Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.V. Pensionswesen -- Kündigungsrecht. der Oertlichkeit, der Hausverwaltung, der Verpflegung *),es können Elemente in der Gesellschaft sein, die beim Ankömm- ling eine empfindliche Stelle treffen und ihm den Aufenthalt verleiden. Deshalb konnte ich mich nie entschließen, einem Pensionshalter ohne vorherige Probe für eine ganze Saison mich zu verschreiben, auch wenn er mir noch so dringend empfohlen war. Vielfach wird dies zwar zur Bedingung gemacht, ich habe jedoch gesehen, daß sich davon loskommen läßt, wenn man nicht brieflich, sondern persönlich an Ort und Stelle acht oder vierzehn Tage vor Beginn der Saison dem Betreffenden das Nöthige offen mittheilt und ihn über- zeugt, daß der Vorschlag einer Probezeit keine Maske ist. Für ganze Familien stellt sich die Sache schwieriger, zumal in Orten, wie Nizza, wo die meisten Gasthalter und Ver- miether wetteifern, wenig zu gewähren und viel zu fordern, und verstehen, in drei Sprachen unverschämt zu sein; indeß selbst hier dürfte einer Familie, die frühzeitig vor Beginn der Saison eintrifft, oft gelingen, ein Abkommen zu treffen, z. B. so, daß für Rücktritt ein Reugeld festgesetzt wird. Wo ich die Wahl habe, ziehe ich Pensionen vor, die nicht die Dependance eines Gasthofs bilden, deren Haus vielmehr nur auf Pensionsfuß eingerichtet ist, die auch blos mäßig groß sind, so daß der Dienst nicht blos auf quecksilberne Kellner gestellt ist, sondern wo der Einziehende mehr das Gefühl hat, in ein Privathaus, eine Familie und deren Freundes- kreis zu treten. Dem glattpolirten, fashionablen, welt- männischen, insinuanten, rechnenden und berechneten, eil- fertigen, polyglotten Geschäftseifer großer Hoteliers einen Winter hindurch Tag für Tag preisgegeben zu sein -- mag *) Ein Uebelstand z. B., welcher erst in den letzten Jahren in einigen wohl-
feileren schweizer Pensionen stärker hervortritt, ist der: anstatt die Forderung den gesteigerten Lebensmittelpreisen und dem Sinken des Geldwerths entsprechend zu erhöhen, knausert man am Mittagstische, schneidet namentlich die Fleischpor- tionen so knapp zu, daß ein gesunder Mann sich nicht satt essen, geschweige ein Kranker, dem reichliche Ernährung noththut, dabei wieder zu Kräften kommen kann. V. Penſionsweſen — Kündigungsrecht. der Oertlichkeit, der Hausverwaltung, der Verpflegung *),es können Elemente in der Geſellſchaft ſein, die beim Ankömm- ling eine empfindliche Stelle treffen und ihm den Aufenthalt verleiden. Deshalb konnte ich mich nie entſchließen, einem Penſionshalter ohne vorherige Probe für eine ganze Saiſon mich zu verſchreiben, auch wenn er mir noch ſo dringend empfohlen war. Vielfach wird dies zwar zur Bedingung gemacht, ich habe jedoch geſehen, daß ſich davon loskommen läßt, wenn man nicht brieflich, ſondern perſönlich an Ort und Stelle acht oder vierzehn Tage vor Beginn der Saiſon dem Betreffenden das Nöthige offen mittheilt und ihn über- zeugt, daß der Vorſchlag einer Probezeit keine Maske iſt. Für ganze Familien ſtellt ſich die Sache ſchwieriger, zumal in Orten, wie Nizza, wo die meiſten Gaſthalter und Ver- miether wetteifern, wenig zu gewähren und viel zu fordern, und verſtehen, in drei Sprachen unverſchämt zu ſein; indeß ſelbſt hier dürfte einer Familie, die frühzeitig vor Beginn der Saiſon eintrifft, oft gelingen, ein Abkommen zu treffen, z. B. ſo, daß für Rücktritt ein Reugeld feſtgeſetzt wird. Wo ich die Wahl habe, ziehe ich Penſionen vor, die nicht die Dépendance eines Gaſthofs bilden, deren Haus vielmehr nur auf Penſionsfuß eingerichtet iſt, die auch blos mäßig groß ſind, ſo daß der Dienſt nicht blos auf queckſilberne Kellner geſtellt iſt, ſondern wo der Einziehende mehr das Gefühl hat, in ein Privathaus, eine Familie und deren Freundes- kreis zu treten. Dem glattpolirten, faſhionablen, welt- männiſchen, inſinuanten, rechnenden und berechneten, eil- fertigen, polyglotten Geſchäftseifer großer Hôteliers einen Winter hindurch Tag für Tag preisgegeben zu ſein — mag *) Ein Uebelſtand z. B., welcher erſt in den letzten Jahren in einigen wohl-
