Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

selben mit tragen. Die Erzeugung würde überall ihre Waaren-
lager und Niederlagen haben, wo die Bedürfnisse der Verzehrer
solches verlangten. Der Credit ist ein Mittel, dem Arbeiter die
Mittel zur Arbeit zu liefern. Die Banken borgen blos den Rei-
chen. Der Antheil am Gewinn, welcher der Vergrößerung der
gemeinschaftlichen Werkstätte unwiderruflich gewidmet ist, das
würde der eigentliche Credit sein. Wozu würden wir dann noch
der Banken bedürfen? Fort mit ihnen!

Von Fourier unterscheidet sich Louis Blanc darin, daß er
dem Talent nicht erlauben will, seine gesetzliche Herrschaft durch
die Höhe des Lohns zu bestätigen, den ihm die Menschheit zollen
muß, sondern durch die Größe der Dienste, welche es ihr leisten
wird. Denn die Ungleichheit der Fähigkeiten, sagt er, darf nicht
eine Ungleichheit der Rechte herbeiführen, sondern nur eine Ungleich-
heit der Pflichten. So will er auch den Unterschied des Lohns
nach der höheren oder niederen Stellung des Arbeiters nur für
die erste Zeit beibehalten, um durch größere Besoldung einen Be-
weggrund zur Nacheiferung und Ermuthigung zu erlangen. So-
bald aber eine bessere staatsbürgerliche Erziehung, welche an die
Stelle der heutigen ungesellschaftlichen treten muß, die Begriffe
und Sitten in diesem Punkte wird geändert haben, kann diese
Ungleichheit fortfallen. Doch versteht es sich von selbst, daß in
allen Fällen der Lohn vollkommen für die Lebensbedürfnisse des
Arbeiters hinreichen müßte. Sorgt die Gesellschaft dafür, daß
jeder Einzelne, der in die Welt tritt, auch seinen Fähigkeiten an-
gemessene Arbeit finde und an dem Gesammt-Capital Antheil
nehme: so wird die väterliche Vorsorge durch die bürgerliche ersetzt
sein, und man kann sich ein Familienleben ohne Erblichkeit denken,
während bei dem gegenwärtigen Zustande der Gesellschaft aller-
dings die Erbschaft und das Familienleben unzertrennlich sind.
Die Saint-Simonisten gaben zu, daß sie mit der Erblichkeit die
Familie aufhoben. Die Wahrheit aber ist, daß das Familien-
leben eine natürliche Thatsache ist, welche nicht vernichtet werden
kann, während die Erblichkeit eine gesellschaftliche Uebereinkunft
ist, die durch den Fortschritt der Gesellschaft aufgelöst zu werden
vermag.

ſelben mit tragen. Die Erzeugung würde überall ihre Waaren-
lager und Niederlagen haben, wo die Bedürfniſſe der Verzehrer
ſolches verlangten. Der Credit iſt ein Mittel, dem Arbeiter die
Mittel zur Arbeit zu liefern. Die Banken borgen blos den Rei-
chen. Der Antheil am Gewinn, welcher der Vergrößerung der
gemeinſchaftlichen Werkſtätte unwiderruflich gewidmet iſt, das
würde der eigentliche Credit ſein. Wozu würden wir dann noch
der Banken bedürfen? Fort mit ihnen!

