Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.V. Natürliche Grenzen -- Darwin. hungernden Armen überzeugen könnte, daß sie immer nochmehr Ursache zur Zufriedenheit haben, thatsächlich sich auch nie so unglücklich fühlen, als verschwelgte Reiche! -- Die Weisheit liegt durchweg im Maßhalten. Im Eingang dieses Buchs wurde kein Geheimniß daraus V. Natürliche Grenzen — Darwin. hungernden Armen überzeugen könnte, daß ſie immer nochmehr Urſache zur Zufriedenheit haben, thatſächlich ſich auch nie ſo unglücklich fühlen, als verſchwelgte Reiche! — Die Weisheit liegt durchweg im Maßhalten. Im Eingang dieſes Buchs wurde kein Geheimniß daraus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0142" n="128"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Natürliche Grenzen — <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118523813">Darwin</persName>.</fw><lb/> hungernden Armen überzeugen könnte, daß ſie immer noch<lb/> mehr Urſache zur Zufriedenheit haben, thatſächlich ſich auch<lb/> nie ſo unglücklich fühlen, als verſchwelgte Reiche! — Die<lb/> Weisheit liegt durchweg im Maßhalten.</p><lb/> <p>Im Eingang dieſes Buchs wurde kein Geheimniß daraus<lb/> gemacht, daß deſſen geiſtiger Urheber, mein Freund und<lb/> Lehrer, mich warnte, „methodiſch“ zu Werke zu gehen. Ich<lb/> hielt das damals für eine „engliſche Schrulle“, jetzt ſehe ich<lb/> indeß ein, daß er Recht hatte und mir dadurch eine Verlegen-<lb/> heit erſparte. Denn ich hätte ſonſt gleich von vorn herein<lb/> eine Eintheilung verſuchen müſſen. Wie hätte ich nun aber<lb/> eintheilen ſollen? Etwa wie Sterne (in ſeiner „empfind-<lb/> ſamen Reiſe“, dem berühmteſten Reiſeromane des vorigen<lb/> Jahrhunderts), der die Motive der Reiſe unterſucht und nun<lb/> claſſificirt in einfache, müßige, neugierige, lügende, ſtolze,<lb/> eitle, milzſüchtige, ſentimentale Reiſende? — Das hätte mich<lb/> zu tief in Subtilitäten geführt und abſeits von den Zwecken<lb/> dieſes Büchleins. Oder ſollte ich, wie die alten Paßbeamten,<lb/> nur unterſcheiden zwiſchen geſchäftlichen und ungeſchäftlichen<lb/> Reiſenden, und unter die letzteren Touriſten, Vergnügungs-,<lb/> Erholungsreiſende und Curgäſte rechnen? Touriſten nennen<lb/> ſich aber auch Gelehrte, die zu wiſſenſchaftlichen, Schriftſteller,<lb/> die zu literariſchen, junge Leute, die zu Bildungszwecken rei-<lb/> ſen, Handlungscommis, die umherfahren, um Beſtellungen<lb/> zu ſammeln. Und warum ſollte eine Cur in <placeName>Carlsbad</placeName> oder<lb/><placeName>Aachen</placeName> nicht unter die Geſchäfte zu zählen ſein? — In der<lb/> That, aus dieſen und andren Schwierigkeiten hätte ich keinen<lb/> Ausweg gefunden. Dazu wiſſen wir von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118523813">Charles Darwin</persName>,<lb/> daß in Allem, was da lebt und webt, die Grenzlinien zwi-<lb/> ſchen den Gattungen ſchwer zu ziehen ſind, und überall ein<lb/> mächtiger und ſteter Drang zu erkennen iſt, neue Arten und<lb/> Abarten zu bilden. Ich zog deshalb vor, jedem Streit über<lb/> die natürlichen Grenzen der einzelnen Species aus dem Wege<lb/> zu gehen, auch nicht ſcharf zu ſcheiden zwiſchen Touriſt und<lb/> Curgaſt, nur allzeit eine deutliche Marke zu machen zwiſchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0142]
V. Natürliche Grenzen — Darwin.
hungernden Armen überzeugen könnte, daß ſie immer noch
mehr Urſache zur Zufriedenheit haben, thatſächlich ſich auch
nie ſo unglücklich fühlen, als verſchwelgte Reiche! — Die
Weisheit liegt durchweg im Maßhalten.
Im Eingang dieſes Buchs wurde kein Geheimniß daraus
gemacht, daß deſſen geiſtiger Urheber, mein Freund und
Lehrer, mich warnte, „methodiſch“ zu Werke zu gehen. Ich
hielt das damals für eine „engliſche Schrulle“, jetzt ſehe ich
indeß ein, daß er Recht hatte und mir dadurch eine Verlegen-
heit erſparte. Denn ich hätte ſonſt gleich von vorn herein
eine Eintheilung verſuchen müſſen. Wie hätte ich nun aber
eintheilen ſollen? Etwa wie Sterne (in ſeiner „empfind-
ſamen Reiſe“, dem berühmteſten Reiſeromane des vorigen
Jahrhunderts), der die Motive der Reiſe unterſucht und nun
claſſificirt in einfache, müßige, neugierige, lügende, ſtolze,
eitle, milzſüchtige, ſentimentale Reiſende? — Das hätte mich
zu tief in Subtilitäten geführt und abſeits von den Zwecken
dieſes Büchleins. Oder ſollte ich, wie die alten Paßbeamten,
nur unterſcheiden zwiſchen geſchäftlichen und ungeſchäftlichen
Reiſenden, und unter die letzteren Touriſten, Vergnügungs-,
Erholungsreiſende und Curgäſte rechnen? Touriſten nennen
ſich aber auch Gelehrte, die zu wiſſenſchaftlichen, Schriftſteller,
die zu literariſchen, junge Leute, die zu Bildungszwecken rei-
ſen, Handlungscommis, die umherfahren, um Beſtellungen
zu ſammeln. Und warum ſollte eine Cur in Carlsbad oder
Aachen nicht unter die Geſchäfte zu zählen ſein? — In der
That, aus dieſen und andren Schwierigkeiten hätte ich keinen
Ausweg gefunden. Dazu wiſſen wir von Charles Darwin,
daß in Allem, was da lebt und webt, die Grenzlinien zwi-
ſchen den Gattungen ſchwer zu ziehen ſind, und überall ein
mächtiger und ſteter Drang zu erkennen iſt, neue Arten und
Abarten zu bilden. Ich zog deshalb vor, jedem Streit über
die natürlichen Grenzen der einzelnen Species aus dem Wege
zu gehen, auch nicht ſcharf zu ſcheiden zwiſchen Touriſt und
Curgaſt, nur allzeit eine deutliche Marke zu machen zwiſchen
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