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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Trinkgelder und Geschenke.
erbitten, auch wohl zu erpressen, und meistens kann man
leichter und rascher ein Drittel und mehr von der Forderung
gleich anfangs abhandeln, als sich der nachträglichen Spende
einiger Bajocchi oder Soldi entziehen. Den ausgemachten
Lohn betrachtet so ein Facchino, Carossiere oder Guida als
einfaches Aequivalent für seine Mühwaltung. Da er nun
aber nach seiner Meinung stets besondere Verdienste um den
Signor Forestiere sich erworben hat, so scheint es ihm auch
anständig, daß diese gleichfalls honorirt werden. Als solche
rechnet etwa ein Kutscher, daß er rasch gefahren ist ohne
umzuwerfen oder gegen einen Prellstein zu stoßen, ein Träger,
daß er einige Namen von Kirchen und Palästen genannt hat,
ein Maulthiertreiber, daß er höflich und gesprächig, ein
Zweiter, daß er humoristisch gewesen, ein Anderer, daß er
drei italienisirte französische Vocabeln angebracht hat etc.
Von mehr als einem in Italien reisenden englischen "fresco"
habe ich äußern hören, daß er "nie feilschen werde, lieber
etwas mehr bezahle, andererseits auch sich nichts abbetteln
lasse." Ist er erst einige Wochen im Lande, so überzeugt er
sich, daß seine Methode nicht blos äußerst kostspielig, sondern
auch, weil sie ihn sofort in den Ruf großen Reichthums und
noch größerer Einfalt bringt, mit Zeitopfern und Be-
lästigungen verknüpft, und daß der allgemeine Landesbrauch
nicht immer ganz zu umgehen ist. Copia verborum ist nicht
nöthig, sondern nur, daß man die üblichen Preise kennt und
auch bei der ungeheuerlichsten Forderung ruhig bleibt. Wer
der Sprache oder gar des Dialekts mächtig ist, hat leichtes
Spiel, zur Noth geht's auch ohne Worte, am besten in
Neapel, wenn man sich die kleine Mühe nimmt, einige
Vocabeln aus der Geberdensprache zu erlernen, welche gerade
in diesem Gebiete sehr ausdrucksvoll ist und eine Musterkarte
von Zeichen hat für den, der eine zu hohe Forderung ab-
wehren will.

Eine Sorte von Dienstleistungen gibt es, von der man
nicht recht weiß, ob und wie sie zu belohnen sei, in solchen

VI. Trinkgelder und Geſchenke.
erbitten, auch wohl zu erpreſſen, und meiſtens kann man
leichter und raſcher ein Drittel und mehr von der Forderung
gleich anfangs abhandeln, als ſich der nachträglichen Spende
einiger Bajocchi oder Soldi entziehen. Den ausgemachten
Lohn betrachtet ſo ein Facchino, Caroſſiere oder Guida als
einfaches Aequivalent für ſeine Mühwaltung. Da er nun
aber nach ſeiner Meinung ſtets beſondere Verdienſte um den
Signor Foreſtiere ſich erworben hat, ſo ſcheint es ihm auch
anſtändig, daß dieſe gleichfalls honorirt werden. Als ſolche
rechnet etwa ein Kutſcher, daß er raſch gefahren iſt ohne
umzuwerfen oder gegen einen Prellſtein zu ſtoßen, ein Träger,
daß er einige Namen von Kirchen und Paläſten genannt hat,
ein Maulthiertreiber, daß er höflich und geſprächig, ein
Zweiter, daß er humoriſtiſch geweſen, ein Anderer, daß er
drei italieniſirte franzöſiſche Vocabeln angebracht hat ꝛc.
Von mehr als einem in Italien reiſenden engliſchen „fresco“
habe ich äußern hören, daß er „nie feilſchen werde, lieber
etwas mehr bezahle, andererſeits auch ſich nichts abbetteln
laſſe.“ Iſt er erſt einige Wochen im Lande, ſo überzeugt er
ſich, daß ſeine Methode nicht blos äußerſt koſtſpielig, ſondern
auch, weil ſie ihn ſofort in den Ruf großen Reichthums und
noch größerer Einfalt bringt, mit Zeitopfern und Be-
läſtigungen verknüpft, und daß der allgemeine Landesbrauch
nicht immer ganz zu umgehen iſt. Copia verborum iſt nicht
nöthig, ſondern nur, daß man die üblichen Preiſe kennt und
auch bei der ungeheuerlichſten Forderung ruhig bleibt. Wer
der Sprache oder gar des Dialekts mächtig iſt, hat leichtes
Spiel, zur Noth geht’s auch ohne Worte, am beſten in
Neapel, wenn man ſich die kleine Mühe nimmt, einige
Vocabeln aus der Geberdenſprache zu erlernen, welche gerade
in dieſem Gebiete ſehr ausdrucksvoll iſt und eine Muſterkarte
von Zeichen hat für den, der eine zu hohe Forderung ab-
wehren will.

