große Capitalien würden müßig, hunderttauſende von Arbeitern
ſich plötzlich ohne Arbeit und Brod befinden, und die Hälfte der
Fabrication eines Landes vernichtet ſein. Entgegnet man, „das
Uebel iſt vorübergehend‟, — was ſollen uns Glückverheißungen für
eine ferne Zukunft, wenn wir das Elend der Gegenwart vor
Augen haben? Aufhebung aller Schutzzölle würde die Freiheit,
Gleichheit und Eigenthümlichkeit der Völker aufs Spiel ſetzen.
Kaufen wir mit Geld die Waaren, welche das Ausland beſſer
erzeugen kann, ſo veräußern wir immer mehr unſer Erbgut, und
werden dem Auslande zollpflichtig. Denn um immer zahlen zu
können, müſſen wir Gold und Silber wieder durch Hypotheken

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[56/0066] Wachsthums der Güter und des Wohlſeins für die Einzelnen und den Staat. Was die Einzelnen betrifft, ſo werden durch Schutz- zölle nur Einige in Vortheil geſetzt; einige Erwerbzweige bekom- men einen künſtlichen Anſtoß, andere erheben ſich neu, aber ſie werfen weniger Gewinn ab. Die Verbraucher, d. h. das ganze Volk, leiden darunter, weil ſie die Waare theurer und ſchlechter kaufen müſſen. Man thut aber immer beſſer, von Andern wohlfeil zu kaufen, was man ſelbſt nur theurer erzeugen kann. Durch die Hinderung der Einfuhr wird der Verbrauch vermindert, und die Theilung der Arbeit unter den Völkern unmöglich. Was aber die Staaten betrifft, ſo werden ſie ſich ſo lange ſtreiten, als jeder verkaufen, keiner kaufen will. Durch den Freihandel werden die Völker ſo abhängig von einander, wie die Einzelnen. Dadurch wird der Krieg eine Unmöglichkeit werden, und die materiellen Jntereſſen werden die Verbrüderung aller Völker erzeugen. Hören wir nun auch die Vertheidiger der Schutzzölle, es ſind die Producenten; ſie wollen, daß die Hinderniſſe des Wohl- ſtands recht groß ſeien, damit ihre Arbeit, welche dieſelben weg- räumt, beſſer bezahlt werde. Durch das Monopol, ſagen ſie, iſt die Wohlfahrt der Einzelnen erhöht; der Freihandel zerſtört aber jedes Monopol. Oder gelingt es dieſem, ſich in dieſem Kampfe zu erhalten, ſo wird die Abſchaffung der Schutzzölle nur dazu dienen, das Fangnetz des Vorrechts weiter auszudehnen, die Be- ſitzentſetzungen zu vermehren, und die Monopole aller Länder gegen das Proletariat zu verbinden. Dieſe plötzliche Veränderung würde ferner ungeheueren Schaden in dem Gewerbfleiß anrichten; große Capitalien würden müßig, hunderttauſende von Arbeitern ſich plötzlich ohne Arbeit und Brod befinden, und die Hälfte der Fabrication eines Landes vernichtet ſein. Entgegnet man, „das Uebel iſt vorübergehend‟, — was ſollen uns Glückverheißungen für eine ferne Zukunft, wenn wir das Elend der Gegenwart vor Augen haben? Aufhebung aller Schutzzölle würde die Freiheit, Gleichheit und Eigenthümlichkeit der Völker aufs Spiel ſetzen. Kaufen wir mit Geld die Waaren, welche das Ausland beſſer erzeugen kann, ſo veräußern wir immer mehr unſer Erbgut, und werden dem Auslande zollpflichtig. Denn um immer zahlen zu können, müſſen wir Gold und Silber wieder durch Hypotheken

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/66>, abgerufen am 17.05.2024.