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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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giebt. Die Wohnung ist gemeinsam, die Haushaltung gemein-
sam, die Mahlzeiten, die Fourier bis auf sieben steigert, sind ge-
meinsam, trotzdem daß Privatgemächer geduldet werden. Die Ehe
ist der Willkür überlassen, allen Zufällen des Meineids und der
Unbeständigkeit ausgesetzt. Fourier will die Arbeit durch Wechsel
anziehend machen, sie trägt aber in sich ihren Reiz; Sammlung
ist ihr Bundesgenosse, Zerstreuung ihr Todfeind. Andere Hirn-
spinner zerstören die Städte, vereinzeln die Familien auf der gan-
zen Erde. Noch andere ziehen vor, die Bevölkerung in großen
Hauptstädten aufzuhäufen, von wo Schwärme von Arbeitern sich
mit der Locomotive auf alle Punkte des Landes ergießen. Viele
Vereinslehrer älterer und neuerer Zeit haben Aehnliches aufge-
stellt. Jch führe nur unter den Engländern Owen, welcher die
Verantwortlichkeit der Menschen aufheben will, indem er ihre Ver-
brechen dem schlechten Zustande der Gesellschaft zurechnet: unter
den Deutschen Weitling an, welcher den Staat in die Ge-
sellschaft verschwinden und in einer vollkommenen Gesellschaft keine
Regierung, sondern nur eine Verwaltung bestehen lassen wollte.
Alle diese Lehren sind in den Büchern ihrer Urheber vergraben
geblieben, jeder Versuch, an die rauhe Luft des Daseins zu treten,
ist jämmerlich gescheitert; und selbst das Phalansterium hat es
nur zu sehr vereinzelten, und meist mißglückten Verwirklichungs-
anstrengungen bringen können.

Die Gliederung der Arbeit, welche Saint-Simon, Fou-
rier und die Anderen anstrebten, ist nun von Louis Blanc
zum ausgesprochenen Ziel seiner ganzen Thätigkeit gemacht wor-
den; und der Versuch zu ihrer Verwirklichung, indem er an einem
großen Volke hatte ausgeführt werden sollen, verdient so zuletzt
noch unsere Aufmerksamkeit, indem das Scheitern auch dieses Un-
ternehmens eben den Fehler desselben am Schlagendsten offen le-
gen wird, um daraus das Ergebniß für die Lösung der gesell-
schaftlichen Frage zu ziehen, die nur durch Vermeidung jener
Fehler vor sich gehen kann.

Zu seinen beiden unmittelbaren Vorgängern, Saint-Simon
und Fourier, verhält sich Louis Blanc so, daß, während jener
alle Thätigkeit vom Staate ausgehen läßt und dieser sie an die Ge-
meinde knüpft, Louis Blanc die Mitte hält. Wenn der Verein

giebt. Die Wohnung iſt gemeinſam, die Haushaltung gemein-
ſam, die Mahlzeiten, die Fourier bis auf ſieben ſteigert, ſind ge-
meinſam, trotzdem daß Privatgemächer geduldet werden. Die Ehe
iſt der Willkür überlaſſen, allen Zufällen des Meineids und der
Unbeſtändigkeit ausgeſetzt. Fourier will die Arbeit durch Wechſel
anziehend machen, ſie trägt aber in ſich ihren Reiz; Sammlung
iſt ihr Bundesgenoſſe, Zerſtreuung ihr Todfeind. Andere Hirn-
ſpinner zerſtören die Städte, vereinzeln die Familien auf der gan-
zen Erde. Noch andere ziehen vor, die Bevölkerung in großen
Hauptſtädten aufzuhäufen, von wo Schwärme von Arbeitern ſich
mit der Locomotive auf alle Punkte des Landes ergießen. Viele
Vereinslehrer älterer und neuerer Zeit haben Aehnliches aufge-
ſtellt. Jch führe nur unter den Engländern Owen, welcher die
Verantwortlichkeit der Menſchen aufheben will, indem er ihre Ver-
brechen dem ſchlechten Zuſtande der Geſellſchaft zurechnet: unter
den Deutſchen Weitling an, welcher den Staat in die Ge-
ſellſchaft verſchwinden und in einer vollkommenen Geſellſchaft keine
Regierung, ſondern nur eine Verwaltung beſtehen laſſen wollte.
Alle dieſe Lehren ſind in den Büchern ihrer Urheber vergraben
geblieben, jeder Verſuch, an die rauhe Luft des Daſeins zu treten,
iſt jämmerlich geſcheitert; und ſelbſt das Phalanſterium hat es
nur zu ſehr vereinzelten, und meiſt mißglückten Verwirklichungs-
anſtrengungen bringen können.

