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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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dann treten sie lieber hinein, um den Nachtheilen ihrer Aus-
nahme-Stellung zu entgehen. Jch will nun zwar auch, daß die
Kraft der allgemeinen Einrichtungen die Arbeiter alle zur Ver-
gesellschaftung führe, aber nicht, indem die sich auf sich Beschrän-
kenden durch drohende Nachtheile zum Eintritt gezwungen wer-
den, sondern aus freiem Entschluß eintreten, insofern sie ihren
höchsten Vortheil dabei zu finden hoffen.

Das Mittel also, wodurch die gegenseitige Gewährleistung
des Wohls der Einzelnen herbeigeführt werden kann, ist das freie
Vereinsrecht ohne Zunftzwang, welches in den Grundrechten
aller Völker, die von den Umwälzungen des Jahres 1848 er-
griffen worden sind, ausgesprochen ist. Das Volk gliedert sich
in freien Vereinen der Arbeit, des Tausches und des Genusses;
das ist nicht die Gemeinschaft, wenn auch endlich der vereinzelte
Gewerbfleiß jedes Arbeiterzweiges, sowie der vereinzelte Handel,
gänzlich untergehen sollten. Nach dem 13. Artikel der französi-
schen Verfassung soll der Staat solche freiwilligen Vereine sogar
begünstigen. Dadurch aber, daß der Arbeiter die Zersplitterung
und Auflösung aller sittlichen Gemeinschaft in seinem Stande be-
seitigt, wird er sich auch schon ohne Zuthun des Staats am
Besten helfen. Unter Arbeiter verstehe ich jedoch nicht blos Acker-
bauer, Handwerker, Kaufleute, -- Arbeiter, welche für die leiblichen
Bedürfnisse sorgen: sondern ebenso gut Arbeiter für die höheren
geistigen Bedürfnisse, Künstler, Lehrer, Geistliche; auch Rechtsge-
lehrte und Aerzte gehören hierher. Der Ausgangspunkt und die
Grundlage ihrer Vereinigung ist die Gemeinde; und hier zeigt sich
klar, daß die gesellschaftliche Frage nicht ohne die vernünftige
Einrichtung der Gemeinde und der höheren staatlichen Einheits-
punkte gelöst werden kann. Die genannten Arbeiter aller Art
sollen nämlich ihre Angelegenheiten durch sich selbst besorgen,
und zwar durch die Verdienstlichsten und Einsichtsvollsten unter
ihnen. Selbstverwaltung ist eine ebenso gebieterische Forderung
des neuen gesellschaftlichen Lebens, als das Vereinsrecht; ja Beide
sind wieder im Grunde eins.

Wenn nun in der Gemeinde, im Kreise, im Staate und im
Bunde die Gesetzgebung der Ausübung gegenübersteht, so tritt
zwischen diese beiden staatlichen Gewalten die gesellschaftliche Ord-

dann treten ſie lieber hinein, um den Nachtheilen ihrer Aus-
nahme-Stellung zu entgehen. Jch will nun zwar auch, daß die
Kraft der allgemeinen Einrichtungen die Arbeiter alle zur Ver-
geſellſchaftung führe, aber nicht, indem die ſich auf ſich Beſchrän-
kenden durch drohende Nachtheile zum Eintritt gezwungen wer-
den, ſondern aus freiem Entſchluß eintreten, inſofern ſie ihren
höchſten Vortheil dabei zu finden hoffen.

