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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Noch ein Mittel gegen Uebertheuerung.
Gesellschaft reist, schlägt das Mittel kaum fehl, aber auch
allein hat es mir oft Dienste geleistet. "Wir sind ... Per-
sonen und wünschen ein Frühstück, ein Mittagsessen zu
... Franken für die Person, einschließlich Wein." Diese
Worte, nicht an einen dienenden Geist, welchen sie wie alles
Außergewöhnliche verwirren, sondern an den obersten Macht-
haber mit richtigem Accente gesprochen, thun Wunder. Zum
richtigen Accente gehört, daß jeder Schimmer von Frage,
also von Unsicherheit vermieden wird. Der Instinct sagt
dann dem Manne: der da ist kein Neuling, der ist im
Stande und geht mit allen Andern weiter, oder bestellt
nur Wein und Brot, woran ich noch weniger verdiente, da
will ich doch lieber das Gebotene annehmen. Nicht selten
schüsselt er dann dasselbe auf, wofür er gestern das Doppelte
zahlen ließ, auf alle Fälle bleibt der Kreide und der Phantasie
kein verführerischer Spielraum. Dies Preismachen von Seite
des Reisenden, ehe noch bestellt ist, hat übrigens nicht blos
seine Vortheile bei Gasthaltern von Fach, sondern mehr noch
bei Leuten, welche die Bewirthung als Nebengeschäft treiben.
So begegnete es vor Jahren einem meiner Gefährten in
einer schmutzigen Sennhütte des berner Oberlands, daß ihm
ein Franken abgefordert wurde für einen Trunk Milch,
während wir Anderen vom Senner unbemerkt hinter einem
Hügel botanisirten. Als der Geprellte wieder zu uns ge-
stoßen war und seinem Unwillen Luft machte, schlug ich den
Beweis vor, daß er in einiger Entfernung auf uns warten
solle, und wettete, daß wir Anderen in derselben Hütte für
20 Centimes Milch für uns Beide verlangen und erhalten
würden. Und so geschah es.

Jeder Rothbuchleser weiß, daß es wohlgethan ist, schrift-
liche Rechnung Abends vor der Abreise zu verlangen und
nachzusummiren. Der Kellner erwidert zwar stets, es sei
auch am nächsten Morgen noch vollauf Zeit dafür -- offenbar
hält er es für seine Pflicht, den Argwohn nicht aufkommen
zu lassen, daß sein Herr des Geldes so eilig bedürfe -- bringt

VI. Noch ein Mittel gegen Uebertheuerung.
Geſellſchaft reiſt, ſchlägt das Mittel kaum fehl, aber auch
allein hat es mir oft Dienſte geleiſtet. „Wir ſind … Per-
ſonen und wünſchen ein Frühſtück, ein Mittagseſſen zu
… Franken für die Perſon, einſchließlich Wein.“ Dieſe
Worte, nicht an einen dienenden Geiſt, welchen ſie wie alles
Außergewöhnliche verwirren, ſondern an den oberſten Macht-
haber mit richtigem Accente geſprochen, thun Wunder. Zum
richtigen Accente gehört, daß jeder Schimmer von Frage,
alſo von Unſicherheit vermieden wird. Der Inſtinct ſagt
dann dem Manne: der da iſt kein Neuling, der iſt im
Stande und geht mit allen Andern weiter, oder beſtellt
nur Wein und Brot, woran ich noch weniger verdiente, da
will ich doch lieber das Gebotene annehmen. Nicht ſelten
ſchüſſelt er dann daſſelbe auf, wofür er geſtern das Doppelte
zahlen ließ, auf alle Fälle bleibt der Kreide und der Phantaſie
kein verführeriſcher Spielraum. Dies Preismachen von Seite
des Reiſenden, ehe noch beſtellt iſt, hat übrigens nicht blos
ſeine Vortheile bei Gaſthaltern von Fach, ſondern mehr noch
bei Leuten, welche die Bewirthung als Nebengeſchäft treiben.
So begegnete es vor Jahren einem meiner Gefährten in
einer ſchmutzigen Sennhütte des berner Oberlands, daß ihm
ein Franken abgefordert wurde für einen Trunk Milch,
während wir Anderen vom Senner unbemerkt hinter einem
Hügel botaniſirten. Als der Geprellte wieder zu uns ge-
ſtoßen war und ſeinem Unwillen Luft machte, ſchlug ich den
Beweis vor, daß er in einiger Entfernung auf uns warten
ſolle, und wettete, daß wir Anderen in derſelben Hütte für
20 Centimes Milch für uns Beide verlangen und erhalten
würden. Und ſo geſchah es.