Von Fourier unterſcheidet ſich Louis Blanc darin, daß er
dem Talent nicht erlauben will, ſeine geſetzliche Herrſchaft durch
die Höhe des Lohns zu beſtätigen, den ihm die Menſchheit zollen
muß, ſondern durch die Größe der Dienſte, welche es ihr leiſten
wird. Denn die Ungleichheit der Fähigkeiten, ſagt er, darf nicht
eine Ungleichheit der Rechte herbeiführen, ſondern nur eine Ungleich-
heit der Pflichten. So will er auch den Unterſchied des Lohns
nach der höheren oder niederen Stellung des Arbeiters nur für
die erſte Zeit beibehalten, um durch größere Beſoldung einen Be-
weggrund zur Nacheiferung und Ermuthigung zu erlangen. So-
bald aber eine beſſere ſtaatsbürgerliche Erziehung, welche an die
Stelle der heutigen ungeſellſchaftlichen treten muß, die Begriffe
und Sitten in dieſem Punkte wird geändert haben, kann dieſe
Ungleichheit fortfallen. Doch verſteht es ſich von ſelbſt, daß in
allen Fällen der Lohn vollkommen für die Lebensbedürfniſſe des
Arbeiters hinreichen müßte. Sorgt die Geſellſchaft dafür, daß
jeder Einzelne, der in die Welt tritt, auch ſeinen Fähigkeiten an-
gemeſſene Arbeit finde und an dem Geſammt-Capital Antheil
nehme: ſo wird die väterliche Vorſorge durch die bürgerliche erſetzt
ſein, und man kann ſich ein Familienleben ohne Erblichkeit denken,
während bei dem gegenwärtigen Zuſtande der Geſellſchaft aller-
dings die Erbſchaft und das Familienleben unzertrennlich ſind.
Die Saint-Simoniſten gaben zu, daß ſie mit der Erblichkeit die
Familie aufhoben. Die Wahrheit aber iſt, daß das Familien-
leben eine natürliche Thatſache iſt, welche nicht vernichtet werden
kann, während die Erblichkeit eine geſellſchaftliche Uebereinkunft
iſt, die durch den Fortſchritt der Geſellſchaft aufgelöſt zu werden
vermag.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="79"/>
&#x017F;elben mit tragen. Die Erzeugung würde überall ihre Waaren-<lb/>
lager und Niederlagen haben, wo die Bedürfni&#x017F;&#x017F;e der Verzehrer<lb/>
&#x017F;olches verlangten. Der <hi rendition="#g">Credit</hi> i&#x017F;t ein Mittel, dem Arbeiter die<lb/>
Mittel zur Arbeit zu liefern. Die Banken borgen blos den Rei-<lb/>
chen. Der Antheil am Gewinn, welcher der Vergrößerung der<lb/>
gemein&#x017F;chaftlichen Werk&#x017F;tätte unwiderruflich gewidmet i&#x017F;t, das<lb/>
würde der eigentliche Credit &#x017F;ein. Wozu würden wir dann noch<lb/>
der Banken bedürfen? Fort mit ihnen!</p><lb/>
          <p>Von Fourier unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich Louis Blanc darin, daß er<lb/>
dem Talent nicht erlauben will, &#x017F;eine ge&#x017F;etzliche Herr&#x017F;chaft durch<lb/>
die Höhe des Lohns zu be&#x017F;tätigen, den ihm die Men&#x017F;chheit zollen<lb/>
muß, &#x017F;ondern durch die Größe der Dien&#x017F;te, welche es ihr lei&#x017F;ten<lb/>
wird. Denn die Ungleichheit der Fähigkeiten, &#x017F;agt er, darf nicht<lb/>
eine Ungleichheit der Rechte herbeiführen, &#x017F;ondern nur eine Ungleich-<lb/>
heit der Pflichten. So will er auch den Unter&#x017F;chied des Lohns<lb/>
nach der höheren oder niederen Stellung des Arbeiters nur für<lb/>
die er&#x017F;te Zeit beibehalten, um durch größere Be&#x017F;oldung einen Be-<lb/>
weggrund zur Nacheiferung und Ermuthigung zu erlangen. So-<lb/>
bald aber eine be&#x017F;&#x017F;ere &#x017F;taatsbürgerliche Erziehung, welche an die<lb/>
Stelle der heutigen unge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen treten muß, die Begriffe<lb/>
und Sitten in die&#x017F;em Punkte wird geändert haben, kann die&#x017F;e<lb/>
Ungleichheit fortfallen. Doch ver&#x017F;teht es &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t, daß in<lb/>