Das Mittel alſo, wodurch die gegenſeitige Gewährleiſtung
des Wohls der Einzelnen herbeigeführt werden kann, iſt das freie
Vereinsrecht ohne Zunftzwang, welches in den Grundrechten
aller Völker, die von den Umwälzungen des Jahres 1848 er-
griffen worden ſind, ausgeſprochen iſt. Das Volk gliedert ſich
in freien Vereinen der Arbeit, des Tauſches und des Genuſſes;
das iſt nicht die Gemeinſchaft, wenn auch endlich der vereinzelte
Gewerbfleiß jedes Arbeiterzweiges, ſowie der vereinzelte Handel,
gänzlich untergehen ſollten. Nach dem 13. Artikel der franzöſi-
ſchen Verfaſſung ſoll der Staat ſolche freiwilligen Vereine ſogar
begünſtigen. Dadurch aber, daß der Arbeiter die Zerſplitterung
und Auflöſung aller ſittlichen Gemeinſchaft in ſeinem Stande be-
ſeitigt, wird er ſich auch ſchon ohne Zuthun des Staats am
Beſten helfen. Unter Arbeiter verſtehe ich jedoch nicht blos Acker-
bauer, Handwerker, Kaufleute, — Arbeiter, welche für die leiblichen
Bedürfniſſe ſorgen: ſondern ebenſo gut Arbeiter für die höheren
geiſtigen Bedürfniſſe, Künſtler, Lehrer, Geiſtliche; auch Rechtsge-
lehrte und Aerzte gehören hierher. Der Ausgangspunkt und die
Grundlage ihrer Vereinigung iſt die Gemeinde; und hier zeigt ſich
klar, daß die geſellſchaftliche Frage nicht ohne die vernünftige
Einrichtung der Gemeinde und der höheren ſtaatlichen Einheits-
punkte gelöſt werden kann. Die genannten Arbeiter aller Art
ſollen nämlich ihre Angelegenheiten durch ſich ſelbſt beſorgen,
und zwar durch die Verdienſtlichſten und Einſichtsvollſten unter
ihnen. Selbſtverwaltung iſt eine ebenſo gebieteriſche Forderung
des neuen geſellſchaftlichen Lebens, als das Vereinsrecht; ja Beide
ſind wieder im Grunde eins.

Wenn nun in der Gemeinde, im Kreiſe, im Staate und im
Bunde die Geſetzgebung der Ausübung gegenüberſteht, ſo tritt
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[85/0095] dann treten ſie lieber hinein, um den Nachtheilen ihrer Aus- nahme-Stellung zu entgehen. Jch will nun zwar auch, daß die Kraft der allgemeinen Einrichtungen die Arbeiter alle zur Ver- geſellſchaftung führe, aber nicht, indem die ſich auf ſich Beſchrän- kenden durch drohende Nachtheile zum Eintritt gezwungen wer- den, ſondern aus freiem Entſchluß eintreten, inſofern ſie ihren höchſten Vortheil dabei zu finden hoffen. Das Mittel alſo, wodurch die gegenſeitige Gewährleiſtung des Wohls der Einzelnen herbeigeführt werden kann, iſt das freie Vereinsrecht ohne Zunftzwang, welches in den Grundrechten aller Völker, die von den Umwälzungen des Jahres 1848 er- griffen worden ſind, ausgeſprochen iſt. Das Volk gliedert ſich in freien Vereinen der Arbeit, des Tauſches und des Genuſſes; das iſt nicht die Gemeinſchaft, wenn auch endlich der vereinzelte Gewerbfleiß jedes Arbeiterzweiges, ſowie der vereinzelte Handel, gänzlich untergehen ſollten. Nach dem 13. Artikel der franzöſi- ſchen Verfaſſung ſoll der Staat ſolche freiwilligen Vereine ſogar begünſtigen. Dadurch aber, daß der Arbeiter die Zerſplitterung und Auflöſung aller ſittlichen Gemeinſchaft in ſeinem Stande be- ſeitigt, wird er ſich auch ſchon ohne Zuthun des Staats am Beſten helfen. Unter Arbeiter verſtehe ich jedoch nicht blos Acker- bauer, Handwerker, Kaufleute, — Arbeiter, welche für die leiblichen Bedürfniſſe ſorgen: ſondern ebenſo gut Arbeiter für die höheren geiſtigen Bedürfniſſe, Künſtler, Lehrer, Geiſtliche; auch Rechtsge- lehrte und Aerzte gehören hierher. Der Ausgangspunkt und die Grundlage ihrer Vereinigung iſt die Gemeinde; und hier zeigt ſich klar, daß die geſellſchaftliche Frage nicht ohne die vernünftige Einrichtung der Gemeinde und der höheren ſtaatlichen Einheits- punkte gelöſt werden kann. Die genannten Arbeiter aller Art ſollen nämlich ihre Angelegenheiten durch ſich ſelbſt beſorgen, und zwar durch die Verdienſtlichſten und Einſichtsvollſten unter ihnen. Selbſtverwaltung iſt eine ebenſo gebieteriſche Forderung des neuen geſellſchaftlichen Lebens, als das Vereinsrecht; ja Beide ſind wieder im Grunde eins. Wenn nun in der Gemeinde, im Kreiſe, im Staate und im Bunde die Geſetzgebung der Ausübung gegenüberſteht, ſo tritt zwiſchen dieſe beiden ſtaatlichen Gewalten die geſellſchaftliche Ord-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/95>, abgerufen am 21.11.2024.