Jeder Rothbuchleſer weiß, daß es wohlgethan iſt, ſchrift-
liche Rechnung Abends vor der Abreiſe zu verlangen und
nachzuſummiren. Der Kellner erwidert zwar ſtets, es ſei
auch am nächſten Morgen noch vollauf Zeit dafür — offenbar
hält er es für ſeine Pflicht, den Argwohn nicht aufkommen
zu laſſen, daß ſein Herr des Geldes ſo eilig bedürfe — bringt

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[188/0202] VI. Noch ein Mittel gegen Uebertheuerung. Geſellſchaft reiſt, ſchlägt das Mittel kaum fehl, aber auch allein hat es mir oft Dienſte geleiſtet. „Wir ſind … Per- ſonen und wünſchen ein Frühſtück, ein Mittagseſſen zu … Franken für die Perſon, einſchließlich Wein.“ Dieſe Worte, nicht an einen dienenden Geiſt, welchen ſie wie alles Außergewöhnliche verwirren, ſondern an den oberſten Macht- haber mit richtigem Accente geſprochen, thun Wunder. Zum richtigen Accente gehört, daß jeder Schimmer von Frage, alſo von Unſicherheit vermieden wird. Der Inſtinct ſagt dann dem Manne: der da iſt kein Neuling, der iſt im Stande und geht mit allen Andern weiter, oder beſtellt nur Wein und Brot, woran ich noch weniger verdiente, da will ich doch lieber das Gebotene annehmen. Nicht ſelten ſchüſſelt er dann daſſelbe auf, wofür er geſtern das Doppelte zahlen ließ, auf alle Fälle bleibt der Kreide und der Phantaſie kein verführeriſcher Spielraum. Dies Preismachen von Seite des Reiſenden, ehe noch beſtellt iſt, hat übrigens nicht blos ſeine Vortheile bei Gaſthaltern von Fach, ſondern mehr noch bei Leuten, welche die Bewirthung als Nebengeſchäft treiben. So begegnete es vor Jahren einem meiner Gefährten in einer ſchmutzigen Sennhütte des berner Oberlands, daß ihm ein Franken abgefordert wurde für einen Trunk Milch, während wir Anderen vom Senner unbemerkt hinter einem Hügel botaniſirten. Als der Geprellte wieder zu uns ge- ſtoßen war und ſeinem Unwillen Luft machte, ſchlug ich den Beweis vor, daß er in einiger Entfernung auf uns warten ſolle, und wettete, daß wir Anderen in derſelben Hütte für 20 Centimes Milch für uns Beide verlangen und erhalten würden. Und ſo geſchah es. Jeder Rothbuchleſer weiß, daß es wohlgethan iſt, ſchrift- liche Rechnung Abends vor der Abreiſe zu verlangen und nachzuſummiren. Der Kellner erwidert zwar ſtets, es ſei auch am nächſten Morgen noch vollauf Zeit dafür — offenbar hält er es für ſeine Pflicht, den Argwohn nicht aufkommen zu laſſen, daß ſein Herr des Geldes ſo eilig bedürfe — bringt

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/202>, abgerufen am 21.11.2024.