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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Pensionswesen.
gefundene kann einem Leidenden zur wahren Wohlthat werden,
denn er sieht sich oft Verhältnissen, die seine Krankheit verursacht
oder gefördert haben, entrückt, in eine geregelte, behagliche
Häuslichkeit versetzt, deren Mechanismus pünktlich, geräusch-
los, ohne Knarren und Stocken der Räder wie ein gutes
Uhrwerk Tag für Tag arbeitet, alles ohne sein Dazuthun:
nur einmal wöchentlich hat er das Werk mit einem goldenen
Schlüssel aufzuziehen. Blickt er aus dem Fenster, so schaut
er nicht wie zu Hause auf Pflastersteine, Rinnsteine, Back-
steine, Mauern und Mauern, Fenster und Fenster, sondern
auf Bäume, Wiesen, Felder, Höhen, Wasser, vielleicht groß-
artig schöne Bergscenerie; draußen hört er nicht rasselnde
Omnibus, heulende Milchkarrenhunde und noch heulendere
Gemüseweiber und Sandfuhrleute. Im Hause selbst findet
er -- immer vorausgesetzt, daß seine Wahl eine glückliche
war -- eine Gesellschaft, mit welcher er schon nach wenig
Tagen Fühlung gewonnen hat, Alles um ihn athmet Eintracht
und Behagen.

Freilich, ein Beispiel ist mir bekannt, und es wird deren
wohl mehr geben, daß ein junger Mann krank in ein Haus
der Art eintrat, dort nach einiger Zeit völlig genas, anstatt
nun aber sich seiner Berufsthätigkeit wiederzugeben, von Jahr
zu Jahr damit zögerte, haften blieb und sein Leben ver-
tändelte. Dafür weiß ich jedoch mehre andere Beispiele, daß
in einer Pension Leidende ankamen, Heilung und Verlobungs-
ringe fanden, zufriedene, langlebige Gatten, gute Familien-
häupter und thätige Staatsbürger wurden. Sagt mir also
nichts gegen die Pensionen, auch sie zählen unter die men-
schenfreundlichen Anstalten. Vor den alten Klöstern haben
sie den Vorzug, daß sie nicht wie diese Beschlag legen auf die
ganze Zukunft eines Menschen.

Viel hängt hier von Dingen ab, über die sich erst ein
Urtheil gewinnen läßt, wenn man die neuen Verhältnisse
eine Zeit lang sich anprobirt hat. Es können Mißstände in

V. Penſionsweſen.
gefundene kann einem Leidenden zur wahren Wohlthat werden,
denn er ſieht ſich oft Verhältniſſen, die ſeine Krankheit verurſacht
oder gefördert haben, entrückt, in eine geregelte, behagliche
Häuslichkeit verſetzt, deren Mechanismus pünktlich, geräuſch-
los, ohne Knarren und Stocken der Räder wie ein gutes
Uhrwerk Tag für Tag arbeitet, alles ohne ſein Dazuthun:
nur einmal wöchentlich hat er das Werk mit einem goldenen
Schlüſſel aufzuziehen. Blickt er aus dem Fenſter, ſo ſchaut
er nicht wie zu Hauſe auf Pflaſterſteine, Rinnſteine, Back-
ſteine, Mauern und Mauern, Fenſter und Fenſter, ſondern
auf Bäume, Wieſen, Felder, Höhen, Waſſer, vielleicht groß-
artig ſchöne Bergſcenerie; draußen hört er nicht raſſelnde
Omnibus, heulende Milchkarrenhunde und noch heulendere
Gemüſeweiber und Sandfuhrleute. Im Hauſe ſelbſt findet
er — immer vorausgeſetzt, daß ſeine Wahl eine glückliche
war — eine Geſellſchaft, mit welcher er ſchon nach wenig
Tagen Fühlung gewonnen hat, Alles um ihn athmet Eintracht
und Behagen.

Freilich, ein Beiſpiel iſt mir bekannt, und es wird deren
wohl mehr geben, daß ein junger Mann krank in ein Haus
der Art eintrat, dort nach einiger Zeit völlig genas, anſtatt
nun aber ſich ſeiner Berufsthätigkeit wiederzugeben, von Jahr
zu Jahr damit zögerte, haften blieb und ſein Leben ver-
tändelte. Dafür weiß ich jedoch mehre andere Beiſpiele, daß
in einer Penſion Leidende ankamen, Heilung und Verlobungs-
ringe fanden, zufriedene, langlebige Gatten, gute Familien-
häupter und thätige Staatsbürger wurden. Sagt mir alſo
nichts gegen die Penſionen, auch ſie zählen unter die men-
ſchenfreundlichen Anſtalten. Vor den alten Klöſtern haben
ſie den Vorzug, daß ſie nicht wie dieſe Beſchlag legen auf die
ganze Zukunft eines Menſchen.

Viel hängt hier von Dingen ab, über die ſich erſt ein
Urtheil gewinnen läßt, wenn man die neuen Verhältniſſe
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[142/0156] V. Penſionsweſen. gefundene kann einem Leidenden zur wahren Wohlthat werden, denn er ſieht ſich oft Verhältniſſen, die ſeine Krankheit verurſacht oder gefördert haben, entrückt, in eine geregelte, behagliche Häuslichkeit verſetzt, deren Mechanismus pünktlich, geräuſch- los, ohne Knarren und Stocken der Räder wie ein gutes Uhrwerk Tag für Tag arbeitet, alles ohne ſein Dazuthun: nur einmal wöchentlich hat er das Werk mit einem goldenen Schlüſſel aufzuziehen. Blickt er aus dem Fenſter, ſo ſchaut er nicht wie zu Hauſe auf Pflaſterſteine, Rinnſteine, Back- ſteine, Mauern und Mauern, Fenſter und Fenſter, ſondern auf Bäume, Wieſen, Felder, Höhen, Waſſer, vielleicht groß- artig ſchöne Bergſcenerie; draußen hört er nicht raſſelnde Omnibus, heulende Milchkarrenhunde und noch heulendere Gemüſeweiber und Sandfuhrleute. Im Hauſe ſelbſt findet er — immer vorausgeſetzt, daß ſeine Wahl eine glückliche war — eine Geſellſchaft, mit welcher er ſchon nach wenig Tagen Fühlung gewonnen hat, Alles um ihn athmet Eintracht und Behagen. Freilich, ein Beiſpiel iſt mir bekannt, und es wird deren wohl mehr geben, daß ein junger Mann krank in ein Haus der Art eintrat, dort nach einiger Zeit völlig genas, anſtatt nun aber ſich ſeiner Berufsthätigkeit wiederzugeben, von Jahr zu Jahr damit zögerte, haften blieb und ſein Leben ver- tändelte. Dafür weiß ich jedoch mehre andere Beiſpiele, daß in einer Penſion Leidende ankamen, Heilung und Verlobungs- ringe fanden, zufriedene, langlebige Gatten, gute Familien- häupter und thätige Staatsbürger wurden. Sagt mir alſo nichts gegen die Penſionen, auch ſie zählen unter die men- ſchenfreundlichen Anſtalten. Vor den alten Klöſtern haben ſie den Vorzug, daß ſie nicht wie dieſe Beſchlag legen auf die ganze Zukunft eines Menſchen. Viel hängt hier von Dingen ab, über die ſich erſt ein Urtheil gewinnen läßt, wenn man die neuen Verhältniſſe eine Zeit lang ſich anprobirt hat. Es können Mißſtände in

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/156>, abgerufen am 21.11.2024.