Eine Sorte von Dienſtleiſtungen gibt es, von der man
nicht recht weiß, ob und wie ſie zu belohnen ſei, in ſolchen

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[191/0205] VI. Trinkgelder und Geſchenke. erbitten, auch wohl zu erpreſſen, und meiſtens kann man leichter und raſcher ein Drittel und mehr von der Forderung gleich anfangs abhandeln, als ſich der nachträglichen Spende einiger Bajocchi oder Soldi entziehen. Den ausgemachten Lohn betrachtet ſo ein Facchino, Caroſſiere oder Guida als einfaches Aequivalent für ſeine Mühwaltung. Da er nun aber nach ſeiner Meinung ſtets beſondere Verdienſte um den Signor Foreſtiere ſich erworben hat, ſo ſcheint es ihm auch anſtändig, daß dieſe gleichfalls honorirt werden. Als ſolche rechnet etwa ein Kutſcher, daß er raſch gefahren iſt ohne umzuwerfen oder gegen einen Prellſtein zu ſtoßen, ein Träger, daß er einige Namen von Kirchen und Paläſten genannt hat, ein Maulthiertreiber, daß er höflich und geſprächig, ein Zweiter, daß er humoriſtiſch geweſen, ein Anderer, daß er drei italieniſirte franzöſiſche Vocabeln angebracht hat ꝛc. Von mehr als einem in Italien reiſenden engliſchen „fresco“ habe ich äußern hören, daß er „nie feilſchen werde, lieber etwas mehr bezahle, andererſeits auch ſich nichts abbetteln laſſe.“ Iſt er erſt einige Wochen im Lande, ſo überzeugt er ſich, daß ſeine Methode nicht blos äußerſt koſtſpielig, ſondern auch, weil ſie ihn ſofort in den Ruf großen Reichthums und noch größerer Einfalt bringt, mit Zeitopfern und Be- läſtigungen verknüpft, und daß der allgemeine Landesbrauch nicht immer ganz zu umgehen iſt. Copia verborum iſt nicht nöthig, ſondern nur, daß man die üblichen Preiſe kennt und auch bei der ungeheuerlichſten Forderung ruhig bleibt. Wer der Sprache oder gar des Dialekts mächtig iſt, hat leichtes Spiel, zur Noth geht’s auch ohne Worte, am beſten in Neapel, wenn man ſich die kleine Mühe nimmt, einige Vocabeln aus der Geberdenſprache zu erlernen, welche gerade in dieſem Gebiete ſehr ausdrucksvoll iſt und eine Muſterkarte von Zeichen hat für den, der eine zu hohe Forderung ab- wehren will. Eine Sorte von Dienſtleiſtungen gibt es, von der man nicht recht weiß, ob und wie ſie zu belohnen ſei, in ſolchen

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/205>, abgerufen am 21.11.2024.