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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Verschwendung und Knickerei -- Russen, Engländer, Franzosen.
Briten ist, daß diese, um Vorzügliches zu erhalten, zwar
keine Kosten scheuen, aber nicht gern und nicht leicht sich
geradezu betrügen lassen, weil sie in der Regel den Werth des
Materials und der Arbeit zu beurtheilen verstehen, während
jene Osteuropäer von Jugend auf gewohnt sind, durch ihre
Lieferanten übervortheilt zu werden, und es für ein Attribut
ihres Ranges und Reichthums halten, dies ruhig hinzunehmen.
Ihr Werthmesser der Gegenstände ist fast nur Geld; was
sie wohlfeil haben, achten sie gering. Imposantes oder be-
stechendes Aeußere wird in ihren Ländern, in denen eine
Mischung von Uncultur und hochgetriebenem, pariserisch auf-
geputztem Luxus zu Hause ist, vor Allem geschätzt, einfache,
schlichte Tüchtigkeit gilt wenig und kommt auch selten vor,
Sinnen und Trachten ist der Laune des Augenblicks hingegeben.
Der Engländer dagegen ist ein Mensch der Methode; bei
deren Durchführung fällt er allerdings oft in Uebertreibungen,
Eigensinn, Pedanterie, Härte, fast immer aber läßt sich durch
alles das hindurch ein vernünftiger, berechtigter Grundsatz
erkennen. Die alte Erfahrung, daß Jugend zur Ver-
schwendung, Alter zum Geiz neigt, tritt kaum an einem
anderen Volke so sehr zu Tage, als an Franzosen. Dieselben
Leute, die heute mit Geld um sich werfen, sehen wir vielleicht
in fünfzehn Jahren als Knauser wieder, in beiden Fällen
handeln sie ganz außer Verhältniß zu ihren Vermögens-
umständen. Wenn Briten kargen, was nicht selten auch bei
reichen vorkommt, so geschieht es, wie gesagt, meist nicht
sowohl aus Geiz als aus Principienreiterei. In dem sonst
unleugbar großen Reisetalent der Insulaner ist das eine Lücke:
sie wollen anfangs den Bräuchen des fremden Landes nicht
einen Finger breit nachgeben, bis sie sich endlich überzeugen,
daß gewisse Zugeständnisse, selbst offenbaren Mißbräuchen
gegenüber, nicht immer ganz zu vermeiden sind. Hier nur ein
Beispiel, und zwar aus Italien. Dort pflegt bekanntlich
die dienende Classe mit dem bedungenen Lohne, er sei noch
so hoch, sich nicht zu begnügen, sondern einen Nachschuß zu

VI. Verſchwendung und Knickerei — Ruſſen, Engländer, Franzoſen.
Briten iſt, daß dieſe, um Vorzügliches zu erhalten, zwar
keine Koſten ſcheuen, aber nicht gern und nicht leicht ſich
geradezu betrügen laſſen, weil ſie in der Regel den Werth des
Materials und der Arbeit zu beurtheilen verſtehen, während
jene Oſteuropäer von Jugend auf gewohnt ſind, durch ihre
Lieferanten übervortheilt zu werden, und es für ein Attribut
ihres Ranges und Reichthums halten, dies ruhig hinzunehmen.
Ihr Werthmeſſer der Gegenſtände iſt faſt nur Geld; was
ſie wohlfeil haben, achten ſie gering. Impoſantes oder be-
ſtechendes Aeußere wird in ihren Ländern, in denen eine
Miſchung von Uncultur und hochgetriebenem, pariſeriſch auf-
geputztem Luxus zu Hauſe iſt, vor Allem geſchätzt, einfache,
ſchlichte Tüchtigkeit gilt wenig und kommt auch ſelten vor,
Sinnen und Trachten iſt der Laune des Augenblicks hingegeben.