feileren ſchweizer Penſionen ſtärker hervortritt, iſt der: anſtatt die Forderung den geſteigerten Lebensmittelpreiſen und dem Sinken des Geldwerths entſprechend zu erhöhen, knauſert man am Mittagstiſche, ſchneidet namentlich die Fleiſchpor- tionen ſo knapp zu, daß ein geſunder Mann ſich nicht ſatt eſſen, geſchweige ein Kranker, dem reichliche Ernährung noththut, dabei wieder zu Kräften kommen kann. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0157" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Penſionsweſen — Kündigungsrecht.</fw><lb/> der Oertlichkeit, der Hausverwaltung, der Verpflegung <note place="foot" n="*)">Ein Uebelſtand z. B., welcher erſt in den letzten Jahren in einigen wohl-<lb/> feileren ſchweizer Penſionen ſtärker hervortritt, iſt der: anſtatt die Forderung<lb/> den geſteigerten Lebensmittelpreiſen und dem Sinken des Geldwerths entſprechend<lb/> zu erhöhen, knauſert man am Mittagstiſche, ſchneidet namentlich die <hi rendition="#g">Fleiſchpor-<lb/> tionen</hi> ſo knapp zu, daß ein geſunder Mann ſich nicht ſatt eſſen, geſchweige ein<lb/> Kranker, dem reichliche Ernährung noththut, dabei wieder zu Kräften kommen kann.</note>,<lb/> es können Elemente in der Geſellſchaft ſein, die beim Ankömm-<lb/> ling eine empfindliche Stelle treffen und ihm den Aufenthalt<lb/> verleiden. Deshalb konnte ich mich nie entſchließen, einem<lb/> Penſionshalter ohne vorherige Probe für eine ganze Saiſon<lb/> mich zu verſchreiben, auch wenn er mir noch ſo dringend<lb/> empfohlen war. Vielfach wird dies zwar zur Bedingung<lb/> gemacht, ich habe jedoch geſehen, daß ſich davon loskommen<lb/> läßt, wenn man nicht brieflich, ſondern perſönlich an Ort<lb/> und Stelle acht oder vierzehn Tage vor Beginn der Saiſon<lb/> dem Betreffenden das Nöthige offen mittheilt und ihn über-<lb/> zeugt, daß der Vorſchlag einer Probezeit keine Maske iſt.<lb/> Für ganze Familien ſtellt ſich die Sache ſchwieriger, zumal<lb/> in Orten, wie <placeName>Nizza</placeName>, wo die meiſten Gaſthalter und Ver-<lb/> miether wetteifern, wenig zu gewähren und viel zu fordern,<lb/> und verſtehen, in drei Sprachen unverſchämt zu ſein; indeß<lb/> ſelbſt hier dürfte einer Familie, die frühzeitig vor Beginn<lb/> der Saiſon eintrifft, oft gelingen, ein Abkommen zu treffen,<lb/> z. B. ſo, daß für Rücktritt ein Reugeld feſtgeſetzt wird. Wo<lb/> ich die Wahl habe, ziehe ich Penſionen vor, die nicht die<lb/> D<hi rendition="#aq">é</hi>pendance eines Gaſthofs bilden, deren Haus vielmehr<lb/> nur auf Penſionsfuß eingerichtet iſt, die auch blos mäßig<lb/> groß ſind, ſo daß der Dienſt nicht blos auf queckſilberne Kellner<lb/> geſtellt iſt, ſondern wo der Einziehende mehr das Gefühl<lb/> hat, in ein Privathaus, eine Familie und deren Freundes-<lb/> kreis zu treten. Dem glattpolirten, faſhionablen, welt-<lb/> männiſchen, inſinuanten, rechnenden und berechneten, eil-<lb/> fertigen, polyglotten Geſchäftseifer großer H<hi rendition="#aq">ô</hi>teliers einen<lb/> Winter hindurch Tag für Tag preisgegeben zu ſein — mag<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [143/0157]