allen Fällen der Lohn vollkommen für die Lebensbedürfni&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Arbeiters hinreichen müßte. Sorgt die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft dafür, daß<lb/>
jeder Einzelne, der in die Welt tritt, auch &#x017F;einen Fähigkeiten an-<lb/>
geme&#x017F;&#x017F;ene Arbeit finde und an dem Ge&#x017F;ammt-Capital Antheil<lb/>
nehme: &#x017F;o wird die väterliche Vor&#x017F;orge durch die bürgerliche er&#x017F;etzt<lb/>
&#x017F;ein, und man kann &#x017F;ich ein Familienleben ohne Erblichkeit denken,<lb/>
während bei dem gegenwärtigen Zu&#x017F;tande der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft aller-<lb/>
dings die Erb&#x017F;chaft und das Familienleben unzertrennlich &#x017F;ind.<lb/>
Die Saint-Simoni&#x017F;ten gaben zu, daß &#x017F;ie mit der Erblichkeit die<lb/>
Familie aufhoben. Die Wahrheit aber i&#x017F;t, daß das Familien-<lb/>
leben eine natürliche That&#x017F;ache i&#x017F;t, welche nicht vernichtet werden<lb/>
kann, während die Erblichkeit eine ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Uebereinkunft<lb/>
i&#x017F;t, die durch den Fort&#x017F;chritt der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft aufgelö&#x017F;t zu werden<lb/>
vermag.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0089] ſelben mit tragen. Die Erzeugung würde überall ihre Waaren- lager und Niederlagen haben, wo die Bedürfniſſe der Verzehrer ſolches verlangten. Der Credit iſt ein Mittel, dem Arbeiter die Mittel zur Arbeit zu liefern. Die Banken borgen blos den Rei- chen. Der Antheil am Gewinn, welcher der Vergrößerung der gemeinſchaftlichen Werkſtätte unwiderruflich gewidmet iſt, das würde der eigentliche Credit ſein. Wozu würden wir dann noch der Banken bedürfen? Fort mit ihnen! Von Fourier unterſcheidet ſich Louis Blanc darin, daß er dem Talent nicht erlauben will, ſeine geſetzliche Herrſchaft durch die Höhe des Lohns zu beſtätigen, den ihm die Menſchheit zollen muß, ſondern durch die Größe der Dienſte, welche es ihr leiſten wird. Denn die Ungleichheit der Fähigkeiten, ſagt er, darf nicht eine Ungleichheit der Rechte herbeiführen, ſondern nur eine Ungleich- heit der Pflichten. So will er auch den Unterſchied des Lohns nach der höheren oder niederen Stellung des Arbeiters nur für die erſte Zeit beibehalten, um durch größere Beſoldung einen Be- weggrund zur Nacheiferung und Ermuthigung zu erlangen. So- bald aber eine beſſere ſtaatsbürgerliche Erziehung, welche an die Stelle der heutigen ungeſellſchaftlichen treten muß, die Begriffe und Sitten in dieſem Punkte wird geändert haben, kann dieſe Ungleichheit fortfallen. Doch verſteht es ſich von ſelbſt, daß in allen Fällen der Lohn vollkommen für die Lebensbedürfniſſe des Arbeiters hinreichen müßte. Sorgt die Geſellſchaft dafür, daß jeder Einzelne, der in die Welt tritt, auch ſeinen Fähigkeiten an- gemeſſene Arbeit finde und an dem Geſammt-Capital Antheil nehme: ſo wird die väterliche Vorſorge durch die bürgerliche erſetzt ſein, und man kann ſich ein Familienleben ohne Erblichkeit denken, während bei dem gegenwärtigen Zuſtande der Geſellſchaft aller- dings die Erbſchaft und das Familienleben unzertrennlich ſind. Die Saint-Simoniſten gaben zu, daß ſie mit der Erblichkeit die Familie aufhoben. Die Wahrheit aber iſt, daß das Familien- leben eine natürliche Thatſache iſt, welche nicht vernichtet werden kann, während die Erblichkeit eine geſellſchaftliche Uebereinkunft iſt, die durch den Fortſchritt der Geſellſchaft aufgelöſt zu werden vermag.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/89
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/89>, abgerufen am 17.05.2024.