Die Gliederung der Arbeit, welche Saint-Simon, Fou-
rier und die Anderen anſtrebten, iſt nun von Louis Blanc
zum ausgeſprochenen Ziel ſeiner ganzen Thätigkeit gemacht wor-
den; und der Verſuch zu ihrer Verwirklichung, indem er an einem
großen Volke hatte ausgeführt werden ſollen, verdient ſo zuletzt
noch unſere Aufmerkſamkeit, indem das Scheitern auch dieſes Un-
ternehmens eben den Fehler deſſelben am Schlagendſten offen le-
gen wird, um daraus das Ergebniß für die Löſung der geſell-
ſchaftlichen Frage zu ziehen, die nur durch Vermeidung jener
Fehler vor ſich gehen kann.

Zu ſeinen beiden unmittelbaren Vorgängern, Saint-Simon
und Fourier, verhält ſich Louis Blanc ſo, daß, während jener
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[76/0086] giebt. Die Wohnung iſt gemeinſam, die Haushaltung gemein- ſam, die Mahlzeiten, die Fourier bis auf ſieben ſteigert, ſind ge- meinſam, trotzdem daß Privatgemächer geduldet werden. Die Ehe iſt der Willkür überlaſſen, allen Zufällen des Meineids und der Unbeſtändigkeit ausgeſetzt. Fourier will die Arbeit durch Wechſel anziehend machen, ſie trägt aber in ſich ihren Reiz; Sammlung iſt ihr Bundesgenoſſe, Zerſtreuung ihr Todfeind. Andere Hirn- ſpinner zerſtören die Städte, vereinzeln die Familien auf der gan- zen Erde. Noch andere ziehen vor, die Bevölkerung in großen Hauptſtädten aufzuhäufen, von wo Schwärme von Arbeitern ſich mit der Locomotive auf alle Punkte des Landes ergießen. Viele Vereinslehrer älterer und neuerer Zeit haben Aehnliches aufge- ſtellt. Jch führe nur unter den Engländern Owen, welcher die Verantwortlichkeit der Menſchen aufheben will, indem er ihre Ver- brechen dem ſchlechten Zuſtande der Geſellſchaft zurechnet: unter den Deutſchen Weitling an, welcher den Staat in die Ge- ſellſchaft verſchwinden und in einer vollkommenen Geſellſchaft keine Regierung, ſondern nur eine Verwaltung beſtehen laſſen wollte. Alle dieſe Lehren ſind in den Büchern ihrer Urheber vergraben geblieben, jeder Verſuch, an die rauhe Luft des Daſeins zu treten, iſt jämmerlich geſcheitert; und ſelbſt das Phalanſterium hat es nur zu ſehr vereinzelten, und meiſt mißglückten Verwirklichungs- anſtrengungen bringen können. Die Gliederung der Arbeit, welche Saint-Simon, Fou- rier und die Anderen anſtrebten, iſt nun von Louis Blanc zum ausgeſprochenen Ziel ſeiner ganzen Thätigkeit gemacht wor- den; und der Verſuch zu ihrer Verwirklichung, indem er an einem großen Volke hatte ausgeführt werden ſollen, verdient ſo zuletzt noch unſere Aufmerkſamkeit, indem das Scheitern auch dieſes Un- ternehmens eben den Fehler deſſelben am Schlagendſten offen le- gen wird, um daraus das Ergebniß für die Löſung der geſell- ſchaftlichen Frage zu ziehen, die nur durch Vermeidung jener Fehler vor ſich gehen kann. Zu ſeinen beiden unmittelbaren Vorgängern, Saint-Simon und Fourier, verhält ſich Louis Blanc ſo, daß, während jener alle Thätigkeit vom Staate ausgehen läßt und dieſer ſie an die Ge- meinde knüpft, Louis Blanc die Mitte hält. Wenn der Verein

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/86>, abgerufen am 18.05.2024.