V. Penſionsweſen — Kündigungsrecht.
der Oertlichkeit, der Hausverwaltung, der Verpflegung *),
es können Elemente in der Geſellſchaft ſein, die beim Ankömm-
ling eine empfindliche Stelle treffen und ihm den Aufenthalt
verleiden. Deshalb konnte ich mich nie entſchließen, einem
Penſionshalter ohne vorherige Probe für eine ganze Saiſon
mich zu verſchreiben, auch wenn er mir noch ſo dringend
empfohlen war. Vielfach wird dies zwar zur Bedingung
gemacht, ich habe jedoch geſehen, daß ſich davon loskommen
läßt, wenn man nicht brieflich, ſondern perſönlich an Ort
und Stelle acht oder vierzehn Tage vor Beginn der Saiſon
dem Betreffenden das Nöthige offen mittheilt und ihn über-
zeugt, daß der Vorſchlag einer Probezeit keine Maske iſt.
Für ganze Familien ſtellt ſich die Sache ſchwieriger, zumal
in Orten, wie Nizza, wo die meiſten Gaſthalter und Ver-
miether wetteifern, wenig zu gewähren und viel zu fordern,
und verſtehen, in drei Sprachen unverſchämt zu ſein; indeß
ſelbſt hier dürfte einer Familie, die frühzeitig vor Beginn
der Saiſon eintrifft, oft gelingen, ein Abkommen zu treffen,
z. B. ſo, daß für Rücktritt ein Reugeld feſtgeſetzt wird. Wo
ich die Wahl habe, ziehe ich Penſionen vor, die nicht die
Dépendance eines Gaſthofs bilden, deren Haus vielmehr
nur auf Penſionsfuß eingerichtet iſt, die auch blos mäßig
groß ſind, ſo daß der Dienſt nicht blos auf queckſilberne Kellner
geſtellt iſt, ſondern wo der Einziehende mehr das Gefühl
hat, in ein Privathaus, eine Familie und deren Freundes-
kreis zu treten. Dem glattpolirten, faſhionablen, welt-
männiſchen, inſinuanten, rechnenden und berechneten, eil-
fertigen, polyglotten Geſchäftseifer großer Hôteliers einen
Winter hindurch Tag für Tag preisgegeben zu ſein — mag
*) Ein Uebelſtand z. B., welcher erſt in den letzten Jahren in einigen wohl-
feileren ſchweizer Penſionen ſtärker hervortritt, iſt der: anſtatt die Forderung
den geſteigerten Lebensmittelpreiſen und dem Sinken des Geldwerths entſprechend
zu erhöhen, knauſert man am Mittagstiſche, ſchneidet namentlich die Fleiſchpor-
tionen ſo knapp zu, daß ein geſunder Mann ſich nicht ſatt eſſen, geſchweige ein
Kranker, dem reichliche Ernährung noththut, dabei wieder zu Kräften kommen kann.
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