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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Lob der Cigarre -- im Eisenbahncoupe.
Fällen dient oft eine Cigarre. Sie läßt sich ohne Weiteres
darbieten und annehmen, macht nicht gleich aus Geber und
Nehmer Herr und Knecht, wie eine Geldbelohnung oder das
Versprechen einer solchen, kann sogar in verbindlicher Weise
Gleichgestellten gereicht werden, schließt ein nachträgliches
Geschenk in Baarem nicht aus, bedingt es aber auch nicht;
ferner ist die Spende an keine Zeit gebunden, wie ein Trink-
geld, kann pränumerando gereicht, öfter wiederholt werden,
mit einem Worte sie ist ein Stück Entoutcas. Auch die
Feinde des Tabaks gestehen zu, erstens und zweitens, daß er
ein Genuß- und ein Reizmittel ist, drittens daß er über-
mäßigen Appetit dämpft, viertens daß er beruhigend wirkt.
Alle diese Eigenschaften bewähren sich in der Touristen-
praxis trefflich. Hinsichtlich des Appetits sei bemerkt, daß
dies wörtlich und figürlich gemeint ist. Ferner erweist sich
die Cigarre z. B. am Briefträger als gedächtnißstärkend,
wenn es sich um Posterestante-Briefe handelt, welche wir zu-
geschickt wünschen. Seine Vortheile hat es auch, dem Schaffner
gleich anfangs eine keine Freundlichkeit dieser oder anderer
Art, z. B. einen Schluck Wein, angedeihen zu lassen. Schlägt
ein dankbares Herz unter seinem Paletot, so schlägt es sofort
wärmer für den Geber; ist der Mann nur kalter Verstandes-
mensch, so sagt er sich: wenn dieser Herr schon jetzt so mit-
theilsam ist, wie freigebig wird er erst sein, wenn Du ihm
Dienste leistest, und befleißigt sich deren. Solchen Aufmerk-
samkeiten verdanke ich manchen nützlichen Rath, z. B. über
schätzbare Eigenthümlichkeiten von Bahnhofsschenktischen, bei
Nachtfahrten Winke über die Herrichtung eines Lagers durch
Entfernung der Scheidewand oder Vorziehen der Polster u. dgl.
Einmal hatte ich den Einfall, das Fahrbillet um eine Cigarre
zu wickeln und beides dem Schaffner mit der Bemerkung
zu präsentiren: "kostbares Deckblatt, Werth fünf Thaler
zwanzig Groschen (Fahrpreis)." Dieser kleine Spaß erheiterte
den wackeren Beamten sichtlich und stimmte ihn für die ganze
Tour mir günstig, wie überhaupt die meisten Menschen für

VI. Lob der Cigarre — im Eiſenbahncoupé.
Fällen dient oft eine Cigarre. Sie läßt ſich ohne Weiteres
darbieten und annehmen, macht nicht gleich aus Geber und
Nehmer Herr und Knecht, wie eine Geldbelohnung oder das
Verſprechen einer ſolchen, kann ſogar in verbindlicher Weiſe
Gleichgeſtellten gereicht werden, ſchließt ein nachträgliches
Geſchenk in Baarem nicht aus, bedingt es aber auch nicht;
ferner iſt die Spende an keine Zeit gebunden, wie ein Trink-
geld, kann pränumerando gereicht, öfter wiederholt werden,
mit einem Worte ſie iſt ein Stück Entoutcas. Auch die
Feinde des Tabaks geſtehen zu, erſtens und zweitens, daß er
ein Genuß- und ein Reizmittel iſt, drittens daß er über-
mäßigen Appetit dämpft, viertens daß er beruhigend wirkt.