Der Engländer dagegen iſt ein Menſch der Methode; bei
deren Durchführung fällt er allerdings oft in Uebertreibungen,
Eigenſinn, Pedanterie, Härte, faſt immer aber läßt ſich durch
alles das hindurch ein vernünftiger, berechtigter Grundſatz
erkennen. Die alte Erfahrung, daß Jugend zur Ver-
ſchwendung, Alter zum Geiz neigt, tritt kaum an einem
anderen Volke ſo ſehr zu Tage, als an Franzoſen. Dieſelben
Leute, die heute mit Geld um ſich werfen, ſehen wir vielleicht
in fünfzehn Jahren als Knauſer wieder, in beiden Fällen
handeln ſie ganz außer Verhältniß zu ihren Vermögens-
umſtänden. Wenn Briten kargen, was nicht ſelten auch bei
reichen vorkommt, ſo geſchieht es, wie geſagt, meiſt nicht
ſowohl aus Geiz als aus Principienreiterei. In dem ſonſt
unleugbar großen Reiſetalent der Inſulaner iſt das eine Lücke:
ſie wollen anfangs den Bräuchen des fremden Landes nicht
einen Finger breit nachgeben, bis ſie ſich endlich überzeugen,
daß gewiſſe Zugeſtändniſſe, ſelbſt offenbaren Mißbräuchen
gegenüber, nicht immer ganz zu vermeiden ſind. Hier nur ein
Beiſpiel, und zwar aus Italien. Dort pflegt bekanntlich
die dienende Claſſe mit dem bedungenen Lohne, er ſei noch
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[190/0204] VI. Verſchwendung und Knickerei — Ruſſen, Engländer, Franzoſen. Briten iſt, daß dieſe, um Vorzügliches zu erhalten, zwar keine Koſten ſcheuen, aber nicht gern und nicht leicht ſich geradezu betrügen laſſen, weil ſie in der Regel den Werth des Materials und der Arbeit zu beurtheilen verſtehen, während jene Oſteuropäer von Jugend auf gewohnt ſind, durch ihre Lieferanten übervortheilt zu werden, und es für ein Attribut ihres Ranges und Reichthums halten, dies ruhig hinzunehmen. Ihr Werthmeſſer der Gegenſtände iſt faſt nur Geld; was ſie wohlfeil haben, achten ſie gering. Impoſantes oder be- ſtechendes Aeußere wird in ihren Ländern, in denen eine Miſchung von Uncultur und hochgetriebenem, pariſeriſch auf- geputztem Luxus zu Hauſe iſt, vor Allem geſchätzt, einfache, ſchlichte Tüchtigkeit gilt wenig und kommt auch ſelten vor, Sinnen und Trachten iſt der Laune des Augenblicks hingegeben. Der Engländer dagegen iſt ein Menſch der Methode; bei deren Durchführung fällt er allerdings oft in Uebertreibungen, Eigenſinn, Pedanterie, Härte, faſt immer aber läßt ſich durch alles das hindurch ein vernünftiger, berechtigter Grundſatz erkennen. Die alte Erfahrung, daß Jugend zur Ver- ſchwendung, Alter zum Geiz neigt, tritt kaum an einem anderen Volke ſo ſehr zu Tage, als an Franzoſen. Dieſelben Leute, die heute mit Geld um ſich werfen, ſehen wir vielleicht in fünfzehn Jahren als Knauſer wieder, in beiden Fällen handeln ſie ganz außer Verhältniß zu ihren Vermögens- umſtänden. Wenn Briten kargen, was nicht ſelten auch bei reichen vorkommt, ſo geſchieht es, wie geſagt, meiſt nicht ſowohl aus Geiz als aus Principienreiterei. In dem ſonſt unleugbar großen Reiſetalent der Inſulaner iſt das eine Lücke: ſie wollen anfangs den Bräuchen des fremden Landes nicht einen Finger breit nachgeben, bis ſie ſich endlich überzeugen, daß gewiſſe Zugeſtändniſſe, ſelbſt offenbaren Mißbräuchen gegenüber, nicht immer ganz zu vermeiden ſind. Hier nur ein Beiſpiel, und zwar aus Italien. Dort pflegt bekanntlich die dienende Claſſe mit dem bedungenen Lohne, er ſei noch ſo hoch, ſich nicht zu begnügen, ſondern einen Nachſchuß zu

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/204>, abgerufen am 21.11.2024.