Alle dieſe Eigenſchaften bewähren ſich in der Touriſten-
praxis trefflich. Hinſichtlich des Appetits ſei bemerkt, daß
dies wörtlich und figürlich gemeint iſt. Ferner erweiſt ſich
die Cigarre z. B. am Briefträger als gedächtnißſtärkend,
wenn es ſich um Poſtereſtante-Briefe handelt, welche wir zu-
geſchickt wünſchen. Seine Vortheile hat es auch, dem Schaffner
gleich anfangs eine keine Freundlichkeit dieſer oder anderer
Art, z. B. einen Schluck Wein, angedeihen zu laſſen. Schlägt
ein dankbares Herz unter ſeinem Paletot, ſo ſchlägt es ſofort
wärmer für den Geber; iſt der Mann nur kalter Verſtandes-
menſch, ſo ſagt er ſich: wenn dieſer Herr ſchon jetzt ſo mit-
theilſam iſt, wie freigebig wird er erſt ſein, wenn Du ihm
Dienſte leiſteſt, und befleißigt ſich deren. Solchen Aufmerk-
ſamkeiten verdanke ich manchen nützlichen Rath, z. B. über
ſchätzbare Eigenthümlichkeiten von Bahnhofsſchenktiſchen, bei
Nachtfahrten Winke über die Herrichtung eines Lagers durch
Entfernung der Scheidewand oder Vorziehen der Polſter u. dgl.
Einmal hatte ich den Einfall, das Fahrbillet um eine Cigarre
zu wickeln und beides dem Schaffner mit der Bemerkung
zu präſentiren: „koſtbares Deckblatt, Werth fünf Thaler
zwanzig Groſchen (Fahrpreis).“ Dieſer kleine Spaß erheiterte
den wackeren Beamten ſichtlich und ſtimmte ihn für die ganze
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[192/0206] VI. Lob der Cigarre — im Eiſenbahncoupé. Fällen dient oft eine Cigarre. Sie läßt ſich ohne Weiteres darbieten und annehmen, macht nicht gleich aus Geber und Nehmer Herr und Knecht, wie eine Geldbelohnung oder das Verſprechen einer ſolchen, kann ſogar in verbindlicher Weiſe Gleichgeſtellten gereicht werden, ſchließt ein nachträgliches Geſchenk in Baarem nicht aus, bedingt es aber auch nicht; ferner iſt die Spende an keine Zeit gebunden, wie ein Trink- geld, kann pränumerando gereicht, öfter wiederholt werden, mit einem Worte ſie iſt ein Stück Entoutcas. Auch die Feinde des Tabaks geſtehen zu, erſtens und zweitens, daß er ein Genuß- und ein Reizmittel iſt, drittens daß er über- mäßigen Appetit dämpft, viertens daß er beruhigend wirkt. Alle dieſe Eigenſchaften bewähren ſich in der Touriſten- praxis trefflich. Hinſichtlich des Appetits ſei bemerkt, daß dies wörtlich und figürlich gemeint iſt. Ferner erweiſt ſich die Cigarre z. B. am Briefträger als gedächtnißſtärkend, wenn es ſich um Poſtereſtante-Briefe handelt, welche wir zu- geſchickt wünſchen. Seine Vortheile hat es auch, dem Schaffner gleich anfangs eine keine Freundlichkeit dieſer oder anderer Art, z. B. einen Schluck Wein, angedeihen zu laſſen. Schlägt ein dankbares Herz unter ſeinem Paletot, ſo ſchlägt es ſofort wärmer für den Geber; iſt der Mann nur kalter Verſtandes- menſch, ſo ſagt er ſich: wenn dieſer Herr ſchon jetzt ſo mit- theilſam iſt, wie freigebig wird er erſt ſein, wenn Du ihm Dienſte leiſteſt, und befleißigt ſich deren. Solchen Aufmerk- ſamkeiten verdanke ich manchen nützlichen Rath, z. B. über ſchätzbare Eigenthümlichkeiten von Bahnhofsſchenktiſchen, bei Nachtfahrten Winke über die Herrichtung eines Lagers durch Entfernung der Scheidewand oder Vorziehen der Polſter u. dgl. Einmal hatte ich den Einfall, das Fahrbillet um eine Cigarre zu wickeln und beides dem Schaffner mit der Bemerkung zu präſentiren: „koſtbares Deckblatt, Werth fünf Thaler zwanzig Groſchen (Fahrpreis).“ Dieſer kleine Spaß erheiterte den wackeren Beamten ſichtlich und ſtimmte ihn für die ganze Tour mir günſtig, wie überhaupt die meiſten Menſchen für

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/206>, abgerufen am 21.11.2024.